man den Kindern seit 68 eine eigene Persönlichkeit zugesteht? Das sindkeine polemischen Fragen. Sie nehmen ganz sachlich Bezug auf die ArgumenteBuebs, Winterhoffs und ähnlich Denkender.Es gibt viele mögliche Gründe für die genannten Probleme, jeder Fallist anders gelagert. Lässt sich dennoch eine annähernd allgemeingültigeAussage treffen? Ja. Sie liegt auf der Hand. Jegge drückt es so aus: „Wirhaben das Vertrauen verloren. Es geht um den Glauben, dass das Lebenin seinem eigenen Tempo wächst und nicht per se schadhaft ist so dassman es möglichst früh flicken müsste.“Was Eltern, Erziehern, Lehrern oder Therapeuten immer als erste Richtschnurdienen kann, ist, wir wiederholen es, die schlichte Erfahrungstatsache, dass,wenn Kinder zu „Problemfällen“ werden, fast immer eine Überforderung vorliegt.Eigentlich will jedes Kind seine Sache gut machen und dafür gelobt werden.Gelingt ihm das kontinuierlich nicht, besteht ein krasses Missverhältniszwischen den Erwartungen, die an es herangetragen werden, und seinen (aktuellenoder generellen) Möglichkeiten, ihnen zu entsprechen.Um zu verstehen, was tatsächlich vorgeht, empfiehlt es sich, mal kurzvon der Zwangsvorstellung Abstand zu nehmen, alles wäre im Lot, wennEltern obligatorisch den „Elternführerschein“ machen müssten. Werfenwir stattdessen einen Blick auf die Verkehrsregeln, nach denen sie sich,mit oder ohne Führerschein, zu richten haben. Dann zeigt sich (wir deutetenes schon an) unter anderem folgendes: Der Definitionsrahmen für„adäquates“ Verhalten und „reguläre“ Entwicklung wird heute viel engergezogen als noch vor 20, 30 Jahren. Die Erwartungen hinsichtlich dessen,was ein Kind in welchem Alter „normalerweise“ können (bzw. sichabgewöhnt haben) sollte, sind in dem bezeichneten Zeitraum kontinuierlichgestiegen. Das betrifft vor allem die Reizpunkte● Sozialverhalten,● Selbstkontrolle (Impulssteuerung, Bedürfnisaufschub),● Lerndisziplin (Zügelung des Spiel- und Bewegungsdranges),● Aufmerksamkeitskonsistenz.64
Gleichzeitig sank die Bereitschaft, seelische Krisen, Schwächeperiodenoder vorübergehende Entwicklungsrückschritte als etwas Natürliches,vielleicht sogar Sinnvolles zu akzeptieren.Schuld an dem Trend zu immer höheren Erwartungen an die Kinderund immer geringerer Akzeptanz ihrer Belastungsgrenzen sind nicht primärFrau und Herr Mustermann, die es trotz allem riskiert haben, zweiSprösslinge in die Welt zu setzen, und (selbst oft am Rand der Erschöpfung)nach bestem Wissen und Gewissen versuchen, Unheil von ihnenabzuwenden. Es wäre auch zu einfach, den schwarzen Peter an die Lehrerweiterzureichen. (Viele räumen ein, es sei unter den gegebenen Bedingungenfast unmöglich, pädagogisch zu arbeiten.) Unfähige Menschengibt es überall, aber so, wie die Dinge heute liegen, sind oft auchdie Fähigen am Ende ihres Lateins. Die Sache ist zu kompliziert, um beiindividualisierenden Schuldzuweisungen stehen zu bleiben. Wir haben esmit einem kultursoziologischen Phänomen zu tun, das nur im Kontext dergesamtgesellschaftlichen Entwicklung verständlich wird; mit einer vonden meinungsführenden Eliten unter breitem Beifall zielstrebig vorangetriebenenÄnderung der diskursiven Spielregeln, die sich spürbar auf dassoziale Klima im allgemeinen und somit auch auf alle Lebens- und Arbeitsbereicheauswirkt, in denen es um die Erziehung, Betreuung, Förderungoder therapeutische Begleitung von Kindern geht. Leute wie Buebund Winterhoff sind nur sozusagen Regierungssprecher des Zeitgeistes.Sie bemerken gar nicht, dass der Herr, dem sie dienen, alles das, wogegensie in seinem Namen zu Felde ziehen, selbst angerichtet hat.Wer in den letzten 25 Jahren die öffentlichen Debatten über Kindheitsangelegenheitenverfolgt hat, weiß, dass maßgebliche Kräfte ausPolitik, Wirtschaft und Wissenschaft, unterstützt von großen Teilen desFachpersonals der Vollstreckungsebene, mit Verve darauf hingearbeitethaben, die Welt zu einem ungemütlicheren Ort für Kinder zu machen;oder doch zumindest dafür eingetreten sind, diese Entwicklung als unvermeidlichhinzunehmen. („Tut uns leid, die Globalisierung“ ....) Derneue Kurs wurde und wird lautstark propagiert, unaufhörlich. Man bezeichnetso etwas als mediales Dauerflächenbombardement. Auch derletzte Mohikaner aus kindheitsromantischen Zeiten sollte begreifen, dass65
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Henning KöhlerDressurpädagogik? N
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