gumentationsschema ist von der Sache her indiskutabel und psychologischkontraproduktiv: Öl ins Feuer der Angst.Seltsam: Das Klagelied über „kleine Tyrannen“ und unverantwortlichnachsichtige Eltern wird seit Jahrhunderten gesungen. Wo man dochmeinen sollte, erst die 68er mit ihrer Partnerschaftsideologie hätten dasProblem heraufbeschworen. Kostproben: „Gibt man dem Eigensinn (desKindes) nach, so ist er das zweite Mal schon stärker und schwerer zuvertreiben. Haben die Kinder einmal erfahren, dass sie durch Erbosenund Schreien ihren Willen durchsetzen, so werden sie nicht ermangeln,dieselben Mittel wieder anzuwenden. Endlich werden sie zu Meistern ihrerEltern und Aufwärterinnen und bekommen ein böses, eigensinnigesund unleidliches Gemüt, wodurch sie hernach ihre Eltern als wohlverdientenLohn der guten Erziehung, so lange sie leben, quälen und plagen.Sind aber die Eltern so glücklich, dass sie ihnen gleich anfangs (...)den Eigensinn vertreiben, so bekommen sie gehorsame, biegsame undgute Kinder“, schrieb Johann Georg Sulzer anno 1748. Hundert Jahrespäter (1852) lamentierte ein L. Keller über „schwache Mütter“, die „dasphilanthropische Prinzip“ vertreten und daher „von ihren Kleinen tyrannisiert“werden. 1902 schlug ein weiterer Winterhoff-Vorläufer namens A.Matthias Alarm: Allzu viele Eltern, befand er, seien sträflich nachsichtigund ließen sich „von des Kindes Widerspruch, Eigensinn, Trotz oder auchvon Bitten, Schmeicheleien, Tränen des jungen Tyrannen tyrannisieren.“Vor allem auf die Mütter mit ihrer, wie es wörtlich heißt, „Affenliebe“ warer schlecht zu sprechen. (Zitiert nach Katharina Rutschky, Schwarze Pädagogik.)Ach ja, der kindliche Eigensinn. Damit konnten und können sieeinfach nicht umgehen, die Herrschaften, die vor Schreck erbleichen,wenn sich ein Kind erdreistet, Anweisungen zu ignorieren.Eine unendliche Geschichte. Ihre einflussreichste, dem Anspruchnach wissenschaftliche Ausprägung hat sie wohl im Herbartianismus gefunden.„Willenlos kommt das Kind zur Welt, unfähig jeden sittlichenVerhältnisses. (Anfangs) „entwickelt sich, statt eines ersten Willens, dersich zu entschließen fähig wäre, ein wilder Ungestüm. (Dieser) muss (...)unterworfen werden (...) durch Gewalt.“ Es komme darauf an, dass derErzieher „die rohen Begehrungen (und den) blinden Ungestüm (des Kindes)unter einem stets fühlbaren Druck hält.“ Nur durch „Unterwerfung34
unter den Willen des Erziehers“ lasse sich „Unordnung“ verhüten. Dasschrieb Johann Friedrich Herbart (1776 bis 1841), dessen unverhohlenmachtideologische Erziehungsauffassung vor allem gegen Jean JacquesRousseau, den Urvater aller Reformpädagogen, gerichtet war. Nach Herbartsind die drei Hauptsäulen der Erziehung Regierung, Unterricht undZucht. Gefordert werden müsse „pünktlicher Gehorsam, der auf der Stelleund mit ganzer Willigkeit folgt“. Auch die Mütter kriegen ihr obligatorischesFett ab: Es sei „schwerlich viel (zu erwarten) von dem Hin- undHerrütteln der Empfindungen (...), wodurch besonders Mütter die Erziehungzu besorgen glauben.“ Winterhoff und Bueb sind, ob es ihnen klarist oder nicht, Neu-Herbartianer reinsten Wassers. Auch sie betrachtendas Kind als fundamental unzulängliches Wesen, angewiesen auf denZuchtmeister, welcher es „erbaue und konstruiere (sic), damit (es) dierechte Form bekomme“ (Herbart).Namentlich in Deutschland wurde schon immer mit Vorliebe „ein Defizitblickauf Kinder geworfen“, sagt der Bildungsforscher Hans Brügelmannin einem Interview (StZ, s.o.). Frage: „Weicht diese harte Linielangsam auf?“ Brügelmann: „<strong>Nein</strong>, gegenwärtig erleben wir eher eineRückkehr zu den alten Methoden. (...) Wenn man merkt, es läuft nichtwie gewünscht, greift man eher auf die härteren Regimes zurück.“ Brügelmannspricht vom Schulwesen, aber der Befund lässt sich verallgemeinern.Vorübergehend zeichnete sich hinsichtlich des Umganges mitKindern ein Gesinnungswandel ab, doch die Probleme nahmen kein Ende,und nun ertönt überall der Ruf nach dem „Altbewährten“. Man vergisstdabei, dass ja gerade die Unerträglichkeit des vermeintlich Altbewährteneine Situation heraufbeschworen hatte, in der es zwingend gewordenwar, neue Wege zu erproben – auch auf die Gefahr hin, fehl zugehen.Wenn ein desolater Zustand in einen neuen, aussichtsreicheren transformiertwerden soll und der Übergang erweist sich als unerwartet hindernisreich,bleibt ja doch bestehen, dass der Ausgangszustand desolat war. Auf unserThema bezogen: Wir sind noch ein gutes Stück davon entfernt, dem Ansprucheiner „Pädagogik vom Kinde aus“ gerecht zu werden. Das ändert aber nichtsdaran, dass die Traditionslinie der Sulzers und Herbarts unendlich viel Leid35
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