außen verlagert wird. So werden Kinder aus Selbstschutz heraus gefühllosoder gewalttätig oder beides.“ Man muss nicht in allen Punkten damitübereinstimmen (ob wirklich jede Lenkung von außen unterdrückerischist, steht zu bezweifeln), doch das Zitat macht eines deutlich: Winterhoffkann keineswegs beanspruchen, seine Position ergebe sich zwingend ausfachlichen (medizinischen, tiefenpsychologischen) Überlegungen. Er hatein Meinungsbuch geschrieben. Gruen und er vertreten völlig entgegengesetzteStandpunkte, obwohl beide vor dem Hintergrund der FreudschenTrieblehre argumentieren, Gruen allerdings um ein Vielfachesgründlicher und, das darf man wohl sagen, niveauvoller.Kann ein Kind „zu viel Liebe“ erfahren, wie Bueb meint? Hier handeltes sich um eine modische Denkfigur, die auf ungenauer Beobachtungseelischer Vorgänge beruht. Immer wieder wurde und wird dieserUnsinn verbreitet. Doch Liebe kann nicht „überdosiert“, sondern allenfallsverfehlt zum Ausdruck gebracht werden. Manchmal vermischt sie sichmit anderen Gefühlen (z.B. Angst, Eitelkeit, Ehrgeiz) zu einem beziehungsvergiftendenGebräu. Dann ist aber nicht ein Zuviel an Liebe dasProblem, sondern die Übermacht der „Liebe verunreinigenden“ Emotionen.Hilflosen Eltern zu raten, sie sollten ihre Kinder weniger lieben, istder helle Wahnsinn. Doch man kann ihnen helfen, in der „Kunst des Liebens“(Erich Fromm) kompetenter, kreativer zu werden.Aus kindlicher Perspektive sind die großen Leute ohnehin unbegreifliche kommunikativeVersager: in sich selbst eingesperrt, verklemmt, misstrauisch. Wirbleiben den Kindern in einem spirituell objektiven Sinne immer etwas schuldig!Deshalb braucht man sich keine grauen Haare wachsen zu lassen. So ist einfachdie Realität. Jeder Tag bietet neue Gelegenheiten, Lieblosigkeiten wettzumachen,Versäumtes nachzuholen, achtsamer zu werden, den Kindern Zeitzu schenken, uns wirklich (innerlich!) auf sie einzulassen. Das soll natürlichnicht in Gefühlsduselei ausarten. Jene emotionale Suppe, die entsteht, wennLiebende meinen, sie müssten einander fortwährend mit überschwänglichenLiebesbeteuerungen überschütten, tut keiner Beziehung gut, auch nicht der Eltern-Kind-Beziehung.In amerikanischen Filmen sagen Mütter und Kinder ständigzueinander: „Ich liebe dich, Mom“, „Ich liebe dich, Kleines“. In der Lebensrealitätwäre das ein klares Indiz für eine tiefgreifende Beziehungsstörung,60
ähnlich wie die gegenseitige Überhäufung mit Geschenken (im Unterschied zurauthentischen, freien Geste des Schenkens.)Wer Eltern rät, sie müssten, um ihre Autorität zu wahren, mit Liebe geizen,rät erstens etwas Unmögliches (Liebe lässt sich nicht regulieren wieein Heizkörper) und lenkt zweitens von der entscheidenden Frage ab. Sielautet: Wie kann eine pädagogische Liebesbeziehung gestaltet werden?Kinder lieben einfach. Sie gehen davon aus, ihre Liebe sei gleichsamsinnlich wahrnehmbar wie Musik oder wie ein Duft und bedürfe keinerBeweise, keiner speziellen Ausdrucksformen. Dass es so etwas wie einetechné der achtsamen Mitteilung von Liebe, der Gestaltung von „Liebe-Räumen“ gibt; dass Liebe gepflegt werden muss wie ein Blumenbeet,weil sie sonst von allem möglichen emotionalen Ungeziefer befallen wird,dämmert den Kindern erst nach und nach. Sie leben bis zum ca. neunten,zehnten Lebensjahr in der tiefen Überzeugung, die Liebe zwischenihnen und ihren Eltern sei einfachhin gegeben, selbstverständlich, ungefährdet,unzerstörbar. Kinder sind in Beziehung, sehen sich jedoch derBeziehung noch nicht als einer zu bewältigenden Aufgabe gegenüber.Daher kann von ihnen keine beziehungspflegerische Initiative erwartetwerden. Das obliegt den Erziehungspersonen. Das ist Erziehung. DieKinder schenken ihr riesiges, fragloses, bedingungsloses Vertrauen inden Prozess hinein, die Erwachsenen steuern ihre Lebensreife, ihre sozialeFantasie, ihre Gestaltungsideen bei.Pädagogische Beratung mit dem Ziel, liebenden Eltern einzureden,ihre (angeblich übertriebene) Liebe schade dem Kind, ist eine Falle. Sinnmacht es hingegen, darüber zu sprechen, dass auch die innigste Liebeerst ihr wahres Potential entfaltet, wenn man sie als Gestaltungsherausforderungbegreift und annimmt. Liebe ist sozusagen der Rohstoff, ausdem gelingende Beziehungen erst geschaffen werden müssen. Pädagogikbedeutet, an einer „Wärmeplastik“ (Joseph Beuys) zu arbeiten, die –glücklicherweise – niemals „fertig“ wird, sondern jeden Tag aufs Neuedazu einlädt, an ihr weiterarbeiten. Ein fertiges Kunstwerk ist ein gefrorenesKunstwerk. Majestätisch schön vielleicht, aber eben fertig, beendet.Die Schönheit von Beziehungskunstwerken besteht nicht zuletzt inder Unabänderlichkeit ihrer Unfertigkeit.61
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