Am 03.08.09 zog der SPIEGEL mit dem Titel „Kinder der Angst“ nach.„Das Funktionieren ist zum großen Thema geworden. (...) Eltern sehentäglich, was mit denen passiert, die in der Erziehung scheitern: Sie werdenmit Spott und Häme übergossen. (...) Die Angst davor, (...) einenFehler zu machen, beginnt für viele Eltern lange vor der Geburt. (...) DieSorge darüber, dass der Nachwuchs zu schlecht, zu spät, zu langsamgedeiht oder lernt, bestimmt in vielen Familien den Alltag (...) Das Vertrauenin die Kinder ist kleiner geworden. (...) Riesig (hingegen) die Bereitschaft,der Entwicklung der Kinder nachzuhelfen, sie wenn möglich zubeschleunigen.“ Die Folge: „Immer mehr Kinder zweifeln an sich selbst,haben Angst vor der Zukunft, werden depressiv.“Im Dossier 1/09 der STUTTGARTER ZEITUNG (StZ) lesen wir: „DieAngst der Eltern ist die Not der Kinder. – (Deren) Grundbedürfnisse bleibenauf der Strecke. – Die armen Schüler! Von allen Seiten prasseln Forderungenauf sie ein.“ Ihr Leben scheint, wenn sie nicht gerade schlafen,nur noch aus Training zu bestehen. Beispiel: der so genannte Nachmittagsmarkt.„Mehr als die Hälfte der Eltern in Deutschland (...) geben inzwischenviel Geld (für) individuelle Förderung nach der Schule (aus).Sachbücher, Prüfungsvorbereitungshilfen, Übungshefte, Lernsoftware,Nachhilfeunterricht.“ (Zitatcollage aus mehreren Artikeln) Hinzu kommteine Fülle von so genannten Freizeitangeboten, die ebenfalls irgendwieder Förderung dienen sollen. Statt unbeaufsichtigt draußen herumzustromern,werden die Kinder von einer „sinnvollen Beschäftigung“ zurnächsten gekarrt, und immer geht es darum, sie körperlich, psychischund mental „fit zu machen“. Das Ganze ist, wie die StZ betont, „harteArbeit“ und, pädagogisch gesehen, „eine ziemliche Katastrophe“. In demZEIT-Artikel wird auch Largo zitiert. Er spricht hinsichtlich des permanentenAnpassungs- und Leistungsdrucks, dem die meisten Kinder heuteausgesetzt sind, von einer „hochgradigen Hysterie der Erwachsenen“.Jener Herr Kraus aber erklärt ungerührt: „Die Leistungsfeindlichkeit der68er ist immer noch da.“Was gegenwärtig so vielen Kindern die Lebens- und Lernfreude verdirbt,ist kein Zuwenig, sondern ein Zuviel an Erwartungen und Anforderungen.Largo: „Wenn früher einer eine drei in Mathe hatte, hieß es:´Dann wird er halt Handwerker`. Heute heißt es: ´Dann geht er halt28
zum Therapeuten`.“ Hauptsache Erfolg, egal wie. Hauptsache, der langeMarsch durch die Bildungsinstitutionen, von der Frühfördergruppe bis zurUniversität, verläuft glatt, besser noch: bravourös. Und ja nicht unangenehmauffallen! – Damit ist vor allem die Lage von Kindern aus gut situiertenElternhäusern gekennzeichnet, genauer: von Kindern aus den gutsituierten Elternhäusern, die es nicht schaffen, dem Zeitgeist zu widerstehen,und das sind mittlerweile sehr viele. Man kann ihnen keinen persönlichenVorwurf daraus machen. Es ist schwer, gegen den Strom zuschwimmen, wenn einem die Angst im Nacken sitzt, dadurch am Unglückanderer, in diesem Fall der eigenen Kinder, schuldig zu werden.Ganz anders sieht es im Hartz-IV-Milieu aus. Hier greift Resignationum sich. Für den ganzen Förderaktionismus fehlt sowohl das Geld alsauch die Motivation. Viele Eltern befinden sich in einer psychischen undmentalen Verfassung, die sie außer Stand setzt, ihren pädagogischenAuftrag wahrzunehmen. Man kann es nicht verallgemeinern, aber in derTendenz gilt: Sobald die Kinder alt genug sind, ihre Zukunftsaussichtenhalbwegs realistisch einzuschätzen, sehen sie keinen Sinn mehr darin,sich abzustrampeln. No future. Die Behauptung, jeder habe eine Chancein diesem Land, wenn er sich nur genügend anstrenge, ist perfide. „Esheißt jetzt ´Eigenverantwortung`, wenn die Schwächeren sich selbstüberlassen bleiben. (...) Jeder ist seines Glückes Schmied, hieß es früher.Ist das wirklich so? Junge Menschen, die in soziale Randlagen geworfensind (...), können nichts schmieden“ (Heribert Prantl, Kein schönerLand.) Gleichwohl leiden privilegierte Kinder kaum weniger (wenn auchauf andere Weise) unter der Zeitlage als benachteiligte. Dies festzustellen,schmälert nicht den Skandal der wachsenden Chancenungleichheit.Es zeigt nur, dass unter dem Strich niemandem (auch nicht den vermeintlichenGewinnern) gedient ist, wenn der Kampf um die gesellschaftlichenLogenplätze an Härte immer mehr zunimmt. Oben regiertdie Angst, abgehängt zu werden, unten das frustrierende Gefühl, sogarvom Privileg dieser Angst ausgeschlossen zu sein. Beides trägt nichteben zur psychischen Gesundheit bei.Die ZEIT besichtigt das Krisengebiet: „Knapp 18 Prozent der Jungenund 11,5 Prozent der Mädchen (sind) verhaltensauffällig oder habenemotionale Probleme. Bei 10 bis 11 Prozent eines Jahrgangs wird ein29
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