Der Pädagoge als PolizistWenn gravierende Auffälligkeiten des Sozialverhaltens auf Störungen derfrühen Eltern-Kind-Interaktion zurückzuführen sind (was nicht der Fallsein muss), resultieren sie aus der mangelnden Bereitschaft oder Fähigkeitder Bezugspersonen, die Kontaktangebote des Kleinkindes zu „lesen“(Largo verwendet diese Metapher) und zu beantworten. Bei extrem widerspenstigenoder in ihrer Anspruchshaltung maßlosen Kindern könnenwir fast immer davon ausgehen, dass ein Gefühl der Bedrängnis, der Ungeborgenheitoder des Mangels zugrunde liegt. Dabei ist jeder Einzelfallgesondert zu betrachten. Es muss, wie gesagt, nicht an den Eltern liegen.Aber es kann an ihnen liegen. Zum Beispiel wenn sie ihre Kinderemotional vernachlässigen. Oder wenn sie so erziehen, wie es Winterhoffgern flächendeckend einführen würde.Was Bueb und Winterhoff vortragen, ist weder neu noch originell.Seit geraumer Zeit sind Stellungnahmen mit diesem Grundtenor auf dempopulären Erziehungsratgebermarkt prominent vertreten, nur dass derTonfall immer aggressiver wird. Inzwischen hat er einen Grad vonreaktionärer Emphase erreicht, der an längst überwunden geglaubte Zeitenerinnert. Während Winterhoff in seinen Selbstwidersprüchen herumirrtund alles immer nicht so gemeint haben will, wie man meinen könnte,dass er es meint, redet Bueb Klartext: Die Kinder „erfahren (...) zuviel Liebe.“ Das gehe auf Kosten der Disziplin und erfülle den Tatbestandeiner neuen Art von „Verwahrlosung“.Zu viel Liebe! In seinem durch viele frustrierende Internatsjahre geprägtenWeltbild (er war früher ein Weggefährte Hartmut von Hentigs;der hat sich von den heutigen Positionen seines einstigen Mitstreiters öffentlichdistanziert) ist Liebe offenbar so etwas wie Vanillepudding: Mandarf die Kids nicht damit überfüttern, sonst werden sie dick und gefräßig.Der Mann scheint allen Ernstes zu glauben, die Krise der Pädagogik seiauf übertriebene Kinderliebe zurückzuführen.Und dann der Clou: Verwahrlosung durch Liebe! Da bleibt einem dieSpucke weg. Aber folgen wir der guten Sitte, auch bei Andersdenkenden,mit denen uns nichts verbindet, das berechtigte Kernanliegen aufzuspü-50
en. Man ahnt, welche richtigen Beobachtungen es sind, die Bueb hier sofalsch wie nur irgend möglich interpretiert. Er verwechselt Liebe mit etwasanderem, nämlich mit einer spezifischen Form von Nachlässigkeit,die sich darin äußert, ein Kind, statt ihm Schutz, Sicherheit und Orientierungzu bieten, mit fadenscheinigen Gunstbezeugungen abzuspeisen.Außerdem will er vor der irrigen Annahme warnen, Autorität vertragesich nicht mit Liebe. Diesbezüglich herrscht bei manchen Eltern tatsächlichKonfusion. Bei Bueb allerdings auch. Indem er unterstellt, zu vielLiebe untergrabe die Autorität, verfällt er genau in den Fehler, den eranprangern will, nur anders herum: Liebe und Autorität werden gegeneinanderausgespielt.Wobei Autorität für Bueb bezeichnenderweise nur ein anderes Wortfür Macht ist: die Befugnis, Gehorsam zu erzwingen. Das betont er wiederund wieder. So gesehen, bilden Autorität und Liebe tatsächlich einGegensatzpaar. Liebe sucht, wann immer möglich, den Weg der Verständigung.Wer liebt, will den geliebten Menschen nicht zwingen (auchwenn ihm vielleicht manchmal keine andere Wahl bleibt). Wer auf Machtsetzt, trifft hingegen eine Grundsatzentscheidung gegen den Primat desWeges der Verständigung (auch wenn er ihn vielleicht manchmal gnädigerweiseeinschlägt). Machtansprüche geltend zu machen, heißt, Unterordnungals Status quo zu fordern: Du bist mein Untergebener, so oderso. Verhalte dich dementsprechend! „Väter und Mütter besitzen absoluteMacht über ihre Kinder“, stellt Bueb denn auch fest. Er sprichtvon der naturgegebenen, auf dem Recht des Stärkeren beruhenden, nurdurch gesetzliche Bestimmungen begrenzten Macht. „Kinder sind imbuchstäblichen Sinne ohnmächtig.“ Und das sollen sich die Erwachsenenendlich wieder ausgiebig zunutze machen (auf verantwortungsvolleWeise, versteht sich), sonst geht ihre Autorität flöten. Meint Bueb.„Alle Macht den Eltern“, ist das Kapitel überschrieben.Verständigung zu suchen, geht aber nur dann auf Kosten der Autorität,wenn man letztere so definiert, wie es Bueb tut: als Befehlsgewaltaufgrund einer naturgegebenen Rangordnung. Erwachsene, die bei Kindernechte Autorität genießen (und das ist eben nicht die Machtautorität),erkennt man daran, dass sie wenig herumkommandieren. Sie imponierenerfahrungsgemäß durch überdurchschnittliche soziale Kompetenz,51
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