Fit und fertig. (Oder: Der Zeitgeist bläst zum Angriff aufdie Kindheit.)Bueb, Winterhoff & Co. sind völlig außerstande, Pädagogik als eine Kunstdes Liebens zu denken. Sie wissen offenbar nichts vom Geheimnis derEltern-Kind-Beziehung und von den wunderbaren Freundschaften, diezwischen Kindern und Erwachsenen entstehen können. Ihre Bücher dokumentieren,dass ihnen jegliche Auffassungsgabe für die Qualität fehlt,die einst als pädagogischer Eros bezeichnet wurde. Daher predigen siedas Gegenteil: den pädagogischen Interventionismus aus kühler Distanz,von oben herab. Im übrigen: Emotionale Verwahrlosung bleibt eine Folgevon Vernachlässigung – auch wenn Herr Bueb noch so emsig mit seinerabenteuerlichen These von der Verwahrlosung durch Liebe hausierengeht.Welche Begriffsverwirrung! Hunderttausende lernen diese krudenLektionen. Dabei mangelt es den neuen pädagogischen Hardlinern nichtnur an Einfühlungsvermögen in das kindliche Seelenleben, sondern auchan Realitätssinn. Die Dämonisierung unzähliger Kinder (Tyrannen, Monster,Terroristen) entspricht ebenso wenig der Lebenserfahrung wie dasvernichtende Urteil über Millionen Mütter und Väter. Dazu ein Auszugaus dem lesenswerten Buch Die Elternfalle von Herbert Beckmann: „Dass´das Elternhaus versagt hat`, ist eine der beliebtesten rhetorischenPhrasen von vermeintlichen Experten, die sich zu Trendthemen wie derzunehmenden Gewaltbereitschaft von Kindern und Jugendlichen äußerndürfen. (...) ´Kompetente Eltern` sind heute solche, die wissen, dass sienichts wissen. (...) Die verinnerlichte eigene Unzulänglichkeit wird zumelterlichen Qualitätsnachweis. (...) Es fehlt das Bewusstsein oder die Anerkennungder Tatsache, dass der Einfluss von Eltern auf die Erziehungihrer Kinder heute nur einer von vielen ist, dass Kräfte der gesamten Gesellschaft(mitwirken, die) den elterlichen Absichten und Handlungenvielfach zuwider laufen.“Mit Pamphleten, in denen für eine neue Kälte in der Pädagogik plädiertwird, ist niemandem gedient. Sie laufen faktisch darauf hinaus, einenKeil zwischen Kinder und Erwachsene zu treiben.●62
Nach einer aktuellen bundesweiten Studie des Robert-Koch-<strong>Institut</strong>s leidetjedes fünfte Kind unter Ängsten oder depressiven Verstimmungen(oft, wen wundert’s, in Verbindung mit Auffälligkeiten des Sozialverhaltens),jedes vierte unter Beschwerden wie wiederkehrenden Kopfschmerzen,Leibschmerzen, Übelkeit, Schlafmangel, Dauermüdigkeit,Essproblemen. Dass dies mit Konzentrationsschwäche, Lustlosigkeit,Launenhaftigkeit, geringer Frustrationstoleranz, Verweigerungshaltungenund Schulversagen einhergeht, sollte niemanden verwundern. Viele Kindermüssen ihren Alltag über Jahre hin in einem Zustand bewältigen, indem sich so mancher Erwachsene krank schreiben lassen würde. „Fit undfertig“ (so ein Buchtitel des Schweizer Pädagogen Jürg Jegge) sind immermehr Kinder am Ende ihrer Kindheit, die eigentlich keine war.Man hat sie, die Kindheit, übrigens nicht im 18. Jahrhundert „erfunden“, wieimmer wieder behauptet wird, sondern entdeckt, was einen gewaltigen Unterschiedmacht.Jegge auf die Frage einer Interviewerin, was falsch daran sein solle,„wenn Eltern oder Lehrerpersonen ein Kind bewusst fördern“: „Das Problemist die Fragestellung. Die meisten überlegen sich, wie sie das Kindwettbewerbstauglich und leistungsfähig machen können, auf dass es sichproblemlos in die neoliberale Welt einpflanzen lässt. Stattdessen (solltenwir) schauen, dass das Kind nicht Schaden nimmt vom allgegenwärtigenWettbewerb und vom Leistungsdruck. Wir müssen unsere Kinder seelischstärken.“ Die Interviewerin: „Sind Sie ein Kuschelpädagoge?“ (Ächz!)Antwort: „Das interessiert mich nicht. Tatsache ist: Die Schäden, dieLieblosigkeit anrichtet, sind ungleich größer als die, welche Verwöhnunganrichten kann. (Es kommt heute darauf an), dass man nicht jeden Blödsinnmitmacht. Und dass man den Druck von oben nicht (an die Kinder)weitergibt, damit Freiräume entstehen können.“ (Der Bund, 08.10.09)Immer mehr Kinder funktionieren nicht so, wie man es von ihnenerwartet. Alles eine Frage der Disziplin? Alles nur hysterische Inszenierungenvon kleinen Tyrannen, die man einfach nur durch „abgegrenztes“Verhalten abblitzen lassen muss? Dauermigräne, verursacht durch zu vielLiebe? Trübsinn, Angst und schlaflose Nächte als Quittung dafür, dass63
- Seite 1 und 2:
Henning KöhlerDressurpädagogik? N
- Seite 3 und 4:
gungen des herkömmlichen Erziehung
- Seite 5 und 6:
Key in ihrem Buch Das Jahrhundert d
- Seite 7 und 8:
ten Buch (Tyrannen müssen nicht se
- Seite 9 und 10:
der werden (in fortschrittlichen p
- Seite 11 und 12: fen, dass der Mensch als hochgradig
- Seite 13 und 14: Verständnis für Zusammenhänge er
- Seite 15 und 16: Winterhoff heißt). Die Passage ist
- Seite 17 und 18: geldiagnostische Etikettierung, die
- Seite 19 und 20: griff Schindluder getrieben (darauf
- Seite 21 und 22: „Moralerziehung“, verstanden al
- Seite 23 und 24: „Kinder sind vollwertige Menschen
- Seite 25 und 26: sagt: ´Denn wir müssen zu ihrer B
- Seite 27 und 28: Förderwahn, Abstiegsangst, Resigna
- Seite 29 und 30: zum Therapeuten`.“ Hauptsache Erf
- Seite 31 und 32: Toleranzrahmen immer enger zu ziehe
- Seite 33 und 34: Zwei pädagogische Traditionsström
- Seite 35 und 36: unter den Willen des Erziehers“ l
- Seite 37 und 38: einfach „großgezogen“, sondern
- Seite 39 und 40: der Selbstbewahrung kontinuierlich
- Seite 41 und 42: Zavaglia vom Nürtinger Janusz-Korc
- Seite 43 und 44: fer). Das bilderzeugende Vermögen
- Seite 45 und 46: nander umzugehen. Diese Mitbetroffe
- Seite 47 und 48: ADHS) oder eben, Winterhoff folgend
- Seite 49 und 50: schwert ihn. „Es gibt im Grunde g
- Seite 51 und 52: en. Man ahnt, welche richtigen Beob
- Seite 53 und 54: hier skizzierten Auffassung überei
- Seite 55 und 56: nach Winterhoff exemplarisch intuit
- Seite 57 und 58: onsmuster aufmerksam werden und die
- Seite 59 und 60: aucht, bis es tut, was er verlangt.
- Seite 61: ähnlich wie die gegenseitige Über
- Seite 65 und 66: Gleichzeitig sank die Bereitschaft,
- Seite 67 und 68: ● Und natürlich: Leistung, Leist
- Seite 69 und 70: klasse litten unter psychiatrisch r
- Seite 71 und 72: immer wieder abverlangt werden, dam
- Seite 73 und 74: das heißen soll, „im engeren Sin
- Seite 75 und 76: Herbst 2009Studienkreis für Neue P
- Seite 77 und 78: Fabian, WolfgangFreier JournalistHe