Eva Justin
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106 <strong>Justin</strong><br />
unter der festen Hand der Erzieherinnen allmählich Arbeitsfreude und Stetigkeit,<br />
und heute ist sie wie ihre Schwester Sofia eine allgemein beliebte und<br />
zuverlässige Hilfsarbeiterin in einer Fabrik. Luise sind sogar zwei andere<br />
Arbeiterinnen unterstellt.<br />
Die Pflegeeltern der U r su I a Kurz waren vielleicht nicht so streng,<br />
die Umweltverhältnisse in ihrer Pflegefamilie noch anspruchsloser als die<br />
ihrer Schwestern, so daß erst die 16jährige auffällig wurde. Dabei war sie<br />
geschickt genug, sich zunächst keine groben Verfehlungen zuschulden<br />
kommen zu lassen. Man war nur nicht zufrieden mit ihr. Nach einigen<br />
unsteten und gefährdeten Jahren gebar sie ein uneheliches Kind. Da der<br />
Kindesvater sie heiratete und ein ordentlicher Mann ist, kam ihr Leben von<br />
da an in feste Bahnen. Daß ihr sittlicher Ruf in letzter Zeit nicht mehr ganz<br />
gut zu sein scheint, hängt vielleicht mit der starken Arbeitseinspannung des<br />
Mannes zusammen. Einer solchen Belastungsprobe ist sie aber nicht gewachsen.<br />
Ihre beiden Schwestern sind wohl in dieser Hinsicht nicht gefährdet.<br />
Bei Luise ist vielleicht die schwächere Konstitution und der feste<br />
Halt durch das Heim, in dem sie heute noch wohnt, ausschlaggebend. Ursula,<br />
die von ihren Geschwistern den fremdländischen Typ am auffälligsten zeigt<br />
und die Triebstärke der Zigeuner und deren Unfähigkeit zur zivilisierten<br />
Kindererziehung erbte, beweist nun auch das meiste Verständnis für ihre<br />
Zigeunermutter und nimmt sich ihrer etwas an. Eine gute Ehe hat ihr aber<br />
den äußeren Halt gegeben, so daß sie trotz allem in geordneten Verhältnissen<br />
leben kann.<br />
Wie groß ist nun aber die Belastung der Oeffentlichkeit durch die<br />
Brüder! — ausgenommen Thomas, dessen Persönlichkeitsstruktur erst zuletzt<br />
beurteilt werden soll. Es ist unmöglich, den einzelnen Erbgängen bei der<br />
doppelten Belastung von Vater- und Mutterseite her nachzugehen. Das<br />
primitive, unstete Erbgut einer Zigeunerin mischte sich mit dem einer haltlosen<br />
Alkoholikerfamilie. Daß diese Anlagen sich bei den männlichen Nachkommen<br />
viel schwerer auswirken müssen als bei den weiblichen, deren biologische<br />
Geschlechtsbestimmung weniger Selbständigkeit und Antrieb erfordert,<br />
ist verständlich.<br />
Ueber das Verhalten der beiden ältesten Knaben Max und Otto in<br />
der Kinderzeit wissen wir nichts mehr. Eugen und Friedrich waren in<br />
ihren guten Pflegestellen leicht erziehbar und auch J os ef Kurz, der —<br />
weniger aus eigenem Versagen — von Anfang an in einer Anstalt untergebracht<br />
war, fügte sich dort tadellos ein. Er war wie alle seine Brüder<br />
und Schwestern willig und gutmütig, wurde aber mit den Jahren verschlossener<br />
und leicht reizbar. Er ist der einzige seiner Brüder, der eine<br />
Lehre ohne Schwierigkeiten sogar mit einer Belobigung zu Ende führte.<br />
Seine „psychopathische" Veranlagung verursachte aber am Ende der Lehrzeit<br />
Unstimmigkeiten, so daß der Meister ihn nicht mehr behalten wollte.<br />
Von da an begann sein unstetes Leben. Man muß einräumen, daß die Nachkriegszeit<br />
für sehr viel junge Menschen eine schwere Belastungsprobe war<br />
und auch mancher aus „besseren Häusern" auf die Straße geriet. Wären