Eva Justin
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Lebensschicksale artfremd erzogener Zigeunerkinder 79<br />
„Er war geschickt, fleißig, flink und selbständig. In jeder Hinsicht<br />
gut zu gebrauchen." Er arbeitete drei Jahre bei dem Bauern. Dieser<br />
sagte, er habe noch nie einen so gutmütigen und fleißigen Menschen<br />
im Dienst gehabt. Nur rauchte er sehr viel, so daß von dem Arbeitgeber<br />
ein Teil seines Lohnes immer gleich auf der Sparkasse angelegt<br />
werden mußte, sonst wäre nie etwas übrig geblieben.<br />
Der einzige Tadel, den dieser Bauer aussprach, weist auf einen<br />
fast durchgängigen Fehler, der sich bei den anderen Zigeunern meist<br />
stärker bemerkbar machte. Sie sind sehr leichtsinnig, denken nicht<br />
weiter als bis zum nächsten Tag, stehen weitgehend unter dem Zwang<br />
ihrer unsteten Natur. Wenn nicht der Dienstherr dafür sorgt, daß der<br />
Zigeuner etwas spart, dann wird alles verraucht oder für „unnötigen<br />
Tand" ausgegeben. „Ihr Strumpf hat immer ein Loch". Nur widerstrebend<br />
fügen sie sich dem Zwang, den man ihnen in dieser Hinsicht<br />
auferlegt. So kam es, daß über die Hälfte von ihnen in ihren sozialen<br />
Beziehungen Schwierigkeiten machte. Sie sind launisch, leicht erregbar,<br />
mehr oder weniger neigen sie zum Jähzorn. Wenn ihnen etwas nicht<br />
paßt, laufen sie von der Arbeit fort und können den Bauern auch<br />
mitten in der Ernte im Stich lassen. So sind sie bei ihrer meist anerkannten<br />
Gutmütigkeit im allgemeinen unzuverlässig. Je älter sie<br />
werden, um so häufiger wechseln sie ihre Stellen. Sechs mußten wegen<br />
ihrer charakterlichen Unzuverlässigkeit über das 14. Lebensjahr hinaus<br />
noch einige Jahre in der Anstalt bleiben, oder sie wurden wieder<br />
dahin zurückgebracht. Im allgemeinen war es „in der Anstalt ein<br />
leichtes, mit ihnen fertigzuwerden".<br />
Von den Mädchen hat keines ein Handwerk gelernt. Einige waren<br />
ganz geschickt im Nähen. Als Beruf übten sie diese Fertigkeit aber<br />
nicht aus. Eine von ihnen hat zeitweise als Büglerin gearbeitet, später<br />
versuchten sich zwei als Köchinnen. Alle anderen waren im Alter<br />
zwischen dem 14. und 20. Lebensjahr als Dienstmägde tätig. Mit<br />
ihren Leistungen war man im Durchschnitt nicht so zufrieden wie mit<br />
denen ihrer Brüder. Wohl arbeiteten einige, besonders körperlich<br />
kräftige Mädchen zur vollen Zufriedenheit des Bauern oder der ländlichen<br />
Hausfrau, dann lobte man ihren Fleiß, ihre flinke Arbeit und<br />
vor allem ihr Geschick, mit Kindern umzugehen. Rechnet man noch<br />
diejenigen dazu, die wenigstens zufriedenstellend arbeiten konnten,<br />
wenn sie wollten, so war es aber doch nur ein Drittel, von denen man<br />
einte wirkliche Hilfe hatte. Die übrigen waren zur Hälfte sehr mäßig