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Eva Justin

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Lebensschicksale artfremd erzogener Zigeunerkinder 93<br />

Kinder bekam sie, weil „sie immer zusammen arbeiteten und beieinander<br />

waren. Da käme das von selbst".<br />

Die letzte ist nun der schon mehrmals erwähnte „b es t e Er ziehungs<br />

e r f ol g". Karoline Reinhardt (Gruppe I) wurde von ihrem<br />

9. Lebensjahr an in einem Heim aufgezogen. Ein Oberlehrer berichtete 1926:<br />

„Infolge ihres guten Talents und ihres guten Willens hat sie in der<br />

Schule schnell das früher Versäumte nachgeholt (sie kam ohne jede Schulbildung<br />

in die Anstalt), so daß sie im letzten Schuljahr wohl eine der<br />

besten Schülerinnen war. Nach Entlassung kam sie zu Bauern (1916),<br />

war sehr fleißig, konnte sich RM. 400,— ersparen. 1920 ließ sie sich nicht<br />

abhalten, in die Großstadt zu gehen, wo sie bald verführt wurde und ein<br />

Kind gebar. Von ihren Stammesgenossen wollte sie nie etwas wissen und<br />

bei Besuchen von solchen in der Anstalt und später auch draußen war<br />

sie immer für dieselben unsichtbar; sie wollte keine Gemeinschaft mit ihnen<br />

haben. Sie war wohl eines der besten Erziehungsresultate betr. Zigeunerkinder!"<br />

Seit 21 Jahren wohnt die heute 42jährige in einer Großstadt. Ihre<br />

Wohnung wechselt sie selten. Jetzt hat sie in einem einstöckigen Handwerkerhaus<br />

der Altstadt zwei Zimmer abgemietet und benutzt die Küche<br />

ihrer Wirtin mit. Bei den Nachbarn ist sie angesehen. Man lobt ihre<br />

Sauberkeit, ihre Zuverlässigkeit und mütterliche Sorge für ihre Tochter, die<br />

sie selbst aufzog. Seit mehreren Jahren arbeitet sie bei der Post als Briefträgerin.<br />

Ihren Dienst verrichtet sie pünktlich.<br />

Als wir sie an einem Vormittag gegen 10 Uhr aufsuchten, war die kleine<br />

Wohnung schon aufgeräumt und sauber. Gelassen, freundlich, mit der<br />

Sicherheit eines Menschen, der in geordneten Verhältnissen lebt, bot sie einen<br />

Stuhl an. Weder neugierig noch aufgeregt ließ sie die Fragen an sich herankommen.<br />

Zuerst verhielt sie sich vorsichtig, begriff dann aber erstaunlich<br />

schnell den Sinn und die Notwendigkeit dieser Forschungsarbeit. Ihre Bemerkung<br />

„da hätten wir aber eine sehr interessante Arbeit" deutet auf eine<br />

verblüffende Situationserfaissung ohne Ich-bezogenheit. Die Unterredung kam<br />

für sie ganz überraschend. Niemand weiß in ihrer Umgebung von ihrer<br />

Abstammung. Sie sieht zwar fremdländisch aus, hat aber einen vorwiegend<br />

mediterranen Typ und ist in ihrer Lebensführung so unzigeunerisch, daß<br />

wohl keiner auf den Gedanken kommt, sie für nicht deutschblütig zu halten.<br />

Aus ihrem Leben berichtete sie dann offen und bereitwillig, daß sie in der<br />

Stadt nur kurze Zeit als Dienstmädchen gearbeitet habe. Sie wollte vorwärtskommen<br />

und verdienen und ging dann bald in die Fabrik. Auf ihrem täglichen<br />

Arbeitsweg lernte sie einen Kesselschmied kennen, der ihr die Heirat<br />

versprach. Als dann ein Kind unterwegs war, erfuhr sie, daß er bereits<br />

eine Frau und mehrere eheliche Kinder hatte. (Aus den Jugendamtsakten<br />

ergab sich, daß er darüber hinaus noch für vier uneheliche Kinder von vier<br />

verschiedenen Frauen zahlen sollte.) Er wollte sich scheiden lassen. Sie<br />

hörte aber von anderen Frauen, daß er sehr leicht sei, so daß sie sich ganz<br />

von ihm trennte. Mit seiner Ehefrau freundete sie sich aber an; diese nahm

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