Eva Justin
Eva Justin
Eva Justin
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Lebensschicksale artfremd erzpgener Zigeunerkinder 29<br />
in Vorschlag gebracht, und da sie sich in der Praxis bewährten, wurden<br />
sie dann auch fast lückenlos 1828 vom König!. Ministerium des Innern<br />
als polizeiliche Vorschriften für Zigeuner gesetzmäßig verankert.<br />
Stein legte seinem Entwurf ein genaues Familienregister über jede der<br />
in Württemberg herumziehenden Zigeunerfamilien bei. Er hatte die<br />
ausführlichen Inquisitionsprotokolle, die bei der Untersuchung der<br />
Hannikelbande über deren sämtliche Mitglieder von dem Oberamtmann<br />
Sc haef er in vorbildlicher Weise geführt wurden und dessen 1787<br />
herausgegebene Zigeunerliste als Unterlage benutzt und diese durch<br />
viele Anfragen und persönliche Verhöre ergänzt, wobei er größten Wert<br />
auf die Feststellung der Zigeunernamen legte, ohne die man keine genaue<br />
Personenfeststellung oder gar Genealogie bei Zigeunern durchführen<br />
kann. Diese zuverlässigen Sippenfeststellungen wurden an die<br />
einzelnen Oberämter weiter gegeben, und die Bezirksämter erhielten die<br />
Weisung, regelmäßig am 1. Januar eines jeden Jahres Bericht über ihre<br />
Zigeunerfamilie zu erstatten.<br />
Einige Kinder wurden in dem Vagantenkinderinstitut in Weingarten<br />
aufgenommen. Ihre Schulzeugnisse, die heute noch im katholischen<br />
Pfarramt in Weingarten aufbewahrt werden, lassen ebenso wie bei den<br />
Zöglingen in Friedrichslohra auf Bildungsfähigkeit schließen. Schö 11<br />
äußerte sich über die Erfahrungen, die man mit ihnen im Waisenhaus<br />
Ludwigsburg machte, etwas genauer. Er schreibt, daß man ihnen Lesen<br />
und Schreiben gut beibringen könne. Letzteres lernten sie allerdings<br />
leichter. Selbst kleine Kinder erwürben oft in kurzer Zeit eine zierliche<br />
Handschrift.<br />
"Für Gegenstände des reinen Verstandes haben sie weniger Anlage. Man<br />
würde ihnen zwar unrecht thun, wenn man ihnen Geistesfähigkeiten absprechen<br />
wollte. Sie lernen und begreifen auch, was blos Sache des Verstandes ist; und<br />
zum Theil mit Leichtigkeit. Unter denen zu Ludwigsburg erzogenen Kindern<br />
gab es manche, die, wenn sie auch erst spät dahin kamen, doch noch trendle<br />
Religionskenntnisse erlangten, und es andern oft weit zuvor timten. Aber<br />
Scharfsinn scheinen sie doch nicht zu haben, und ihr Verstand äußert sich<br />
mehr in Beziehung auf sinnliche Gegenstände, als auf geistige Schnelle. Einfälle,<br />
Witz, Verschlagenheit, Einsichten in die Geschäfte des gemeinen Menschenlebens,<br />
Brauchbarkeit dazu — das ist so fast ihre Sache."<br />
Wie verhielten sich nun die, man muß wohl sagen „in Freiheit<br />
dressierten Zigeuner"? Die Berichte wurden regelmäßig bis 1868 eingesandt.<br />
Von Ackerbau und Handwerk treibenden Zigeunern war keine<br />
Rede! Aber es kamen auch keine wesentlichen Klagen über Kriminalität.