Eva Justin
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Lebensschicksale artfremd erzogener Zigeunerkinder 83<br />
gutes Beispiel (vergl. Anhang und Sippentafel II). Wir wollen deshalb<br />
die besonders typischen Verhaltungsweisen dieser Schwestern zusammenfassen.<br />
Maria Reinhardt hatte ihr erstes Kind von einem Säufer empfangen.<br />
Dieser heiratete sie zwar, konnte ihr aber keinen Halt geben, sondern belastete<br />
ihre bescheidenen Anpassungsfähigkeiten durch die große Aufgabe,<br />
elf Kinder zu erziehen.<br />
Schon eine deutsche Arbeiterfrau mit durchschnittlicher Intelligenz<br />
und Erziehung hat es schwer, wenn sie so viele Kinder pflegen und<br />
aufziehen muß. Sie braucht einen guten Mann und die Unterstützung<br />
ihrer Familie oder der Nachbarn, wenn nicht alles drunter und drüber<br />
gehen soll. Für eine Bauersfrau ist es schon leichter. Sie hat wesentlich<br />
geringere Nahrungssorgen, das Hüten und Erziehen der Kinder<br />
gestaltet sich viel organischer. Die Kinder werden in dem kleinen,<br />
gut übersehbaren Lebenskreis früh selbständig und sind bald schon<br />
Hilfen bei der vielen Arbeit. Am wenigsten schwer hat es die<br />
Zigeunermutter, wenn sie bei ihrem Stamm lebt. Während sie auf den<br />
Nährungserwerb ausgeht, hüten der Mann und die älteren Kinder die<br />
jüngsten. Wenn auch die größere Zahl der hungrigen Mäuler mehr<br />
Gewandtheit beim Hausieren und Gerissenheit beim Wahrsagen verlangt,<br />
so erregen doch gerade die vielen kleinen „armen" Kinder auch<br />
das Mitleid der Leute, das den Bettelsack wieder schneller füllt. Früh<br />
lernen die Kinder auch das selbständige Betteln, das Suchen und<br />
Finden gar vieler nützlicher und eßbarer Sachen.<br />
Aber wie sollte eine Zigeunerfrau in einem städtischen Haushalt<br />
mit einem ständig betrunkenen Mann eine große Familie durchbringen?<br />
Sie konnte es nicht. Sie versagte restlos.<br />
Später hat Maria dann, als sie von ihrem Mann getrennt war und<br />
Fremde für ihre Kinder sorgten, längere Zeit gearbeitet. Klagen kamen aus<br />
dieser Zeit nicht. Einfache Magddienste, bei denen sie angeleitet wurde,<br />
konnte sie wohl verrichten. Als sie durch einen Unfall angeblich arbeitsunfähig<br />
wurde, kehrte sie zu ihren inzwischen erwachsenen Kindern zurück.<br />
Viel Liebe konnte sie nicht erwarten, sie wurde ihr auch nicht zuteil. Anstatt<br />
sie zu unterstützen, aß ihr ein Sohn noch das letzte Stück Brot weg. Nur<br />
eine Tochter sorgte für sie und sah auch später darauf, daß sie nicht ganz<br />
verwahrloste. Schließlich hat dann doch wieder der Staat eingreifen müssen<br />
und vermehrte alle die Ausgaben, die er für sie und die Erziehung ihrer<br />
zahlreichen Kinder hatte, noch durch die Kosten für ihre jahrelange Verpflegung<br />
im Altersheim.<br />
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