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Eva Justin

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68 <strong>Justin</strong><br />

im Schweiße seines Angesichtes sein Brot zu erwerben. Heimlich<br />

verachtet er den „Gadjo".<br />

Wie reagiert nun aber ein solcher Primitiver, wenn er ohne Bestätigung<br />

durch seine Artgenossen in einer ihm fremden Umwelt aufwächst,<br />

in der er ständig überfordert wird? Wie bildet sich unter<br />

diesen besonderen Umständen seine innere Haltung, wie entwickeln<br />

sich seine sozialen Beziehungen?<br />

Wenn man in ganz einfacher Weise unter dem Charakter eines<br />

Menschen den bleibenden Kern seiner Persönlichkeit, seines Wesens<br />

verstehen will, •der anlagemäßig entweder fest und unbeeindruckbar<br />

oder gut bildbar oder formlos zerfließend gegeben ist, so kommen wir<br />

beim Zigeuner, und erst recht beim' Zigeunerkind, zu dem Schluß, daß<br />

sich bei ihm wenig findet, was sich als Charakter fassen läßt. Es fehlt<br />

ihm an Eigenständigkeit, an Eigenwillen. Dementsprechend<br />

bereitet es bei richtiger Führung wenig Erziehungsschwierigkeiten.<br />

Nach Ueberwindung der anfänglichen großen Scheu<br />

und Furcht läßt es sich leicht lenken, fügt sich überall gut ein, paßt<br />

sich an, drängt sich nicht auf, ist bescheiden. In diesem Urteil stimmen<br />

fast sämtliche Heime und Anstalten des Reiches überein, die je<br />

Zigeunerkinder beherbergten. Nur in einem württembergischen<br />

Führungsbericht über Zigeuner der Abstammungsgruppe I (S. 36)<br />

fand sich bei Schulkindern der Tadel „eigensinnig", dagegen etliche<br />

Male bei denen der Gruppe II.<br />

Es paßt in dieses Bild, daß sich Zigeunerkinder gegen Arbeiten, die<br />

sie ungern verrichten, nicht auflehnen und daß sie auch kein mürrisches<br />

Gesicht ziehen. Doch versuchen sie sich dann bei passender Gelegenheit<br />

möglichst unauffällig zu drücken. Sie können sich nicht durchsetzen,<br />

sie können nur ausweichen. Eine erfahrene alte Oberin wandte<br />

einen heute selten gebrauchten, für Zigeuner aber sehr gut passenden<br />

Ausdruck an: sie sind untertänig. An ihr Ehrgefühl könne man nicht<br />

wie bei deutschen Kindern appellieren. Begriffe wie Tapferkeit, Mut<br />

schlügen nicht recht an.<br />

Trotzdem hat der Zigeuner, sobald er mit Deutschen gemeinsam<br />

erzogen wird, ein ausgeprägtes Verlangen nach A ne r k en n un g<br />

und Gleichstellung. Zurücksetzung empfindet er stark. Vielleicht ist<br />

dieses neben seiner Gefügigkeit gegenüber nicht ausweichbarem<br />

Zwang noch der relativ stärkste Antrieb zu allen seinen Leistungen<br />

innerhalb der deutschen Lebensgemeinschaft. Das Kleinkind erfährt

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