Eva Justin
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Lebensschicksale artfremd erzogener Zigeunerkinder 47<br />
Wenn auch viele einzelne psychologische Fragen noch offen bleiben<br />
müssen, so gibt uns doch das kleine Material über die allgemeine<br />
durchschnittliche Leistungsfähigkeit und die sozialen Anpassungsmöglichkeiten<br />
dieser primitiven Kinder eine befriedigende und wohl<br />
allgemein gültige Antwort, da sich die Resultate des kleinen Materials<br />
immer durch die Erfahrung mit 600 Fällen vergleichen lassen, ohne daß<br />
hier schon auf große Statistiken eingegangen werden soll.<br />
Von den 90 Kindern wuchsen 10 in einfachen, ländlichen Pflegestellen<br />
auf, eins wurde adoptiert. Die übrigen gab man gleich oder<br />
nach einigen Jahren in Heime. Es läßt sich — auch wenn man die<br />
Erfahrungen an dem Gesamtmaterial mit einbezieht — kein grundsätzlicher<br />
Unterschied in der Entwicklung und Lebensbewährung<br />
zwischen Heim- und Pflegekindern finden. So sind Zigeunerkinder, die<br />
in besonders guten Pflegestellen wie eigene Kinder erzogen wurden<br />
und mit Liebe an ihrer Pflegefamilie hingen, später restlos gescheitert<br />
während beispielsweise den besten Erziehungserfolg in Württemberg<br />
eine heute 40jährige Zigeunerin zeigt, die von ihrem 9. Lebensjahr<br />
an in einem Heim aufwuchs.<br />
Wie verhält sich nun das Kleinkind bis zum 5. Lebensjahr? Es<br />
wird fast ,ausnahmlos beurteilt als: willig, fügsam, bescheiden, verträglich,<br />
gutmütig, im Temperament: lebhaft, z. T. sehr wild; in der<br />
Entwicklung: normal, oft: besonders aufgeweckt. Diese Kinder sind<br />
fast immer die Lieblinge der Pflegefamilie, aber auch der Schwestern<br />
in den Heimen. Zweifellos haben die kleinen fremdartigen Geschöpfe<br />
meist einen besonderen Charme, dem sich auch nüchterne Gemüter<br />
nicht immer entziehen können. Von einem kleinen Kind erwartet man<br />
nichts anderes, als daß es das Herz und Auge erfreut, und wenn es<br />
darüber hinaus noch leicht lenkbar ist, dann erfüllt es wirklich alle<br />
mütterlichen Wünsche.<br />
Mit dem Beginn der Schulzeit setzt eine neue Entwicklungsstufe<br />
ein. Die Kinder sind allmählich fähig, eine Aufgabe zu übernehmen,<br />
darin scheinen sie sich nicht von den unsrigen zu unterscheiden. Die<br />
6jährigen können ohne weiteres eingeschult werden. Es zeigt sich,<br />
daß sie rein leistungsmäßig bis zum 11., 12. Lebensjahr — besonders<br />
wenn sie regelmäßig geschult werden — normal bildungsfähig sind.<br />
Nur drei Sitzenbleiber fanden wir in den unteren Klassen. Mehrere<br />
wurden als sehr gut talentiert bezeichnet und einer als hervorragend