bull_01_03_Tradition
Credit Suisse bulletin, 2001/03
Credit Suisse bulletin, 2001/03
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
NBC, «Let’s Dance», zu später<br />
Nachtzeit, wenn die Generation<br />
vor dem Radio sass, die<br />
hören wollte, was sie schon<br />
kannte. Der Erfolg war dementsprechend;<br />
noch auf der<br />
langen Tournee, zu der er im<br />
Sommer 1935 nach Westen<br />
aufbrach, verlangte das Publikum<br />
vorwiegend nach dem<br />
Schrott der Tagesschlager.<br />
Goodman war im Begriff aufzugeben,<br />
als ihm zu seiner<br />
Verblüffung aus dem jungen<br />
Publikum des Palomar Ballrooms<br />
in Los Angeles schon<br />
vor der ersten Nummer frenetischer<br />
Beifall entgegenbrandete.<br />
Die Kids waren mit<br />
seinem Repertoire bis zum<br />
letzten Stück vertraut. Wegen<br />
der Zeitverschiebung hörten<br />
sie die Live-Sendungen von<br />
NBC New York zur prime time.<br />
Dann rollte der Ruhm zurück<br />
zur Ostküste. A star was born,<br />
the King of Swing.<br />
So tönt Qualität<br />
In den späten Dreissigerjahren<br />
erreichten die Chefs der<br />
«Sosehr der Swing die Ära der<br />
grossen Bands war: Diese<br />
funktionierten auch als Präsentierteller<br />
für grosse Instrumentalisten.»<br />
Duke Ellington<br />
Piano<br />
Artie Shaw<br />
Clarinet<br />
Chick Webb<br />
Drums<br />
Jam Session,<br />
New York, NY,<br />
March 14, 1937<br />
grossen Orchester Hollywood-<br />
Status. In der Sache freilich<br />
hat der Essayist Gene Lees<br />
recht: «Goodman did nothing<br />
first», überhaupt wurzelte<br />
der Swing in seinen Ansätzen<br />
tief in den Zwanzigerjahren.<br />
Zwar war damals der Jazz im<br />
Wesentlichen «two beat music».<br />
Aber die grössten Instrumentalisten,<br />
allen voran Louis<br />
Armstrong im Orchester von<br />
Fletcher Henderson, brachten<br />
ihre Soli «zum swingen». Sie<br />
entdeckten jene schwebende<br />
Qualität, die zum Merkmal<br />
allen Jazz’ wurde, wenigstens<br />
solang er sich an feste Metren<br />
hielt. Swing gross geschrieben<br />
ist ein Stil, swing klein<br />
geschrieben eine Qualität, die<br />
leicht zu fühlen und schwer<br />
zu definieren ist.<br />
Für Henderson arbeitete<br />
als Arrangeur ein Mann, den<br />
Lees zu Recht den «einflussreichsten<br />
und unbekanntesten<br />
Schreiber von nicht-klassischer<br />
Musik im 20. Jahrhundert»<br />
nennt. Er hiess Don<br />
Redman und erfand für Henderson<br />
schon in den Zwanzigerjahren<br />
die Organisation<br />
des Orchesters in drei Sätzen<br />
plus Rhythmusgruppe: Trompeten,<br />
Posaunen, Saxophone.<br />
Mit antiphonischen Ruf-und-<br />
Antwort-Mustern (die letztlich<br />
afrikanisches Erbe waren)<br />
nahm er allen kommenden<br />
Big-Band-Jazz und einen<br />
Grossteil der Unterhaltungsmusik<br />
des 20. Jahrhunderts<br />
vorweg. Es gab nur noch<br />
einen im Einfluss mit Redman<br />
vergleichbaren Komponisten:<br />
Duke Ellington. Aber nicht von<br />
ungefähr nannte der seine<br />
Band «Orchestra». Er war ein<br />
Klangmaler zwischen den<br />
Instrumenten-Sätzen, suchte<br />
nach feineren Mischungen der<br />
Timbres zwischen Blech und<br />
Holz und schrieb auf die Intonations-Nuancen<br />
seiner Solisten<br />
hin. Das Prinzip Redman<br />
war brachialer, einfacher,<br />
erfolgreicher. Ohne Fletcher<br />
Henderson kein Goodman,<br />
ohne Redman kein Henderson<br />
– und, etwas vereinfacht<br />
gesagt, überhaupt keine der<br />
Bands, welche den Swing<br />
berühmt machten: Casa Loma,<br />
die Dorsey-Brüder (erst vereint,<br />
dann jeder für sich, Jimmy<br />
und Tommy), Jimmie Lunceford,<br />
Andy Kirk, Cab Calloway,<br />
Chick Webb, Artie Shaw; nicht<br />
zu reden von den Bands<br />
der Musiker, die im Abglanz<br />
von Goodman erfolgreich wurden:<br />
Lionel Hampton, Harry<br />
James, Gene Krupa.<br />
Count Basie – der Sparsame<br />
Ohne Redman auch kein<br />
Count Basie. In der Intensität,<br />
der Power, dem solistischen<br />
und musikalischen Potenzial<br />
freilich übertraf der sparsame<br />
Pianist und Bandleader zumindest<br />
zwischen 1936 und<br />
1941 alles, was sonst an Bands<br />
nach Glanz und Glamour<br />
drängte – eben weil er es darauf<br />
zunächst nicht angelegt<br />
hatte. Basie kam aus der<br />
Tiefe des mittleren Westens,<br />
aus dem brodelnden Kansas<br />
City des berüchtigten Bürgermeisters<br />
Pendergast, dessen<br />
Korruption einen unschätzbaren<br />
Nebeneffekt hatte: Unter<br />
ihr schossen Prostitution und<br />
Glücksspiel ins Kraut, und<br />
damit die Clubs, in deren Biotop<br />
diese Art von Jazz erst<br />
gedeihen konnte. Man könnte<br />
Foto: Archiv Theo Zwicky, mr.jazz Photo Files, Zürich<br />
68 Credit Suisse Bulletin 3|<strong>01</strong>