LEADERS Modernisierungsprozesse bringen nur für Demokratien Chancen. Andere Staaten laufen Gefahr, zerstört zu werden. C.P. Im Juli werden Sie Führungspersönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft in der Schweiz begegnen (siehe Box rechts). Wie sehen Sie dabei Ihre Rolle? M.V.L. Interessant an derlei Anlässen ist, dass sie erlauben, mit Leuten aus anderen beruflichen Gebieten Gedanken auszutauschen. In der fragmentierten und spezialisierten Welt von heute ist der Dialog unter solchen Fachleuten wichtig. Die Spezialisierung in den Wissensgebieten birgt die Gefahr, dass dieser Dialog abbricht. Im Alltag gibt es für solchen Austausch kaum Zeit und Platz. Deshalb ist eine WINconference eine gute Sache. C.P. Wo profitieren Sie konkret? M.V.L. Ein Schrifsteller muss immer versuchen, Probleme aus verschiedenen Perspektiven zu verstehen. Als Intellektueller muss er dabei klar machen, welche Rolle die Kultur in allen Aspekten des Lebens spielt – in der Politik, in der Wirtschaft, im Sozialen. Mir scheint, ich kann immer zweierlei beitragen zu Fragen, die mit Literatur vordergründig nichts zu tun haben. Zum einen auf dem Gebiet der Sprache; sie richtig zu brauchen nützt allen. Das zweite ist, für die Kraft der Phantasie und der Vorstellungskraft zu sprechen. Das Rohmaterial eines Schrifstellers ist die Phantasie – ein Gut von enormer Bedeutung. Denn ohne Phantasie wird all unser Tun mechanisch und Routine. Und mechanisches Handeln und Routine sind grosse Hindernisse für den Fortschritt. Mario Vargas Llosa, Schriftsteller WINTERTHUR UND CREDIT SUISSE LADEN ZUM FESTIVAL DER PERSPEKTIVEN Der peruanische Schriftsteller Mario Vargas Llosa gehört zu den grossen Namen der Weltliteratur. Der in Arequipa, Peru, 1936 geborene Autor ist einer der prominenten Teilnehmer, die sich am 5. und 6. Juli 20<strong>01</strong> in Interlaken zur WINconference 20<strong>01</strong> treffen werden. Zum Thema «Wandel und Herausforderungen» sprechen über zwanzig Referenten aus Politik, Wirtschaft und Kultur – unter ihnen der deutsche Aussenminister Joschka Fischer, Bundesrat Joseph Deiss, Unicef-Direktorin Carol Bellamy oder Javier Solana, aussen- und sicherheitspolitischer Repräsentant der EU. Die WINconference ist Teil der Initiative «Thought Leader Programme», das die Credit Suisse Financial Services, dem die Teams der Credit Suisse und Winterthur angehören, mit dem Besuch des Uno-Generalsektretärs Kofi Annan im Frühjahr 20<strong>01</strong> lanciert hat. C.P. Sie haben in Ihren Romanen eine vielzahl wunderbarer Figuren geschaffen. Welche dieser «Persönlichkeiten» würden Sie nach Interlaken an die WINconference schicken, wenn Sie einen Stellvertreter brauchen würden? M.V.L. Ich würde mich nie getrauen, eine Auswahl zu treffen. Schliesslich fühle ich mich gegenüber meinen Romanfiguren wie ein Vater mit seinen Kindern. Und selbst wenn ich die eine oder andere in meinem Innersten mehr mag – es wäre gegen meine Moralvorstellungen, eine meiner Figuren zu bevorzugen (lacht). C.P. Wer ist für Sie ein Thought Leader unserer Zeit, den Sie bewundern? M.V.L. Eine Person, für die ich enorm Respekt empfinde, ist ein Intellektueller, der in der Lage war, den Sprung von der Literatur in die Politik zu vollziehen: Vaclav Havel. Er fing aus moralischen Gründen an, für die Freiheit in seinem Vaterland zu kämpfen. Er war übrigens auch ein Staatspräsident, dessen Reden ein Genuss «Mechanisches Handeln und Routine sind grosse Hindernisse für den Fortschritt.» waren. Und das ist selten, werden doch die Reden von Staatsoberhäuptern meist von irgendwelchen Sekretären geschrieben und sind voller Gemeinplätze und Klischees. Havels Reden hingegen sind geistreich, lebhaft, polemisch. C.P. Welches ist für Sie der bedeutendste Wandel, der sich in der Welt vollzieht? M.V.L. Mich fasziniert, dass in unserer Welt die Ländergrenzen langsam verschwinden. Zwar werden dadurch die Nationen nicht einfach aufgelöst; sie werden jedoch mehr und mehr zu Symbolen und Mythen. Die Welt rückt zusammen. Falls sich dieser Trend fortsetzt, dann verschwindet einer der wichtigsten Gründe grosser kriegerischer Katastrophen: die Abneigung gegenüber dem Andersartigen, das Sichverbarrikadieren hinter der eigenen Religion, Nation und Kultur. Eine Geschichte ohne Blutvergiessen – ich weiss, das ist noch Utopie. Ich spüre aber, dass es in diese Richtung geht. C.P. Wo ist die Menschheit heutzutage am meisten gefordert? M.V.L.. Im Kampf gegen die Armut. Zwei Drittel der Menschen leben unter unakzeptablen Bedingungen. Glücklicherweise haben wir heute erstmals in der Geschichte die Mittel, gegen diese Armut zu kämpfen. Heute könnten wir die Schlacht gewinnen – wir besitzen dazu das Wissen und die Technologie. Noch fehlt indes der politische Wille, dies auch durchzusetzen. 74 Credit Suisse Bulletin 3|<strong>01</strong>
SCHERER KLEIBER CD / FOTO UNICEF 40 Millionen Kinder jährlich beginnen ihr LEBEN ALS SCHATTENEXISTENZ. Denn sie werden bei ihrer Geburt nicht registriert. Sie haben also keinen Namen, keine Nationalität und kein rechtmässiges Alter. KINDER OHNE GEBURTSSCHEIN werden von der Schule nicht aufgenommen. Sie können, erwachsen geworden, nicht wählen und nicht heiraten, keinen Boden besitzen und keine Verträge abschliessen. Nichtregistrierte Kinder sind eine Einladung für MISSBRAUCH JEDER ART. Deshalb setzt sich UNICEF dafür ein, dass weltweit jedes Kind einen Geburtsschein bekommt. Und zwar kostenlos. Wie viele Kinder dürfen wir mit Ihrer Unterstützung registrieren lassen? Postkonto Spenden: 80-7211-9 Für die Kinder der Welt.