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Credit Suisse bulletin, 2001/03
Credit Suisse bulletin, 2001/03
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Grège (Rohseide) gezwirnte Seide Schuss Kette<br />
Nachdem der Raupe die Seidenfäden<br />
abgerungen worden sind, durchläuft das<br />
Material einige handwerkliche Stufen,<br />
bis schliesslich der Stoff entsteht, der<br />
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Träume von Luxus und Exklusivität wahr<br />
werden lässt.<br />
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Webstuhl<br />
Schablone<br />
Druckvorgang<br />
Wundersames in der Teetasse<br />
2640 vor Christus fiel, so will es die Legende,<br />
ein Seidenkokon in die Teetasse der<br />
chinesischen Kaiserin Si-Ling. Als die<br />
Dame Si-Ling das Ding aus der Tasse<br />
fischen wollte, zog sie eine tote Raupe<br />
und schimmernde Fäden ans Licht. Si-Ling<br />
soll als erste für das Zwirnen und Verweben<br />
der wunderbar schimmernden Fäden<br />
gesorgt haben.<br />
Etwa 700 bis 1000 Meter Faden sind<br />
aus einem weichgekochten Kokon (siehe<br />
Box) zu gewinnen. Die schimmernden Fäden<br />
werden beim Abhaspeln zu mehreren<br />
auf eine Spule gewickelt, durch Einlagerung<br />
in schwer lösliche Salze oder Zinnphosphatsilikat<br />
beschwert und dann für den<br />
Webstuhl gezwirnt. Die umständliche und<br />
auch heute noch personalintensive Verarbeitung<br />
der Seide macht das Gewebe zum<br />
Luxusprodukt. Faser und Gewebe schimmern<br />
wie ein sanft bewölkter Mond, signalisieren<br />
Noblesse und raffinierte Verführung.<br />
Kein Wunder, dass sich die<br />
Designer seit Urzeiten auf Seide stürzten,<br />
Sittenwächter gegen den Stoff ins Feld<br />
zogen, Märchen und Literaten diesen<br />
Stoff besungen haben.<br />
Emile Zola verfällt der Seide<br />
«Im Hintergrund der Halle war eine der<br />
dünnen gusseisernen Säulen...gleichsam<br />
in ein Geriesel von Stoffen gehüllt. Ein wallender<br />
Wasserfall, der sich von oben herab<br />
immer breiter werdend, bis auf den Parkettboden<br />
ergoss. Da sprudelten helle<br />
Atlasse und zartfarbene Seiden hervor:<br />
Satin à la reine und Satin renaissance in den<br />
Perlmuttönen von Quellwasser; die leichten<br />
Seiden durchsichtig wie Kristall, nilgrün<br />
und indisch himmelblau.» Emile Zola beschreibt<br />
eigentlich in «Au Bonheur des<br />
Dames» den Niedergang und die Verelendung<br />
des textilen Kleingewerbes durch<br />
die Eröffnung der Warenhäuser. Dabei<br />
verfällt der Naturalist Seite um Seite dem<br />
Mythos Seide. Zola ist so besessen von<br />
den fliessenden Seiden wie andere, die in<br />
den erotischen Fäden zappeln und deren<br />
Geschichten bis heute Romanciers zu<br />
Bestsellerautoren machen.<br />
Alessandro Baricco landete 1996 mit<br />
seinem Roman «Seide» in den Bestsellerlisten.<br />
Sein Protagonist kauft Seidenraupen<br />
in Japan. Er verzehrt sich ein ganzes<br />
Leben lang in wilden erotischen Träumen<br />
nach einer fragilen Schönheit der Nacht,<br />
deren Magie Baricco japanischer Seide<br />
gleichsetzt: «Es war, als halte er nichts in<br />
den Händen.»<br />
Auch Ernesto Francos gerade übersetzter<br />
Roman «Fünf Knöpfe aus Seide»<br />
behandelt Besessenheit. Der Konstrukteur<br />
und Eisenwarenhändler Gio Magnasco lebt<br />
Gewobene und bedruckte Seide<br />
KOSTBARES RICHTIG PFLEGEN<br />
Seidengewebe können ungewöhnlich<br />
viel Feuchtigkeit aufnehmen, ohne sich<br />
feucht anzufühlen. Je nach Webart<br />
wirken Seiden auch isolierend. Seide<br />
knittert wenig. Aber direktes Sonnenlicht<br />
und überdurchschnittliche Hitze<br />
brechen den kostbaren Stoff.<br />
Wer Seide trägt, sollte Zeit für die Pflege<br />
oder Geld für die chemische Reinigung<br />
einkalkulieren. Mit speziellen Mitteln in<br />
lauwarmem Wasser von Hand gewaschen,<br />
in Essigwasser geschwenkt,<br />
feucht aufgehängt und ohne grosse<br />
Hitze gebügelt, kann ein Seidenkleid<br />
durchaus Jahrzehnte überstehen.<br />
DIE WICHTIGSTEN SEIDENGEWEBE<br />
Crêpe Georgette: fein und matt, Abendkleider<br />
und Blusen;<br />
Crêpe Satin: starker Glanz, Wäsche und<br />
Abendroben;<br />
Crêpe de Chine façonné: Damenkleider,<br />
Foulards oder Blusen;<br />
Faille: weiche Seide, besonders geeignet<br />
für Kleider und Mäntel;<br />
Taft: steif und knisternd, grosse Roben,<br />
Futter, Blusen.<br />
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