FMag 100 J Frauen
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Die Kämpferin | Im Gespräch mit Renate Schmidt<br />
Rapke: Das Auto war schon fast so ein bisschen<br />
wie ein Wohnzimmer.<br />
Schmidt: Das ging gar nicht anders.<br />
Rapke: Als Bundesfamilienministerin, zuständig<br />
für „<strong>Frauen</strong> und Gedöns“, wie es Kanzler<br />
Gerhard Schröder einst bezeichnete, hast du<br />
die Weichen in der Kinderbetreuung gestellt.<br />
Schmidt: Ich habe begonnen mit der Tagesbetreuung<br />
für die unter Dreijährigen, das erste<br />
Gesetz ist von mir. Es ist noch vor Ursula von<br />
der Leyen in Kraft getreten. Dann gab es ja<br />
einen Regierungswechsel, und wir haben in<br />
den Koalitionsvertrag 2005 in nahezu kongruenter<br />
Übereinstimmung unser SPD-Wahlprogramm<br />
hineingeschrieben: Rechtsanspruch<br />
auf einen Kinderbetreuungsplatz ab dem ersten<br />
Lebensjahr, das Elterngeld und den weiteren<br />
Ausbau der Kinderbetreuung insgesamt.<br />
Und das stieß auch auf absolute Zustimmung<br />
bei Ursula von der Leyen. Ich bin da sehr froh<br />
darum. Ich sage heute: Es war gut so, dass es<br />
so gekommen ist, weil wahrscheinlich nur<br />
eine Unionsministerin so etwas wie das Elterngeld<br />
und auch den Rechtsanspruch auf<br />
eine Betreuung ab dem ersten Lebensjahr<br />
wirklich hat durchsetzen können. Eine SPD-<br />
Ministerin wäre an den Windelvolontariats-<br />
Ramsauern gescheitert.<br />
Rapke: Da ist schon relativ viel für <strong>Frauen</strong><br />
getan worden in den letzten Jahrzehnten. Welche<br />
Baustellen sind denn aus deiner Sicht noch<br />
offen?<br />
Schmidt: Es fehlt den Familien immer noch an<br />
Zeit. Zwar dauert die Arbeitszeit nach Tarifvertrag<br />
nicht mehr so lang, es gibt auch einen höheren<br />
Urlaubsanspruch als zu meiner Zeit. Das<br />
Erstaunliche aber ist: Wir hatten früher trotzdem<br />
mehr Zeit, weil wir nicht dauernd gefordert<br />
waren und weil wir auch mehr Netzwerke<br />
hatten. Meine gesamte Familie lebte am Ort,<br />
und wenn mein Mann und ich mal ins Kino<br />
wollten oder wenn wir Freunde eingeladen<br />
hatten, dann rissen sich die jeweiligen Großmütter<br />
darum, wer die Kinder kriegt. Auch<br />
meine Schwester war da, hat mir geholfen,<br />
mal wieder klar Schiff zu Hause zu machen.<br />
Rapke: Aber das alles gibt es heute so fast nicht<br />
mehr.<br />
Schmidt: Genau. Angesichts der Mobilitätsund<br />
Flexibilitätsanforderungen durch Arbeitgeber<br />
und Wirtschaft sind heute junge Paare<br />
deutlich gestresster, wenn sie kleine Kinder<br />
haben. Hinzu kommen noch befristete Arbeitsverhältnisse.<br />
Und deshalb geht es heute<br />
an erster Stelle darum, mehr Zeit zu haben.<br />
Und dafür ist jetzt weniger die Politik zuständig,<br />
sondern mehr die Wirtschaft. Die Arbeitsbedingungen<br />
müssen so gestaltet werden,<br />
dass sich nicht nur die Familie stromlinienförmig<br />
an die Bedürfnisse der Wirtschaft anpasst,<br />
sondern dass sie den Beschäftigten auch Möglichkeiten<br />
gibt, sich Zeit für andere Menschen<br />
zu nehmen. Das heißt für Kinder, für die Pflege<br />
alter Menschen und natürlich für die Partnerschaft.<br />
Und das ist zu wenig vorhanden.<br />
Rapke: Und für das Kümmern um andere Menschen<br />
sind nicht nur <strong>Frauen</strong> zuständig, sondern<br />
<strong>Frauen</strong> und Männer. Dafür braucht es Gleichberechtigung<br />
im Berufsleben.<br />
Schmidt: Ja, und das ist der zweite Punkt. Wir<br />
müssen zur Entgeltgleichheit kommen, und<br />
das ist nicht nur gerecht, sondern die Voraussetzung<br />
dafür, dass man sich Familienaufga-<br />
12/2017 DER FREISTAAT<br />
Bayerische Schriften für soziale Demokratie<br />
37