Berliner Zeitung 18.05.2019
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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 114 · 1 3· 8./19. Mai 2019 ·<br />
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Report<br />
Tagdes Triumphs: Meinhard<br />
Uentz (mit freiem Oberkörper)<br />
und Wolfgang Wruck rechts<br />
neben ihm halten 1968 den<br />
FDGB-Pokal in den Händen.<br />
Der 1. FC Union Berlin hatte<br />
das DDR-Pokalfinale gegen<br />
den FC CarlZeiss Jena sensationell<br />
mit 2:1 gewonnen.<br />
Die treuesten der treuen Fans<br />
stehen im Stadion an der Alten<br />
Försterei auf der Waldseite<br />
(Foto links).<br />
IMAGO IMAGES; DPA/HANNS-PETER BEYER<br />
Sie sind immer schon mehr gewesen als nur ein Verein, die Eisernen des 1. FC Union.<br />
Und oft genug sind sie unterschätzt worden. Am Sonntag könnten die Fußballer endlich in die<br />
Bundesliga aufsteigen. Und damit ihre stets treu ergebenen Fans selig machen<br />
Wort „Fußball-Gott“ für ihre Lieblinge entdeckt<br />
haben.<br />
Aufnäher knallen sie sich fortan auf Parkas<br />
und Jeansjacken, als die Gegner abseits<br />
des Fußballplatzes noch Walter Ulbricht und<br />
dann Erich Honecker, Sozialistische Einheitspartei<br />
und BFC Dynamo heißen. Von<br />
Mutti oder lieber noch von Oma lassen sie<br />
sich Schals in den Vereinsfarben stricken, als<br />
diese Utensilien noch gar nicht den Status eines<br />
Fanartikels haben. DasWortMerchandising<br />
ist noch nicht erfunden, doch erkannt<br />
haben sie sich trotzdem auf viele Meilen gegen<br />
den Wind an den oft winzigen Details<br />
und an dem Schriftzug auf demVereinsemblem,<br />
der sie alle vereint. Union! Derhochbetagte<br />
einstige Klubpräsident Günter Mielis<br />
staunt noch heute,dass das bürgerlich angehauchte<br />
„Union“ im Vereinsnamen es durch<br />
die sozialistische Zensur schaffte.<br />
Eisern (sie sind ja alte Schlosserjungs)<br />
Union! Es ist die Klammer gegen die Gesellschaft,<br />
es macht sie zu Verbündeten, zu einer<br />
Clique.Sie wollen eben schon damals anders<br />
sein. Dassind sie heute noch, selbst wenn es<br />
an manchen Orten und bei manchen Gegnern<br />
zuSchlägereien und Randale kommt,<br />
zu Feindseligkeiten und Bösartigkeiten.<br />
Doch welche Fangemeinde darf von sich<br />
behaupten, das eigene Stadion, das Wohnzimmer<br />
für die Profis,eigenhändig aufgebaut<br />
zu haben? Auferstanden aus Ruinen sozusagen.<br />
Wer, wenn nicht die Fans aus Köpenick,<br />
dürfen für sich das Patent fürdasWeihnachtssingen<br />
im eigenen Stadion beanspruchen?<br />
Gerade als es dem Verein gnadenlos dreckig<br />
geht, sind die Anhänger da. Das steckt in der<br />
DNA eines jeden Fans aus der Wuhlheide.<br />
„Wir haben immer,injeder Zeit, nach Mitteln<br />
und Wegen gesucht, aus allem das Beste zu<br />
machen“, hat Günter Mielis festgestellt, der<br />
große alte Mann der Eisernen, „deshalb sind<br />
wir auch kein Klageverein.“<br />
Ganz im Gegenteil! Ein stolzer Verein ist<br />
aus den Schlosserjungs geworden, einer mit<br />
mehr als 22 000 Mitgliedernund damit einer<br />
der 25 mitgliederstärksten Vereine in<br />
Deutschland.<br />
Dirk Zingler hat das geschafft, einst einer<br />
der glühendsten Anhänger, ein Stadiongänger<br />
und Eisern-Junkie und seit fast 15 Jahren<br />
Präsident: „Es gab immer ein Hoch und ein<br />
Runter. Aber das haben wir ausgehalten.<br />
Warum haben wir das ausgehalten? Weil<br />
Fußball immer Spaß gemacht hat und weil<br />
Union immer Spaß gemacht hat.“<br />
So wächst der Verein weiter und weiter.<br />
Lauerten in der schlimmsten Zeit die Gerichtsvollzieher<br />
an den Kassenhäuschen<br />
des Stadions, umausstehende Beiträge für<br />
Krankenkassen und Zahlungen an Finanzämter<br />
einzufordern, wurden die wenigen<br />
Sponsoren eher belächelt, dass sie Gelder<br />
in einem Fass ohne Boden versenken würden,<br />
ist für die zu Ende gehende Saison bei<br />
Einnahmen von 47,076 Millionen Euro ein<br />
Gewinn von 70000 Euro prognostiziert. In<br />
Bezug auf die Lizenzspielerabteilung steigen<br />
die Ausgaben gegenüber der Vorsaison<br />
um 1,713 auf 16,325 Millionen Euro. Aus<br />
dem armen Schlucker ist auch dank des<br />
Baustofflogistikers Zingler ein ziemliches<br />
Zweitliga-Schwergewicht geworden, das<br />
seine Arena von jetzt 22 012 Besuchern auf<br />
eine Kapazität von 37000 Besucher ausbauen<br />
will.<br />
„Mittelfristig“ in die Bundesliga<br />
„Das Stadion ist ein Projekt für die nächsten<br />
Jahrzehnte des Vereins“, sagt der Präsident<br />
und setzt die Senatsverwaltung unter Druck,<br />
wie es ihm schon mit dem jetzigen Stadion,<br />
als es noch nicht demVerein gehörthat, allen<br />
Widerständen zum Trotz gelungen ist. Außerdem<br />
hat er auf der jüngsten Mitgliederversammlung<br />
versprochen: „Wir wollen weiterhin<br />
in die Infrastruktur investieren und<br />
mittelfristig in die Erste Bundesliga aufsteigen.<br />
Dasaber geht nicht auf Knopfdruck.“<br />
Vielleicht ja doch. Am Sonntag eventuell,<br />
wenn in Bochum der 15. Saisonsieg gelingt<br />
und Dynamo Dresden gegen den SC Paderborn<br />
Schützenhilfe leistet. Womöglich auch<br />
erst am 27. Mainach dem Relegations-Rückspiel<br />
zu Hause gegen den VfB Stuttgart, der<br />
als Drittletzter der Ersten Bundesliga gegen<br />
den Drittplatzierten der Zweiten Bundesliga<br />
das letzte Ticket für die Erstklassigkeit ausspielt.<br />
Dann würde die Alte Försterei, wie<br />
schon bei fünf ausverkauften Punktspielen<br />
in dieser Saison, ein sechstes Mal aus allen<br />
Nähten platzen.<br />
Waswürde Bundesliga bedeuten für den<br />
„grünen“ Stadtbezirk Köpenick mit seinen<br />
gut 65 000 Einwohnern, die schon jetzt bei<br />
Heimspielen über einen Verkehrskollaps<br />
nach dem anderen stöhnen? Noch mehr Aufmerksamkeit,<br />
noch mehr Umsatz, noch<br />
mehr Augenmerk auf Sicherheit, noch mehr<br />
Verkehr,noch mehr Stau –vor allem aber ein<br />
noch viel größeres Abenteuer.<br />
In diesem Sinne: Undniemals vergessen!<br />
Andreas Baingo<br />
hat in den 70er-Jahren bei Union<br />
Fußball gespielt.<br />
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