Berliner Zeitung 18.05.2019
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18./19. MAI 2019 3<br />
werdendas<br />
Wirselbst<br />
Desaster noch voll mitkriegen<br />
Sarah Wiener,<strong>Berliner</strong>Gastronomin und Fernsehköchin, engagiert sich seit Jahren für Vielfalt –biologische wie kulturelle<br />
gleichermaßen. Doch alles Engagement hat seine Grenzen, wenn sich in der Politik nichts tut. Deshalb will sie jetzt selbst in die<br />
Politik –und kandidiert bei der Europawahl kommende Woche für die österreichischen Grünen<br />
Interview: Johannes Paetzold<br />
IMAGO IMAGES (2)<br />
Rechte verdoppeln wird imEU-Parlament.<br />
Da müssen wir sagen: Nein, das ist unser Leben,<br />
es ist unsere Zukunft, es sind unsere<br />
Kinder.Wir selbst –soalt bin ich auch nicht –<br />
werden noch das Desaster voll mitkriegen,<br />
und ich finde es unverantwortlich und beschämend<br />
und desaströs, dass wir immer<br />
nur Interessen von Splittergruppen im Auge<br />
haben und nicht das große Bild, von Ökologie,<br />
von Vielfalt, von Artenschutz. Wir brauchen<br />
auch Schutz vor der Digitalisierung<br />
und vor Großkonzernen, die unsere Daten<br />
abgreifen, um uns dann ganz sicher in fünf<br />
Jahren zu sagen: Du machst das alles nicht<br />
freiwillig mit und machst dich nicht nackig?<br />
Dann bist du eben nicht mehr versichert.<br />
Sie haben zwar Listenplatz zwei und ganz<br />
gute Chancen, aber bei den deutschen Grünen<br />
wären Sie besser untergebracht. Die sind im<br />
Aufwind–während die österreichischen Grünen<br />
nicht mehr im Nationalrat sitzen, finanzschwach<br />
sind und nicht das beste Image mit<br />
sich tragen.<br />
Gerade deswegen. Diedeutschen Grünen<br />
würden mich nicht unbedingt brauchen.<br />
Wirhaben so viele tolle Leute hier,die sind<br />
so gut aufgestellt. Aber bei den österreichischen<br />
Grünen schaut es wirklich traurig<br />
aus. Sie haben sich zerspragelt („zerteilt“,<br />
Anm. d. Red) in den letzten zwei Jahren,<br />
nicht einmal ein Mandat ist sicher. Zwei<br />
Mandate sind sportlich, das ist mir auch<br />
klar, das ist eine Herausforderung. Aber es<br />
ist wichtig, eine Aufmerksamkeit für Themen<br />
zu schaffen, die mir am Herzen liegen.<br />
Schauen wir mal, wie das ausgeht. Objektiv<br />
muss man sagen, es sieht nicht wirklich gut<br />
aus. Aber es nicht versucht zu haben, wäre<br />
eben noch viel schlimmer.<br />
Sie müssen sich mit dogmatischen Veganern<br />
auseinandersetzen in der eigenen Partei. Erst<br />
unlängst ernteten Sie einen Shitstorm, als Sie<br />
auf Facebook posteten, Mandelmilch sei<br />
keine gute AlternativezuKuhmilch.<br />
Nur zu. Es gibt so viele Ernährungsstile,<br />
wie es Menschen gibt. Und ich finde das<br />
grundsätzlich toll, wenn es Leute gibt, die etwas<br />
ändern wollen, auch mit ihrem Essverhalten,<br />
weil wir wissen, dass wir nicht so weitermachen<br />
können wie bisher. Erst einmal<br />
werden wir immer kränker, aber die Natur<br />
wird auch immer kränker, und die Ressourcen<br />
werden verbraucht. Das wird sich so<br />
nicht ausgehen. Das sagt die Vernunft. Nur<br />
bin ich sicher nicht diejenige, die jemanden<br />
sein Tofu-Schnitzel oder die Wurst aus der<br />
Hand schlagen wird. Ichglaube,dass nur liebevolle<br />
Überzeugungen und gute Argumente<br />
die Menschen dazu bringen, am Ende<br />
das Richtige zu tun. Am Ende wollen wir das<br />
doch alle.<br />
Sie haben jede Menge Kochbücher geschrieben,<br />
zuletzt: „Gerichte, die die Welt veränderten“,<br />
vomWildschweinbraten, den Julius Cäsar<br />
seinen Truppen nach dem Sieg über die<br />
Gallier servierte, bis hin zu den Pfannkuchen<br />
der Bürgerrechtlerin Rosa Parks. Wie kamen<br />
Siedenn auf diese Idee?<br />
Ich war nach so vielen persönlichen<br />
Kochbüchern ein bisschen müde, noch mal<br />
ein Kochbuch zu machen, wo es um regionale<br />
oder nachhaltige Küche geht. Ich hatte<br />
den Eindruck, ich bin egoman leer gequatscht.<br />
Und so eine kulinarische Reise<br />
durch die Geschichte fand ich wahnsinnig<br />
spannend.<br />
Es ist auch eine Geschichte der Köche. Unddie<br />
waren und sind vor allem weiß und männlich.<br />
Ja. Aber das ist nicht nur die Geschichte<br />
der Köche, das ist die Geschichte der<br />
Menschheit. Denn die Sieger schreiben Geschichte,und<br />
das heißt erst einmal, die Frau<br />
kommt gar nicht vor, auch nicht die weiße<br />
Frau. Bis vor kurzem durften Frauen nicht<br />
studieren. Bis vor kurzem durften wir auch<br />
nicht Kunst machen. Durften nicht einmal<br />
beim Marathonlauf teilnehmen. Wirdurften<br />
eigentlich gar nichts und durften auch in der<br />
Ehe vergewaltigt werden, und bei Scheidungen<br />
hat der Mann das Sorgerecht gekriegt.<br />
Das ist der Boden, auf dem wir stehen, das<br />
dürfen wir nicht vergessen. Und dann<br />
kommt natürlich noch dazu, dass vondieser<br />
weißen männlichen Gesellschaft indigene<br />
Völker und andere Völker unterdrückt worden<br />
sind, kolonialisiert, umgebracht, diffamiert,<br />
Kulturen wurden zerstört. Dassind die<br />
Fakten, die wir anerkennen und aufarbeiten<br />
müssen.<br />
Der Kabarettist Hagen Rether hat jüngst gesagt,<br />
unser Thema seien nicht drei Jahre Migrantenströme<br />
vom Mittelmeer –esgeht hier<br />
um die Aufarbeitung von 600 Jahren Kolonialgeschichte.<br />
Die Flüchtlingsproblematik haben wir<br />
uns selber eingebrockt, die hat viel früher anderweitig<br />
angefangen mit unserer Usurpation.<br />
So einfach ist es nicht, dass wir weder<br />
für die Vergangenheit noch für die Gegenwartund<br />
jetzt auch nicht für die Zukunft für<br />
unsere eigenen Kinder die Verantwortung<br />
übernehmen wollen.<br />
<strong>Berliner</strong> Foodies schwärmen ja, der Zustrom<br />
von Menschen aus dem Mittelmeerraum, ob<br />
arabisch, afrikanisch oder vomBalkan, habe<br />
die Stadt kulinarisch extrem aufgewertet.<br />
Zum Mauerfall war Berlin eine kulinarische<br />
Einöde –das muss man dazu auch sagen.<br />
Andere Kulturen befruchten nicht nur<br />
die Kulinarik, sondern sie befruchten uns<br />
„Andere<br />
Kulturen<br />
befruchten nicht<br />
nur die Kulinarik,<br />
sondern sie<br />
befruchten uns<br />
auch geistig,<br />
und sie befruchten<br />
uns auch oft<br />
seelisch.“<br />
auch geistig und oft auch seelisch. Wie<br />
dumm sind wir denn eigentlich, dass wir<br />
nicht versuchen, Menschen, die schon da<br />
sind, zu integrieren? Ihnen die Möglichkeit<br />
zu geben, Teil der Gesellschaft zu sein, damit<br />
sie sich auch so fühlen und diese Gesellschaft<br />
unterstützen? Und man darf janicht<br />
vergessen, dass diese Leute nicht freiwillig<br />
hierherkommen, weil es hier so witzig ist und<br />
man die Alpen noch nicht gesehen hat.<br />
Undwer könnte motivierter sein als jemand,<br />
der Heim und Hofverlässt, um sich anderswo<br />
ein neues Leben aufzubauen?<br />
Es gibt natürlich auch Berührungsängste<br />
und wahrscheinlich auch Probleme, sowie<br />
es auch unter Deutschen Probleme gibt oder<br />
mit anderen Völkern–wie mit uns Ösis.Aber<br />
es nutzt uns überhaupt nichts,das zu dramatisieren.<br />
Ich weiß selber als Unternehmerin,<br />
wie viele Leute wir suchen. Wir finden sie<br />
nicht, wir finden keine Bäcker, keine Fleischer,keine<br />
Köche,keine Kellner,keine Bauern<br />
–wir suchen seit Jahren Lehrlinge. Wir<br />
würden mit Handkuss engagierte junge<br />
Leute nehmen, die sagen „Ja, interessiert<br />
mich!“ Nur wenn wir darauf achten und<br />
Menschen integrieren, schaffen wir auch<br />
Vielfalt und schaffen wir Zukunft und schaffen<br />
wir, dieses ganze Kulturgut und diese<br />
wichtigen Berufszweige auch zu retten.<br />
Siesind vorein paar Jahren in die Uckermark<br />
gezogen und haben dann einfach so mit dem<br />
Imkern angefangen.<br />
Ichwar schon vorJahren beim Imkerndabei.<br />
Aber das war eher so,wie ein Marsmännchen<br />
dazustehen, Waben zu ziehen, Bienen<br />
abzufegen und dann Honig zu schleudern.<br />
Und erst vor sieben Jahren, für meine Fernsehserie<br />
„Sarah Wieners Erste Wahl“, wollte<br />
ich unbedingt eine Dokumentation über Honig<br />
machen. Weil ich ja immer zum Ursprung<br />
gehe. Wir haben einen guten Imker<br />
gesucht. Das war damals die Fischermühle<br />
bei der Forschungs- und Versuchsanstalt<br />
Mellifera. Ich habe da eine Woche mit Norbert<br />
Poeblau mitgeimkert. Und zwar nicht<br />
im Schutzanzug, sondern einfach im Sommerkleidchen.<br />
Obwohl Sie als Kind gestochen wurden, dreimal<br />
in den Bauch ...<br />
Wahrscheinlich sogar öfter. Aber ich<br />
richte mich ja immer nach meinen Meistern<br />
und Vorbildern. Und der Norbert hat eben<br />
ohne Netz und Schutzanzug gearbeitet. Ich<br />
habe gemerkt, dass nur, wenn der Schutz<br />
wegfällt, ich auf einmal ganz anders mit den<br />
Bienen kommuniziereund auch vorsichtiger<br />
mit denen umgehen muss. Und das war so<br />
ein ganz tiefes Erlebnis,das hat mich einfach<br />
gepackt.<br />
Unddeshalb haben Sie sich nicht fünf Pferde<br />
gekauft als Haustiere, sondern Bienen?<br />
Es sind ja keine Haustiere. Das reizt mich<br />
besonders. Bienen sind eigentlich Wildtiere.<br />
Die mich theoretisch nicht brauchen. Das<br />
dürfen wir nicht vergessen. Die Biene<br />
braucht nicht uns, wir brauchen die Bienen.<br />
Die Biene ist so spannend und so vielfältig<br />
und auch so berührend, weil sie schon auf einer<br />
viel weiteren evolutionären Stufe ist als<br />
wir. Ich bin fasziniert von ihrer Zusammenarbeit,<br />
ihrer Sozialisation, vonihrer Kommunikation.<br />
Es macht mich auch so demütig,<br />
weil es im Bienenvolk so viele verschiedene<br />
Persönlichkeiten gibt mit verschiedenen<br />
Aufgaben. Warmduscher bleiben länger im<br />
Stock. Es gibt ungefähr zwei Prozent im Volk,<br />
das sind die Abenteurer, die stürzen sich<br />
raus,auf derSuche nach neuen Höhlen oder<br />
neuen Futterquellen. Undallesind vereint in<br />
einem friedvollen Miteinander und in der<br />
großen Aufgabe desÜberlebens.Das berührt<br />
mich, weil es auch demokratische Diskussionen<br />
unter den Bienen gibt. Da ist nicht einer,<br />
der sagt, wo es langgeht. Unddie Königin ist<br />
die erste Dienerin des Volkes. Sie verbreitet<br />
nur ihren Duft im Stock und harmonisiert<br />
das Volk als Einheit. Aber die Königin –das<br />
arme Mädel –hat nichts anderes zu tun, als<br />
an Hochleistungstagen 2000 Eier zu legen.<br />
Lernen Sie etwa aus Ihren Bienenvölkern für<br />
IhreZeit alsEUAbgeordnete?<br />
Man kann natürlich schon sagen, wir<br />
könnten einen Moment innehalten und<br />
überlegen, wo wir stehen. Unter den Bienen<br />
gibt esriesige Kolonien, die nur für zukünftige<br />
Generationen arbeiten, diesie selbst nie<br />
kennenlernen werden. Egomanie oder Gier<br />
kennen sienicht. Es gibt keine Angeber unter<br />
den Bienen und keine Lügner. Wenn die<br />
Spurbienen nach Hause kommen, um den<br />
anderen vorzutanzen, wo es neue Wohnungen<br />
gibtoder neue Blüten,dannkönnen sich<br />
alle auf sie verlassen. Wir machen uns gern<br />
größer, wenn wir Geschichten erzählen.<br />
Dann wird das Schloss noch zwei Zimmer<br />
größer. Die Spurbienen erzählen die Geschichte,<br />
wie sie ist. Das berührt mich sehr.<br />
Sie zeigen dem Schwarm ihren Enthusiasmus,wenneseine<br />
tolleneueUmgebung ist.<br />
Siefliegen dort wiederhin undkommen wieder<br />
zurück und tanzen wieder. Von Flug zu<br />
Flug nimmt der Enthusiasmus ab. Als würdensie<br />
sagen „Jetzt habich diralle Informationen<br />
gegeben, ich habe euch gesagt, wie<br />
cool dasist,fliegt selber hin!“<br />
Johannes Paetzold versuchte sich an<br />
Cäsars Wildschwein-Festmahl –scheiterte<br />
aber an den Mengenangaben.