Berliner Zeitung 29.06.2019

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Berliner Zeitung · N ummer 148 · 2 9./30. Juni 2019 – S eite 24 * ························································································································································································································································································· Sport Spielplan Bundesliga 1. Spieltag, 16.–18. August 2019: Bayern München - Hertha BSC Borussia Dortmund -FCAugsburg BayerLeverkusen -SCPaderborn Mönchengladbach -Schalke04 VfL Wolfsburg -1.FCKöln Eintracht Frankfurt-TSG Hoffenheim Werder Bremen -Fortuna Düsseldorf SC Freiburg -FSV Mainz 05 1. FC Union -RBLeipzig Festival der Gegensätze Spielplan Bundesliga 10. Spieltag, 1.–3. November 2019: Borussia Dortmund -VfL Wolfsburg RB Leipzig -FSV Mainz 05 BayerLeverkusen -Mönchengladbach Eintracht Frankfurt-BayernMünchen Werder Bremen -SCFreiburg TSG Hoffenheim -SCPaderborn Fortuna Düsseldorf -1.FCKöln FC Augsburg -Schalke04 1. FC Union -Hertha BSC 2. Spieltag, 23.–25. August 2019: RB Leipzig -Eintracht Frankfurt TSG Hoffenheim -Werder Bremen Fortuna Düsseldorf -Bayer Leverkusen Hertha BSC -VfL Wolfsburg FSV Mainz 05 -Mönchengladbach Schalke04-BayernMünchen FC Augsburg - 1. FC Union 1. FC Köln -Borussia Dortmund SC Paderborn-SCFreiburg 3. Spieltag, 30. August–1. September 2019: Bayern München -FSV Mainz 05 BayerLeverkusen -TSG Hoffenheim Mönchengladbach -RBLeipzig VfL Wolfsburg -SCPaderborn Eintracht Frankfurt-Fortuna Düsseldorf Werder Bremen -FCAugsburg SC Freiburg -1.FCKöln Schalke04-Hertha BSC 1. FC Union -Borussia Dortmund 4. Spieltag, 13.–15. August 2019: Borussia Dortmund -Bayer Leverkusen RB Leipzig -BayernMünchen TSG Hoffenheim -SCFreiburg Fortuna Düsseldorf -VfL Wolfsburg FSV Mainz 05 - Hertha BSC FC Augsburg -Eintracht Frankfurt 1. FC Köln -Mönchengladbach SC Paderborn-Schalke04 1. FC Union -Werder Bremen 5. Spieltag, 20.–23. September 2019: Bayern München -1.FCKöln BayerLeverkusen - 1. FC Union Mönchengladbach -Fortuna Düsseldorf VfL Wolfsburg -TSG Hoffenheim Eintracht Frankfurt-Borussia Dortmund Werder Bremen -RBLeipzig Hertha BSC -SCPaderborn SC Freiburg -FCAugsburg Schalke04-FSV Mainz 05 6. Spieltag, 27.–29. September 2019: Borussia Dortmund -Werder Bremen RB Leipzig -Schalke04 TSG Hoffenheim -Mönchengladbach Fortuna Düsseldorf -SCFreiburg FSV Mainz 05 -VfL Wolfsburg FC Augsburg -Bayer Leverkusen 1. FC Köln - Hertha BSC SC Paderborn-BayernMünchen 1. FC Union -Eintracht Frankfurt 7. Spieltag, 4.–6. Oktober 2019: Bayern München -TSG Hoffenheim BayerLeverkusen -RBLeipzig Mönchengladbach -FCAugsburg VfL Wolfsburg - 1. FC Union Eintracht Frankfurt-Werder Bremen Hertha BSC -Fortuna Düsseldorf SC Freiburg -Borussia Dortmund Schalke04-1.FCKöln SC Paderborn-FSV Mainz 05 8. Spieltag, 18. –20. Oktober 2019: FC Augsburg -BayernMünchen 1. FC Köln -SCPaderborn 1. FC Union -SCFreiburg Borussia Dortmund -Mönchengladbach RB Leipzig -VfL Wolfsburg Eintracht Frankfurt-Bayer Leverkusen Werder Bremen - Hertha BSC TSG Hoffenheim -Schalke04 Fortuna Düsseldorf -FSV Mainz 05 9. Spieltag, 25. –27. Oktober 2019: Bayern München - 1. FC Union BayerLeverkusen -Werder Bremen Mönchengladbach -Eintracht Frankfurt VfL Wolfsburg -FCAugsburg Hertha BSC -TSG Hoffenheim FSV Mainz 05 -1.FCKöln SC Freiburg -RBLeipzig Schalke04-Borussia Dortmund SC Paderborn-Fortuna Düsseldorf Auf Hertha BSC und den 1. FC Union warten zum Bundesliga-Auftakt schwere Gegner. Am ersten Novemberwochenende wird in Berlin einmal mehr Geschichte geschrieben. Zum ersten Mal werden ein Verein aus dem Osten der Stadt und ein Verein aus dem Westen der Stadt ein Derby inder Fußball-Bundesliga austragen. Hertha BSC reist dafür eine Woche früher als erhofft nach Köpenick, die Charlottenburger hätten lieber marketingwirksam am 9. November, dem Tagdes Mauerfalls,gegen den 1. FC Union gespielt. Dass jedoch Wünsche in der Spielplan-Bastelei der Deutschen Fußball-Liga (DFL) so gar keine Rolle spielen, mussten die Eisernen ihrerseits auf unangenehme Weise erfahren. So gastiert mit RB Leipzig der Klub im Stadion An der Alten Försterei, den die Unioner von allen 17 Bundesliga-Konkurrenten als einzigen explizit nicht zum Auftakt empfangen wollten. Hertha BSC traf es noch schwerer. Das Team um den neuen Trainer Ante Covic eröffnet die Saison mit einem Besuch beim amtierenden Meister in München. Für den Aufsteiger aus dem Südosten Berlins ist RB Leipzig als Tabellendritter der vergangenen Bundesliga-Saison rein sportlich gesehen gar nicht mal unattraktiv und −viel wichtiger −unter der Führung des neuen Trainers Julian Nagelsmann, womöglich schlagbarer, als es rundumverstärkte Spitzenteams wie Borussia Dortmund, Bayer04Leverkusen oder eben der FC Bayern gewesen wären. Nagelsmann selbst hat sogar schon richtig Lust auf den Auftakt:„Wir freuen uns auf den Startbei Union – einem Aufsteiger mit viel Euphorie und entsprechender Atmosphäreineinem tollen Stadion“ Dennoch wurmt die Eisernen, die Ansetzung. Weil sie an einem so historischen Tagfür den Verein, dem allerersten Bundesliga-Spieltag in der Geschichte des Klubs, „ganz andere Dinge in den Vordergrund treten“ lässt, wie es Oliver Ruhnertineinem Gespräch mit der Sportbild vor einigen Tagen bereits anmahnte. Denn kein Verein im Weltfußball ist den Fans und Verantwortlichen in Köpenick so fremd wie RB.Erst kürzlich hatte Präsident Dirk Zingler bekräftigt, dass ein potenzieller Transfer von Leipziger Spielern zuUnion nicht mit den Werten des Klubs vereinbar wäre. Für so manchen Union- Anhänger stellt sich vor dem ersten Spieltag nun die Frage: Feiert man den Bundesliga-Auftakt wie geplant, oder protestiert man gegen das moderne Fußball-Marketing-Konstrukt aus Sachsens Trend-Stadt. Selbstbewusste Herthaner Mit derlei Problemen hat Hertha BSC indes nicht zu kämpfen. Die Charlottenburger wissen um die Vorzeichen zum Auftaktspiel beim amtierenden Meister in der bayrischen Landeshauptstadt und versuchen die positiven Aspekte aus der herausfordernden Ansetzung zu ziehen. Immerhin wartet auf die Herthaner, die nicht erst seit dem Einstieg von Investor Lars Windhorst sehr an der Maximierung ihrer medialen Reichweite interessiert sind, mit dem Auftaktspiel die ganz große Bühne,liveimöffentlich-rechtlichen Fernsehen, zur besten Sendezeit. Darüber hinaus ist Hertha so etwas Der 1. FC Union empfängt zum Auftakt der Bundesliga-Saison 2019/20 mit RB Leipzig seinen direkten Gegenentwurf, Hertha BSC eröffnet das Spieljahr indes mit einer Reise zum Meister nach München VonMax Ohlertund Sebastian Schmitt DPA wie der Mini-Angstgegner der Münchner,die vonden vergangenen fünf Ligaspielen gegen die Blau-Weißen nur eines gewinnen konnten. Zusätzlich gewannen die Herthaner in den viereinhalb Jahren unter dem eheamligen Trainer Pal Dardai stets ihr Auftaktspiel. Umso selbstbewusster zeigte sich auch dessen Nachfolger Ante Covic. Eine „spannende erste Aufgabe“ sei das Match gegen den Meister, erklärte der gebürtige Berliner und legte mit breiter Brust nach: „Langfristig wollen wir ohnehin die Mannschaft sein, gegen die niemand gerne spielt.“ Ein solches Selbstbewusstsein würde Union auch gerne an den Tag legen, doch stattdessen nervt die Diskussion um den Auftaktgegner schon jetzt. Viel wichtiger wäre eine Konzentration aufs Sportliche, gepaartmit der Euphorie des Aufstiegs, die schon so manchen Bundesliga- Neuling beflügelt hat. Und Flügel können die Eisernen, auf die, nach einem Gastspiel in Augsburg, Heimspiele gegen Dortmund und Bremen warten, wirklich gebrauchen. Nur eben nicht aus einer blauen Dose. 11. Spieltag, 8.–10. November 2019: Bayern München -Borussia Dortmund Mönchengladbach -Werder Bremen VfL Wolfsburg -Bayer Leverkusen Hertha BSC -RBLeipzig FSV Mainz 05 - 1. FC Union SC Freiburg -Eintracht Frankfurt Schalke04-Fortuna Düsseldorf 1. FC Köln -TSG Hoffenheim SC Paderborn-FCAugsburg 12. Spieltag, 22.–24. November 2019: Borussia Dortmund -SCPaderborn RB Leipzig -1.FCKöln BayerLeverkusen -SCFreiburg Eintracht Frankfurt-VfL Wolfsburg Werder Bremen -Schalke04 TSG Hoffenheim -FSV Mainz 05 Fortuna Düsseldorf -BayernMünchen FC Augsburg - Hertha BSC 1. FC Union -Mönchengladbach 13. Spieltag, 29. Nov.–2. Dez. 2019: Bayern München -Bayer Leverkusen Mönchengladbach -SCFreiburg VfL Wolfsburg -Werder Bremen TSG Hoffenheim -Fortuna Düsseldorf Hertha BSC -Borussia Dortmund FSV Mainz 05 -Eintracht Frankfurt Schalke04-1. FC Union 1. FC Köln -FCAugsburg SC Paderborn-RBLeipzig 14. Spieltag, 6.–8. Dezember 2019: Borussia Dortmund -Fortuna Düsseldorf RB Leipzig -TSG Hoffenheim BayerLeverkusen -Schalke04 Mönchengladbach -BayernMünchen Eintracht Frankfurt-Hertha BSC Werder Bremen -SCPaderborn SC Freiburg -VfL Wolfsburg FC Augsburg -FSV Mainz 05 1. FC Union -1.FCKöln 15. Spieltag, 13.–15. Dezember 2019: Bayern München -Werder Bremen VfL Wolfsburg -Mönchengladbach TSG Hoffenheim -FCAugsburg Fortuna Düsseldorf -RBLeipzig Hertha BSC -SCFreiburg FSV Mainz 05 -Borussia Dortmund Schalke04-Eintracht Frankfurt 1. FC Köln -Bayer Leverkusen SC Paderborn-1. FC Union 16. Spieltag, 17.–18. Dezember 2019: Borussia Dortmund -RBLeipzig BayerLeverkusen - Hertha BSC Mönchengladbach -SCPaderborn VfL Wolfsburg -Schalke04 Eintracht Frankfurt-1.FCKöln Werder Bremen -FSV Mainz 05 SC Freiburg -BayernMünchen FC Augsburg -Fortuna Düsseldorf 1. FC Union -TSG Hoffenheim 17. Spieltag, 20.– 22. Dezember 2019: Bayern München -VfL Wolfsburg RB Leipzig -FCAugsburg TSG Hoffenheim -Borussia Dortmund Fortuna Düsseldorf - 1. FC Union Hertha BSC -Mönchengladbach FSV Mainz 05 -Bayer Leverkusen Schalke04-SCFreiburg 1. FC Köln -Werder Bremen SC Paderborn-Eintracht Frankfurt Rückspieltermine: 18. Spieltag: 17.–20. 1. 2020; 19. Spieltag: 24.–27. 1; 20. Spieltag: 31. 1. –3. 2.; 21. Spieltag: 7.–10. 2.; 22. Spieltag: 14.–17. 2.; 23. Spieltag: 21.–24. 2; 24. Spieltag: 28. 2.–2. 3.; 25. Spieltag: 6.–9. 3; 26. Spieltag: 13.–16. 3.; 27. Spieltag: 20.–22. 3; 28. Spieltag: 3.–6. 4; 29. Spieltag: 11.–13. 4; 30. Spieltag: 17.–20. 4.; 31. Spieltag: 24. -27.4.; 32. Spieltag: 2.–4. 5.; 33. Spieltag: 9. 5.; 34. Spieltag: 16. 5.
Berliner Zeitung · N ummer 148 · 2 9./30. Juni 2019 – S eite 25 ························································································································································································································································································· Feuilleton Die Berliner Soulsängerin Astrid North ist tot. Ein Nachruf von Harry Nutt Seite 26 „Bankrottzugehen ist die letzte Todsünde“ Thomas Ostermeier über seine 20-jährige Tätigkeit als künstlerischer Leiter der Schaubühne Seiten 26 und 27 Ricarda Bethke kannte ich längere Zeit nur als Stimme. Als ich sie das erste Mal wahrnahm, war das durchs Telefon, im Sommer 1998. DieStimme hell, zu hell, schien mir, zuaufgekratzt für eine Autorin, die in Zukunft ernst zu nehmen wäre (wie mir von ernst zu nehmender Seite beigebracht worden war). Sie lachte auf meine Frage, obsie etwas für die Zeitschrift, für die ich Texte suchte, zur Verfügung hätte. Sie lachte, womöglich, weil der Titel unsrer Zeitschrift –Sklaven –missverständlich war.Ein Irrtum. Unglückliche Arbeitsverhältnisse war sie seit langem, nicht erst seitdem sich der deutsche Osten im Westen wiederfand, gewohnt. Sie lachte, weil eigentlich alles, was sie bis dahin geschrieben hatte, „zur Verfügung“ stand. Ich wusste nicht, dass es Material der letzten vier Jahrzehnte war, unveröffentlicht zum größten Teil. Heute, 21Jahre später sieht es nicht viel besser aus, mit einer großen Ausnahme. Bethke ist wie wenige, die mir bekannt sind, mit der Literatur, der Produktion und Konsumtion von Sprache, eins. Ein sprachschöpfendes, gesprochenes Wesen, unersättlich. Beständig jung im Aufnehmen von allem, was literarische Reflexion lohnt. Die frühen Jahren im Osten Die Farben der Utopie Eine Würdigung für Ricarda Bethke, einst Lehrerin von Peter Brasch und Bert Neumann, Autorin des Romans „Die anders rote Fahne“, zum 80. Geburtstag VonThomas Martin Als „Unbändige Lehrerin“ wird Ricarda Bethkeam4.Juli im Literaturforum des Brecht-Hauses gefeiert. FRANZISKA HAUSER IhrVorname schon deutet es an: Ricarda, Tochter eines Richard, trägt ihren Namen der anderen Ricarda, Huch, zu Ehren. Und wie diese schürft Bethke tief im Bergwerk des Humanistischen, nicht nur im schöngeistigen Schacht, auch in den Stollen der Geschichte,Philosophie, Sozialpolitik und der Bildung vor allem. Jahrzehntelang hat sie Oberschüler unterrichtet, zunächst in Angermünde, von 1968 bis 1988 an der Max-Planck-EOS in Berlin- Mitte – in Deutsch, Geschichte, Kunst. Mit anderen Worten: Sie hat Spuren hinterlassen. Zu ihren Schülerngehörten Peter Brasch, Dichter, Bert Neumann, Bühnenbildner, Simone Frost, Schauspielerin, um nur drei zu nennen, die ihr zu Freunden wurden und mit Folgen für die Schule verlorenund für die Kunst gewonnen waren. Dass alle drei viel zu früh verstorben sind, verdunkelt diesen Teil des Horizonts; geblieben ist doch einiges. Dass sie im fragilen Rahmen von Schultheater Uraufführungen von Einar Schleef, Thomas Brasch und Lothar Trolle ermöglichte, muss als literaturgeschichtliche Fußnote erinnertwerden. Ricarda Bethke ist als Autorin von Hörspielen, Radioessays, als Literatur- und Theaterkritikerin bekannt geworden. Die junge Frau von damals 60 lächerlichen Jahren, die sie zählte,als ich auf sie traf, schrieb seit vielen Jahren unentwegt, nicht nur an die Tafel, nicht nur in Hefte,auch an Büchern tippte sie. Die ersten Texte,die wir in den erwähnten Sklaven veröffentlichten, waren der Grundstock für ihr erstes Buch, genauer dessen erste Kapitel. Schwer verständlicher Weise sollte dieses kommende Buch ihr einziges bleiben, ihr einziger Roman. Ein Buch aus der deutschen Gesamtrepublik über die ostdeutsche Teilrepublik der frühen Jahre. Ein Buch über eine Zeit der Hoffnung, eine Zeit der Utopie.Der Titel spricht das an, Hoffnung wie Vergeblichkeit: „Die anders rote Fahne“, erschienen 2001. Rezensiert unter dem eingeschränkten Fokus auf ihre Freundschaft mitWolf Biermann. Seither arbeitet sie am Buch über den Vater, Roman ihres Vaters, Richard wie erwähnt, Schmincke mit Nachnamen. Dieser 1875 Geborene, der als Reichstagsabgeordneter der KPD in der Republik von Weimar Spuren hinterlassen hat, der zuvor im frühen Sowjetrussland, in das er als Kriegsgefangener kam, gesundheitspolitisch wirken konnte,der mit dem sowjetischen Volkskommissar für Bildung, Anatoli Lunatscharski, befreundet war,der auf abenteuerliche Weise mit einem gewissen Mao Bekanntschaft schloss, bevor der sich auf seinen Langen Marsch machte, der Carl von Ossietzky versorgte, nachdem er aus dem KZ Sachsenhausen kam –dieser Vater unserer Autorin brachte sich ums Leben auf der Flucht vor seinen nationalsozialistischen Landsleuten, die eben das, sein Leben wollten. Er nahm es sich, vor 80Jahren, selbst. Und wurde für die damals keine anderthalb Monate alte Tochter zur Hauptgestalt ihres späteren Schreibens.Nicht nur ihres: Ernst Schumacher, Brecht-Interpret und Theaterkritiker schrieb ein „Poem des Nichtvergessens“ auf, für, über RichardSchmincke. Mögen Träume nach einer anders roten Fahne,einer gesellschaftlichen Alternative inzwischen mit dem Stigma der Aussichtslosigkeit, der Begriff der Utopie selbst Stigma sein, mögen solche Perspektiven im Schlaf der Vernunft gezeugte Träume sein –umsonst geträumt wurden sie nicht. Es verhält sich mit der Utopie wie mit der Kunst, der eigentlichen Ur-Utopie, von der Heiner Müller sagt, sie kann vor allem eins: Sehnsucht nach einem besseren Zustand vonWelt erwecken. Wierevolutionär diese Sehnsucht ist, sehen wir an Biografien wie der Ricarda Bethkes. Ihre Literatur, ihre Erinnerungen sind aus der antastbaren Zuversicht geschöpft, die nach der Vertreibung aus der Hölle der Ideologien bleibt. Gebrochenes Bewusstsein Gegen die Zeit, die der vornehmste Agent des Vergessens ist, vornehm, weil dieser Agent uns ausnahmslos alle beschattet, stehen die Kunstwerke als kulturelles Gedächtnis der Menschheit. Die Erkenntnis scheint bei der Lektüre von Ricarda Bethkes Texten auf. DieFarben ihrer Zeit, die sie beschreibt, sind überhell und in Pastell gebunden. DieKlänge,die sie anschlägt, sind zum hohen Tongemischt, der die Konturen des verschütteten kollektiven Gedächtnisses freilegt, das nicht nur im verwaisten Denkgebäude DDR dem „unglücklichen Bewusstsein“ anzurechnen ist, das eben jenes Bewusstsein ist, dem nach Hegel „nur das Grab seines Lebens zur Gegenwart kommt“. Ricarda Bethke schreibt über dieses Leben wie eine tapfere Grabräuberin, in dem sie freilegt und ins Licht zerrt, was verschüttet war.Humus,immerhin. DieFacetten dieses in sich gespiegelten gebrochenen Bewusstseins hat Bethke gegen das verbreitete Desinteresse an einer Zukunft für alle in ihrem –imbesten Sinn naiv gemalten –Genrebild aufgefächert, das der Literatur ein Stück Geschichte wiedergibt. Und Hegel, nebenbei, ist einer der Protagonisten ihrer Prosa von Beginn. Mehr noch ist er einer ihrer Schüler, wenig gebührig, immer vorgenommen, muss er zitieren, wird erzitiert. Ihr Hörspiel „Der große und der kleine Hegel“ erzählt davon. Ricarda Bethke, unbändige Lehrerin, unersättliche Leserin, Vorleserin und Schreibende wirdam4.Juli 80 Jahrejung.
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