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Berliner Zeitung 29.06.2019

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29./30. JUNI 2019 7<br />

Haben Sie jemals einer Bohne namens<br />

Blauhilde zugeschaut,<br />

wenn ihre Farbe im Kochtopf<br />

von Tiefviolett in kräftiges Grün<br />

wechselt? Kosteten Sie schon das „Wunder<br />

vonVenedig“ oder„Neckargold“, buttergelbe<br />

Bohnen, denen der bekannte britische Kochbuchautor<br />

Nigel Slater „viel stille Schönheit“<br />

und natürlich Wohlgeschmack attestiert?<br />

Kennen Siedie präzise schwarz-weiß gemusterten<br />

Kerne der Yin-Yang-Bohne, die genauso<br />

aussieht, wie der Name sagt? Oder haben<br />

Siesich schon einmal an den rot-weißen<br />

Sprenkeln der Borlotto–Bohne erfreut, die jeden<br />

Garten und jeden Teller verschönert?<br />

Wenn nicht, sollten Sieestun.<br />

Es gibt grüne,gelbe,lila-, creme-, ja mehrfarbige<br />

Bohnen mit Kernen in allen Schattierungen<br />

vonWeiß über Rotbraun bis Schwarz,<br />

nur wenige davon kann man kaufen. Es<br />

lohnt sich, sie kennenzulernen, auch wenn<br />

die klassischen grünen sehr lecker sind. Vor<br />

allem wenn sie knackfrisch aus dem eigenen<br />

Garten kommen. Oder vomeigenen Balkon.<br />

Viele Sorten sind so hübsch, dass man sie<br />

auch als Zierpflanzen kultivieren könnte,besonders<br />

die rankenden. Mit herzförmigen<br />

Blättern und anmutigen Blüten erklimmen<br />

sie Stangen, Zäune oder Bäume.Sehr kräftig<br />

wuchern die knallrot oder auch weiß blühenden<br />

Feuerbohnen. Ihre flachen langen<br />

Schoten, die man botanisch korrekt übrigens<br />

Hülsen nennt, sind in ausgewachsenem Zustand<br />

ein bisschen haarig und zäh und haben<br />

außerdem Fäden. Jung geerntet sind sie<br />

aber zart. Später werden nur ihre oft mehrfarbigen<br />

Kernegegessen.<br />

DIE ANDEREN STANGENBOHNEN haben rundere,<br />

meist längere und vor allem dünnere<br />

Schoten als Feuerbohnen, ranken aber auch<br />

locker zwei Meter in die Höhe.Buschbohnen<br />

dagegen wachsen nah am Boden, sie brauchen<br />

weniger Nährstoffe als ihre rankenden<br />

Verwandten, schließlich bleiben sie kleiner.<br />

Die Ackerbohne (Vicia faba), auch Dicke<br />

Bohne oder Saubohne genannt, aß<br />

man in Europa schon in der Bronzezeit,<br />

Gartenbohnen (Phaseolus vulgaris) dagegen,<br />

also Stangen- und Buschbohnen,<br />

wurden erst vom amerikanischen Kontinent<br />

mitgebracht. Anders als Tomaten<br />

und Kartoffeln, die ebenfalls als koloniale<br />

Beute zu uns kamen, fanden sie zügig in<br />

die Gärten und Töpfe der breiten Bevölkerung.<br />

Das lag teils sicher daran, dass man<br />

die Ackerbohne schon lange kannte. Dazu<br />

kam, dass auch die neuen Bohnen leicht<br />

anzubauen waren. Man musste sich nur<br />

auf ihr Wärmebedürfnis einstellen.<br />

Während die einheimischen Dicken<br />

Bohnen schon sehr früh im Jahr gedeihen,<br />

mögen Stangen- und Buschbohnen keine<br />

Kälte. Frost bringt sie um, vor Ende Mai<br />

läuft hier gar nichts. Ist es warm genug,<br />

liegt die Bodentemperatur also bei mindestens<br />

zwölf Grad, keimen und wachsen<br />

sie aber so schnell, dass es Geschichtenerzähler<br />

inspirierte.Indem englischen Märchen<br />

„Jack and the Beanstalk“ schafft es<br />

eine Bohne über Nacht bis in den Himmel.<br />

Bohnen gedeihen in der Sonne wie<br />

im Halbschatten. Als Leguminosen, also<br />

Pflanzen, die mithilfe winziger Knöllchenbakterien<br />

Stickstoff aus der Luft aufnehmen,<br />

kommen sie auch mit nicht ganz<br />

so üppigen Böden zurecht. Und, vielleicht<br />

das Erfreulichste, wir können sie bis Ende<br />

Juli in die Erde stecken.<br />

Wenn Sie also schon länger ihren grünen<br />

Daumen testen wollen, sollten Sie<br />

sich eine Tüte Bohnensamen besorgen.<br />

Am besten eine alte, seltene, samenfeste<br />

Sorte, mit der es im nächsten Jahr weitergehen<br />

kann. Denn auch die Samengewinnung<br />

ist bei Bohnen kinderleicht –man lässt<br />

eine Schote ausreifen und trocknet ihre<br />

Kerne, die dann etwa drei Jahre lang ihre<br />

Keimkraft bewahren.<br />

Bohnen enthalten jede Menge Eiweiß<br />

und sind in vielen Kulturen ein geschätztes,<br />

ja lebenswichtiges Grundnahrungsmittel.<br />

Vielleicht ranken sich deswegen so viele Geschichten<br />

um sie.Sosoll die besonders hüb-<br />

Ein Herzund<br />

eine Bohne<br />

Sie wachsen schnell und sehen gut aus dabei, sie garantieren auch<br />

unerfahrenen Gärtnern ein Erfolgserlebnis und sind dazu noch gesund:<br />

Ein Lob der Hülsenfrucht<br />

VonSabine Rohlf<br />

Bohnensamen in den Boden gesteckt, und schon zwei Monate später kann geerntet werden.<br />

sche Monstranzbohne erstmals dort gewachsen<br />

sein, wo während der Französischen<br />

Revolution eine Monstranz vergraben<br />

wurde. Ihre Kerne haben einen unregelmäßigen<br />

Fleck in Form dieses Kirchen-Kultgegenstandes.Inanderen<br />

Überlieferungen fällt<br />

so eine Bohne vom Himmel, um eine vom<br />

IMAGO IMAGES<br />

Teufel initiierte Hungersnot zu beenden.<br />

Manche Menschen interpretieren die rotbraune<br />

Zeichnung auf den weißen Bohnen<br />

auch als Engel –sooder so stellt man aus ihnen<br />

gernRosenkränzeher.<br />

In den USA erzählt man vonfreundlichen<br />

Ureinwohnern, die halb verhungerte Siedler<br />

mit getrockneten Bohnen retteten. Die„Trail<br />

of Tears“-Bohne, die „Pfad der Tränen“-<br />

Bohne, erinnert dagegen mit ihrem Namen<br />

bis heute an die massenhafteVertreibung der<br />

Cherokee und anderer Stämme aus ihrer<br />

fruchtbaren Heimat im Südosten der USA<br />

nach Oklahoma. DieDeportationen in karge<br />

Regionen, die für Tausende mit dem Todendeten,<br />

gelten als Höhepunkt der Gewalt gegen<br />

die indigenen Völker in den Vereinigten<br />

Staaten.<br />

Auf dem amerikanischen Kontinent werden<br />

Kletterbohnen traditionell in Gemeinschaft<br />

von Mais und Kürbis kultiviert, in einer<br />

„DreiSchwestern“ genannten Mischkultur.Die<br />

Bohnenranken finden Halt am Maisstängel,<br />

die festen, haarigen Kürbisblätter<br />

bieten Schutz vor hungrigen Waschbären,<br />

während die Bohne ihrerseits die andern<br />

Pflanzen mit Stickstoff versorgt. Michelle<br />

Obama pflegte und würdigte diese Anbauforminihrem<br />

White HouseKitchenGarden.<br />

Bohnen fühlen sich aber auch in Gesellschaft<br />

von Kohl, Gurken, Salaten, Sellerie<br />

und Tomaten wohl, besonders gut passt<br />

auch Bohnenkraut –essollzudem schwarze<br />

Läuse vertreiben, die zarte Bohnentriebe<br />

gern aussaugen. Nicht sogut sollen sie mit<br />

Erbsen,Fenchel, Lauch und Zwiebelgewächsen<br />

harmonieren, das sagt die einschlägige<br />

Biogartenliteratur.<br />

ALS RANKHILFE EIGNET SICH alles vonZaun<br />

bis Gitter, besonders hübsch sind Bohnenzelte<br />

aus oben zusammengebundenen Ästen.<br />

Um jede Stange legt man vier bis fünf<br />

Bohnen und zwar maximal zwei Zentimeter<br />

tief. Der Boden sollte locker und mit<br />

Kompost angereichert sein, Stickstoffdünger<br />

wie Brennnesseljauche dagegen<br />

schadet eher, damit versorgen sich die<br />

Pflanzen selbst. Leider lieben Nacktschnecken<br />

zartes Bohnengrün sehr, daher<br />

brauchen die Jungpflanzen ein bisschen<br />

Schutz. Manche Gärtner ziehen sie deswegen<br />

auch in Töpfen vor, bis sie eine stabile<br />

Größe erreicht haben. Aber selbst<br />

wenn dieunteren Blätter abgefressen werden,<br />

wachsen die Pflanzen oft unbeeindruckt<br />

weiter. Einmal in Schwung, blühen<br />

sie bis in den Herbst hinein und bilden<br />

unermüdlich neue Schoten aus.<br />

Bohnen sind ein unkompliziertes Anfängergemüse,<br />

Kitas und Schulen nutzen<br />

sie gern, um Kindern die Freuden des Gemüseanbaus<br />

nahezubringen. Wichtig ist<br />

in diesem Zusammenhang, dass Bohnen<br />

ungekocht Phasin, eine giftige Eiweißverbindung,<br />

enthalten. Also beißen Sie nie in<br />

ein rohes Exemplar, soappetitlich es auch<br />

aussehen mag, und warnen Sie die lieben<br />

Kleinen – gekocht besteht keinerlei Gefahr.<br />

Natürlich machen eigene Bohnen ein<br />

bisschen Arbeit, wenn man pflanzt, gießt,<br />

Läuse abwischt oder Schnecken vertreibt,<br />

wenn man jätet, pflückt, verarbeitet, wozu<br />

bei manchen Sorten auch das Entfernen<br />

der Fäden gehört. Aber wenn man nicht<br />

wie Henry David Thoreau, der in seiner Zurück-zur-Natur-Bibel<br />

„Walden“ davon berichtet,<br />

mehrere 75Meter lange Bohnenreihenanlegt<br />

undsich schwer überfordert,hält<br />

sich dieMühe doch in Grenzen.<br />

Vorallem aber belohnen uns diese Hülsenfrüchte<br />

mit einer so gut wie sicheren<br />

Ernte und besonderen Qualitäten: Als überaus<br />

vielfältiges, gesundes, dekoratives und<br />

delikates Nahrungsmittel, mit dem man ein<br />

bisschen angeben kann und über das es so<br />

viel zu erzählen gibt, dass es jedes Tischgespräch<br />

belebt.<br />

Sabine Rohlf störtanBohnen nur,<br />

dass die violetten beim Kochen immer<br />

grün werden.<br />

LEBEN &STERBEN<br />

Heute: Sabine Kroh, Hebamme<br />

Der Hund tut nix<br />

Hunde waren mir schon immer fremd<br />

und haben mich eher ängstlich gemacht.<br />

Zu Beginn meiner Arbeit als Hebamme<br />

fragte ich nie im Voraus,obesHunde<br />

im Haus gibt und ärgerte mich dann über<br />

mich selbst, wenn ich doch bellend an der<br />

Tür empfangen wurde.<br />

Wenn ich ankam, bat ich die Familien,<br />

den Hund während des Besuchs wegzusperren.<br />

Diemeisten wunderten sich über diesen<br />

Wunsch, gaben ihm aber nach.<br />

Allerdings nicht alle.<br />

Einmal reagierte eine Frau beim ersten<br />

Besuch im Wochenbett auf meine Bitte, vor<br />

dem Eintritt in dieWohnung und den Beginn<br />

meiner Arbeit einen auf mich gefährlich wirkenden<br />

Hund wegzusperren, mit großem<br />

Unverständnis und war empört. Ach, Rex ist<br />

doch ganz lieb.Wirklich, der tut nix. Er freut<br />

sich, wenn du kommst.<br />

Ja,klar.<br />

Vonder sehr knappen Zeit des Hausbesuches<br />

waren schon zwanzig Minuten verstrichen,<br />

sie gab nach und sperrte den Hund mit<br />

lautem Stöhnen in die Küche.Ich glaube,ich<br />

sah bei ihr rollende Augen und hörte ein<br />

Grummeln des Unverständnisses. Ich<br />

konnte mit der Arbeit beginnen und ging mit<br />

Frau und Baby an den Wickeltisch.<br />

In der Zwischenzeit kam der Ehemann<br />

heim, der vonunserem kleinen Disput nichts<br />

wusste und wunderte sich wohl über den<br />

eingesperrten Hund.<br />

Keine Minute später rasteder Hund in das<br />

Zimmer, um zielstrebig Anlauf auf meine<br />

Wade zu nehmen. Eingreifen konnte hier<br />

keiner mehr. Ich erinnere mich gut an den<br />

Moment, in dem seine Zähne sich in meine<br />

Wade gruben und wieWiderhaken fest steckten.Wie<br />

gelähmt starrten die Besitzer ihr geliebtes<br />

Tier an.<br />

Starr stand ich da und sah das große<br />

schwarze Tier an meiner Wade. Ich weiß<br />

nicht, nach wie vielen Sekunden oder Minuten<br />

der Mann endlich eingriff. Irgendwann<br />

ließ Rex von mir ab, wandte sich seinem<br />

Herrchen zu und biss auch ihn in den Arm.<br />

DieFraufing an zu schreien, griff beherzt<br />

nach dem großen Tier und drückte es mit ihrem<br />

Körper zu Boden. Die Frau hatte das<br />

schwarze Tier im Griff und gewann die Oberhand.<br />

DerMann nahm sein Baby und wir verließen<br />

den Raum. Ich zog die Lederstiefel, die<br />

ich trug, aus und verstand sofort, dass diese<br />

mich vor einer schlimmeren Verletzung gerettet<br />

hatten. In meinem Bein klaffte eine<br />

große Wunde. Der Arm des Mannes sah viel<br />

schlimmer aus. Der Hund musste eine Arterie<br />

erwischt haben und es sprudelte rhythmisch<br />

helles Blut aus der Wunde. Mein aus<br />

den vielen Stunden im Kreißsaal geübtes<br />

Auge sah, dass da ein großer kräftiger Mann<br />

vormir stand, der in Ohnmacht fallen würde.<br />

Ich eilte zu meinem Koffer und versorgte<br />

erst mal die Wunde des Mannes. Langsam<br />

wurde auch mir ein bisschen mulmig. Zehn<br />

Minuten später saßen wir beide im Krankenwagen<br />

und wurden in die Notaufnahme gefahren.<br />

Der junge Arzt, der Dienst hatte,<br />

schüttelte den Kopf und verpasste mir eine<br />

Tetanusimpfung und eine sehr schmerzhafte<br />

Impfung gegen Tollwut in die Bauchdecke.<br />

Diese feine Bauchdecken-Prozedur<br />

folgte dann im Abstand von jeweils vier Wo-<br />

chen noch dreimal. Wie ich später erfuhr,<br />

hatte der Hund auch noch versucht, die Frau<br />

zu beißen.Wiekann man dieses Tier mit dem<br />

Baby auch nur eine Sekunde allein zu lassen?<br />

Eine unmöglicheVorstellung, auch wenn der<br />

liebe Rexsonst immer ganz fröhlich mit dem<br />

Schwanz wedelt.<br />

Warum letztendlich gerade dieser Hund<br />

mich gebissen hat, konnte niemand wirklich<br />

sagen.<br />

Vielleicht, weil er weggesperrt wurde,<br />

vielleicht, weil er meine Angst spürte oder<br />

weil er am Ende doch sein Familienrudel beschützen<br />

wollte? Nicht ganz zwei Jahre später<br />

biss mich wieder ein Hund bei einem<br />

Hausbesuch, gerade in dem Moment, als ich<br />

mit dem Baby zumWickeltischging. Diesmal<br />

in die Hand.<br />

Inzwischen sage ich es immer rechtdeutlich<br />

und vor der Aufnahme der Betreuung:<br />

Bitte sperren Sieden Hund sicher weg, wenn<br />

ich zum Hausbesuch komme.<br />

Nächste Woche schreibt an dieser Stelle der<br />

Bestatter Eric Wrede.

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