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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 148 · 2 9./30. Juni 2019 27<br />
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Feuilleton<br />
bühne hat 32.<br />
Das kann man Castorf nicht ankreiden,<br />
dass er seine Leute im Freestyle beschäftigt<br />
hat. Einige seiner Stars hätte er wahrscheinlich<br />
anders nicht halten können. Er hat sie<br />
mit seiner Kunst ans Haus gebunden, seien<br />
wir froh, dass wir sie auf der Bühne sehen<br />
konnten. Man muss doch nicht immer alles<br />
wie ein deutscher Buchhalter sehen.<br />
Sie nehmen für sich in Anspruch, Verantwortung<br />
zu übernehmen und haltbare Strukturenfür<br />
eine Zeit nach Ihnen zu installieren …<br />
Ichbin ja auch ein anderer Typ, aber ich<br />
habe eine große Sympathie für Anarchisten.<br />
Ich finde das völlig legitim, wie Frank<br />
Castorf das gemacht hat. Er hat Theatergeschichte<br />
geschrieben, und man rechnet<br />
ihm kleinlich hinterher. Das gab es zu Zeiten,<br />
als etwa Peter Zadek das Hamburger<br />
Schauspielhaus geleitet hat, nicht. Damals<br />
galt nur als richtiger Künstler,wer ein Haus<br />
mit Schulden übergeben hat. Ich finde,<br />
dass da einiges an Mut und Subversivität<br />
verloren gegangen ist. Wir sind Theaterleute,<br />
unsere Kunst funktioniert, wie jede<br />
andereKunst, nur,wenn sie absolut frei ist.<br />
Deshalb wird sie subventioniert. Das<br />
Sprechtheater belastet den Etat des Landes<br />
Berlin mit lediglich 0,7 Prozent. Und wir<br />
werden manchmal behandelt, als würden<br />
wir wie die Made im Speck sitzen.<br />
Ich verstehe immer noch nicht, warum Sie<br />
den Liebling der Kulturpolitik spielen …<br />
Ichhabe eine ArtGroße-Bruder-Rolle abbekommen.<br />
Schlingensief und Castorf haben<br />
im Kinderzimmer die Türme aus Bauklötzen<br />
umgeschmissen und kaputt gemacht.<br />
Und ich bin rein und hab gesagt,<br />
noch mal Raufschlagen bringt nichts,ich versuche,das<br />
mal wieder aufzubauen.<br />
Aber warum so diszipliniert?<br />
Wenn man mit dreißig in so eine Position<br />
kommt wie ich, dann verzeihen sie einem alles,<br />
außer dass du rote Zahlen schreibst. Da<br />
hätten sie uns gekillt. In diesen durchökonomisierten<br />
Zeiten darfst du alles denken und<br />
sagen, du darfst nur nicht bankrottgehen,<br />
das ist die letzte Todsünde.<br />
Wollten Siemal hinschmeißen?<br />
Daskam schon mal vor. Aber nicht am Anfang.<br />
Da war ich noch trotzig und wollte beweisen,<br />
dass ich es kann. DerWunsch hinzuschmeißen<br />
kam erst, als es lief. Undsorichtig<br />
angekommen sind wir erst in den Zehnerjahren.<br />
Mit„Hamlet“ und„Volksfeind“. Oder mit<br />
unseren jüngeren Produktionen wie „Rückkehr<br />
nach Reims“ oder „Professor Bernhardi“.<br />
Jetzt haben wir sehr viele Produktionen,<br />
die wir sorglos ansetzen können und bei<br />
denen das Haus immer voll ist.<br />
Woher kommt der Erfolg?<br />
Wir machen Schauspielertheater, bei uns<br />
ist das Ensemble der Star.Aber den Erfolg haben<br />
wir möglicherweise auch den anderen<br />
Häusern zuverdanken. Ich glaube, dass sich<br />
die Theaterlandschaft ganz böse ins Ausmanövriert<br />
hat. Wir hatten in den letzten Dekaden<br />
ein paar großartige Künstler, die viele<br />
völlig zu Recht bewundern. Frank Castorf,<br />
Christoph Schlingensief und andere, hauptsächlich<br />
aus der Volksbühne.Dann sind sehr<br />
viele auf diesen ästhetischen Weg eingeschwenkt,<br />
anstatt die Unterschiede zu betonen<br />
und eine Vielfalt von Handschriften zu<br />
erstreben. Jetzt will jeder Intendant seinen<br />
A-, B- oder C-Castorf haben. Da sitzt man<br />
dann im Theater, sieht ein nachgemachtes<br />
Bert-Neumann-Bühnenbild und schlechte<br />
Bühnenkräfte, die versuchen, Sophie Rois<br />
oder Martin Wuttke nachzuahmen. Das ist<br />
nicht besonders innovativ.<br />
Wieso lässt sich das Publikum das gefallen?<br />
Nicht nur das Publikum. Ichfinde die ganzen<br />
Ensemble-Initiativen für gerechtere Arbeitsbedingungen<br />
richtig. Ich verstehe nur<br />
nicht, warum es nicht auch in ästhetischer<br />
Hinsicht längst einen Aufstand der Schauspieler<br />
gibt. Wieso lassen sie sich das gefallen?<br />
Tänzeln,<br />
fächeln,<br />
zustechen<br />
François-Xavier Roth<br />
dirigiert Offenbach zum 200.<br />
VonClemens Haustein<br />
Schweben wie ein Schmetterling,<br />
stechen wie eine Biene: WasMuhammed<br />
Ali einst über seinen<br />
Kampfstil sagte, lässt sich auch auf<br />
den französischen Dirigenten<br />
François-Xavier Roth anwenden, obwohl<br />
er nicht viel von einem Boxer<br />
hat. Aufdie Bühne kommt er wie ein<br />
Arzt, die Hände schon angehoben in<br />
der Vorfreude auf das Skalpell. Und<br />
wie er seinen Krawattenknoten richtet,<br />
erinnert eraneinen Banker, der<br />
sich nicht ganz am Platz fühlt. Dazwischen<br />
aber tänzelt er, fächelt mit<br />
seinen Händen die Musik hinüber<br />
und herüber und sticht – kurzer<br />
Schwung mit der Handkante –fix zu.<br />
Der 1. Sinfonie von Robert<br />
Schumann, der „Frühlingssinfonie“,<br />
lässt sich auf diese Weise gut beikommen.<br />
Am Donnerstag in der<br />
Philharmonie kündigt schon gleich<br />
der Beginn des Werkes an, dass Außergewöhnliches<br />
passieren wird: In<br />
zurückgenommener Lautstärke lässt<br />
Roth die Trompeten und Hörner blasen.<br />
Wie imnatürlichen Sprachduktus<br />
(„ImTale zieht der Frühling ein“)<br />
federn die fünf Wiederholungen des<br />
Tones „B“ ab und gewinnen wieder<br />
an Spannung.<br />
Wenn das Werk erzählt<br />
In Konversationslautstärke lässt sich<br />
viel verständlicher sprechen: das ist<br />
eine Maxime von François-Xavier<br />
Roth, weshalb im Folgenden selten<br />
einfach nur die Lautstärke zunimmt,<br />
sondern zunächst einmal die Intensität.<br />
Dem Bild vom gut gelaunten<br />
Lärmstück, das sich bei dieser Sinfonie<br />
festgesetzt hat, rückt er damit<br />
entschieden zu Leibe. Das Werk beginnt<br />
zu erzählen: vom Wind, von<br />
den Düften, vom frischen Grün, von<br />
der Liebe, und von Schmetterlingen<br />
und Bienen.<br />
Es spielte eine ArtFestivalorchester,<br />
wie es große Dirigenten gerne<br />
aus Instrumentalisten zusammenstellen,<br />
die sie kennen und schätzen.<br />
Hier kamen nun Mitglieder des Kölner<br />
Gürzenich-Orchester und des<br />
französischen Originalklangensemble<br />
Les Siècles zusammen (beiden<br />
Ensembles steht Roth vor), um<br />
neben Schumann auch Jaques Offenbach<br />
zu feiern, der vor200 Jahren<br />
in Köln geboren wurde und in Paris<br />
Karriere machte. Vor zahlreichen<br />
Gästen aus Nordrhein-Westfalen –<br />
Schirmherr des Abends war Ministerpräsident<br />
Armin Laschet –wurde<br />
Verschiedenes aus Offenbachs Operetten<br />
gespielt, in ähnlich kluger<br />
Konversationslautstärke wie zuvor<br />
Schumann. Die Wirkung ist auch<br />
hier zauberhaft, etwa bei der „Barcarole“<br />
aus „Hoffmanns Erzählungen“<br />
mit ihrer träumisch-trunken sich<br />
verzweigenden Vielstimmigkeit.<br />
Schöne Aussicht: François-Xavier<br />
Roth wirdbereits im September wieder<br />
in Berlin zu erleben sein, beim<br />
Musikfest, und zwar mit Les Siècles.<br />
Dass dieses fabelhafte Ensemble in<br />
Berlin, dem Musiknabel des Universums,<br />
bislang noch nicht zu hören<br />
war –man kann es ja kaum glauben.<br />
Sah sich als Regiestudent schon als Taxifahrer enden, startete dann aber als Theaterleiter durch: Thomas Ostermeier.<br />
BERLINER ZEITUNG /PAULUS PONIZAK<br />
Was sollten die sich auf die Transparente<br />
schreiben?<br />
Wir wollen eine Regie, die sich für uns als<br />
kreativeKünstlerinnen und Künstler interessieren,<br />
die uns nicht nur als Erfüllungsgehilfen<br />
ihres Konzeptes sieht. Der Schauspieler<br />
oder die Schauspielerin sollte das Ereignis eines<br />
Theaterabends sein!<br />
Also zurück zum Als-ob-Theater?<br />
Nein, auf keinen Fall! Dasgilt unabhängig<br />
voninszenatorischen Ansätzen. DasEreignis<br />
eines René-Pollesch-Abends ist nicht nur der<br />
Text, sondern das sind vor allen Dingen die<br />
Schauspielerinnen und Schauspieler.<br />
Manchmal scheint es mir, als ob alle vergessen<br />
hätten, wer am Abend auf die Bühne<br />
geht. Es ist nicht der Regisseur.<br />
TOP 10<br />
Donnerstag,27. Juni<br />
1 Fußball-EM ZDF 5,66 30 %<br />
2 heute ZDF 4,70 26 %<br />
3 heute-journal ZDF 4,21 16 %<br />
4 ZDF-Sport, Mod. ZDF 3,87 22 %<br />
5 ZDF-Spezial ZDF 3,78 15 %<br />
6 Tagesschau ARD 3,71 15 %<br />
7 Fußball-WM ZDF 3,54 14 %<br />
8 Mordkommission I. ARD 3,34 13 %<br />
9 Let’sDance RTL 2,67 11 %<br />
10 ZDF-Sport, Mod. ZDF 2,61 11 %<br />
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