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Berliner Zeitung 29.06.2019

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29./30. JUNI 2019 3<br />

Wie würden Sie sich in einem Drehbuch<br />

skizzieren?<br />

WACKERNAGEL: Ich glaube, man<br />

kann nicht sagen, er ist der Kopf und ich<br />

bin der Bauch. Wir sind beide impulsiv,<br />

aber es heißt nicht, dass sich das immer<br />

zur gleichen Zeit trifft. Manchmal geht<br />

Jonas die Dinge viel pragmatischer an,<br />

während ich emotional schon durch die<br />

Decke gehe, und manchmal ist es umgekehrt.<br />

GROSCH: WasEntscheidungen angeht,<br />

bin ich sicher pragmatischer als du, du bist<br />

schon emotionaler.Wenn es um einen Film<br />

geht, muss man viel Verantwortung übernehmen,<br />

für Menschen, fürs Budget, auch<br />

wenn sich das nicht nur in Zahlen lesen<br />

lässt. Jeder muss viele Stunden am Tagarbeiten,<br />

und dadurch muss man pragmatisch<br />

sein –aber auch leidenschaftlich und<br />

emotional.<br />

WACKERNAGEL: Darüber könnte man<br />

sich auch in die Haare kriegen. Aber in<br />

unserer Familie wurde immer offen über<br />

alles geredet. Krisen entstehen vor allem<br />

dann, wenn lange etwas unter dem Deckel<br />

gehalten wird, und wenn einem irgendwann<br />

der Kragen platzt, wird es<br />

richtig schlimm. Das ist dann wie bei einem<br />

Topf, der lange vor sich hinschmort<br />

und schließlich in die Luft fliegt. Dasgibt<br />

es bei uns nicht, auch mit unseren Eltern<br />

nicht. Ich finde es gut, wie sie uns erzogen<br />

haben. Sie hatten auch uns gegenüber<br />

nie irgendwelche Heimlichkeiten,<br />

die einem dann zwanzig Jahre später um<br />

die Ohren fliegen.<br />

Es gibt auch den Terror der Offenheit –gerade<br />

in der Elterngeneration, die sich zu den<br />

68ern zählt.<br />

GROSCH. Das stimmt, aber das gab es<br />

bei uns nicht.<br />

Sie haben unterschiedliche Väter. Sind Sie<br />

gemeinsam aufgewachsen?<br />

WACKERNAGEL: Ja, und ich habe auch<br />

nie das Gefühl, dass wir Halbgeschwister<br />

sind, auch nicht mit meinem älteren Bruder.Wir<br />

sind Geschwister.<br />

Sie sprachen ja immer wieder von Ihren<br />

„beiden Vätern“. Wie sah das aus in der Familie?<br />

WACKERNAGEL: Unsere Mutter lebt<br />

mit einem Mann zusammen und hat mit<br />

dem anderen auch eine Beziehung, jetzt<br />

schon vierzig Jahrelang.<br />

Das sind Lebensformen, die viele in den<br />

70er-Jahren probiert haben, und viele sind<br />

daran gescheitert.<br />

GROSCH: Das war manchmal auch nur<br />

Ideologie,man oktroyierte sich gegenseitig<br />

etwas auf, was aber dann oft nicht ausgehalten<br />

werden konnte.<br />

Die Geschwister Katharina Wackernagel und Jonas Grosche stammen aus einer Schauspielerfamilie: Ihre Großmutter Erika Wackernagel warauf den großen Bühnen Deutschlands zu sehen, ebenso ihre<br />

Mutter Sabine Wackernagel, die mehr als 50 Jahre auf der Bühne stand. Ihr Onkel Christof Wackernagel wirkte in Filmen von SönkeWortmann und Bernd Eichinger mit.<br />

BERLINER ZEITUNG/MARKUS WÄCHTER<br />

Katharina Wackernagel ...<br />

...wurde 1978 in Freiburg im Breisgau geboren, ihre Schulzeit verbrachte sie in Kassel, ehe sie 1998 nach Berlin zog.<br />

... ist seit über 20 Jahren als Schauspielerin bekannt. Am 27. Juni kam ihr Film „Wenn Fliegen träumen“ in die Kinos, mit<br />

dem Wackernagel ihr Regiedebüt gibt und bei dem ihr Bruder Jonas Grosch ihr als Co-Regisseur,Autor und Produzent zur<br />

Seite stand.<br />

... spielte im Fernsehen zuletzt im ARD-Zweiteiler „Aenne Burda –Die Wirtschaftswunderfrau“ (Regie: Francis Meletzky)<br />

die titelgebende Rolle. Im Theater war sie in diesem Jahr in einem Stück vonMoritz Rinkeinden Hamburger Kammerspielen<br />

zu sehen. TV-Rollen hatte sie in der Serie „Bloch“, als Ermittlerin Nina Petersen war sie Zentrum der Stralsund-Krimis,<br />

weitere Rollen hatte sie in „Waffenbrüder“ und „Adlon –Eine Familiensaga“. Im Kino sah man sie u.a. in „Die Boxerin“<br />

(2005) und in „Der Baader-Meinhof-Komplex“ (2008).<br />

Jonas Grosch ...<br />

... wurde 1981 in Freiburg im Breisgau geboren und ist in Kassel aufgewachsen.<br />

... absolvierte das Studium der „Drehbuch-/Film- und Fernsehdramaturgie“ an<br />

der HFF Konrad Wolf in Potsdam-Babelsberg,ab1998 brachte er diverse Kurzfilme<br />

als Autor und Regisseur heraus, ab 2006 folgten mehrere Spiel- und Dokumentarfilme.<br />

Seinen Film „Die letzte Lüge“ produzierte er 2011 selbst und verkaufte<br />

ihn dann an das ZDF,genau wie den Spielfilm „bestefreunde“, der Anfang<br />

2015 mit großem Erfolg in den Kinos lief.<br />

... lebt mit seiner Familie in Berlin und schreibt mittlerweile für viele Produktionsfirmen,<br />

darunter auch Stoffe, deren Regisseur er nicht selbst ist.<br />

Die Beziehungen, die Sie inIhren Filmen<br />

zeigen, haben etwas Anarchisches.<br />

GROSCH: Der Begriff anarchisch gefällt<br />

mir ganz gut, den hört man nur<br />

noch selten. Eigentlich beschreibt er unsere<br />

Filme treffend, andererseits erklärt<br />

er vielleicht auch die Schwierigkeiten,<br />

die manche mit unseren Filmen haben.<br />

Das Anarchische entspricht nicht dem<br />

Zeitgeist. Es ist out.<br />

WACKERNAGEL: Aber da landen wir<br />

wieder beim Anfang unseres Gesprächs.<br />

In einer Gesellschaft, in der es um Follower<br />

geht und darum, zu liken und zu<br />

posten, ist doch klar, dass keiner etwas<br />

von Anarchie wissen will. Das ist das Gegenteil<br />

von Anarchie. Man wird zuHerdenwesen<br />

gemacht, und Anarchie steht<br />

für einen eigenen Geist.<br />

GROSCH: Jetzt haben wir es endlich auf<br />

den Punkt gebracht!<br />

Christina Bylow<br />

sehnt sich gerade nach einem einsamen<br />

Fischerhaus am Fjord.

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