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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 148 · 2 9./30. Juni 2019 5 *<br />
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Politik<br />
Im Mittelpunkt beim Gruppenfoto: Bundeskanzlerin Angela Merkel.<br />
AP/SUSAN WALSH<br />
Gipfeltreffen mit Nebenprogramm<br />
In Osaka suchen die G20-Staaten nach einer Linie beim Klimaschutz und die Europäer nach ihrem Spitzenpersonal. Und alle fragen sich: Wiegeht’sder Kanzlerin?<br />
VonDamir Fras und<br />
Gordon Repinski, Osaka<br />
Angela Merkel ist betont<br />
entspannt, als sie am Freitagnachmittag<br />
in Osaka in<br />
Japan vor die Mikrofone<br />
der Presse tritt. Als sie in die Reihen<br />
blickt, entdeckt sie die kleinen<br />
Schreibplatten, die an jedem der<br />
Stühle angebracht sind. Die Journalisten<br />
dahinter geklemmt. „Das ist ja<br />
ein Anblick wie in der Schulklasse“,<br />
sagt Merkel. Heiterkeit bricht aus.<br />
Erst dann beginnt der reguläre Teil,<br />
der Bericht aus den Gesprächen bei<br />
dem G20-Gipfel. Routine,scheinbar.<br />
Es ist ein sonderbarer G20-Gipfel.<br />
Eigentlich geht es um die ganz großen<br />
politischen Fragen. Die Welt ist<br />
in Unordnung geraten. Deralte Westen<br />
existiert nicht mehr, im Osten<br />
entsteht mit China eine neue, alte<br />
Weltmacht, dazwischen mehren sich<br />
die Unsicherheitsfaktoren, im Mittleren<br />
Osten droht gar ein Krieg, die<br />
Weltwirtschaftslage ist unsicher.<br />
Europa sucht sich währenddessen<br />
selbst, es gibt keine Führung,<br />
aber viele verschiedene Interessen.<br />
Seit der Europawahl im Mai scheint<br />
der Kontinent politisch kopflos wie<br />
selten zuvor. Eine Lösung für die<br />
wichtigen Positionen an der Spitze<br />
von Kommission, Rat, Parlament<br />
und Zentralbank ist nicht in Sicht.<br />
Sie muss in den nächsten Tagen gefunden<br />
werden.<br />
Mitten zwischen den Klima- und<br />
Handelsthemen, die diesen Gipfel<br />
offiziell beherrschen und den europäischen<br />
Spitzenjobs, die zwischendurch<br />
auf den Gängen verhandelt<br />
werden, steht Kanzlerin Angela Merkel.<br />
An der Makellosigkeit ihres Gesundheitszustands<br />
wird seit dem<br />
Morgen des Abflugs mehr oder weniger<br />
öffentlich gezweifelt, nachdem<br />
sie zum zweiten Mal inwenigen Tagen<br />
in aller Öffentlichkeit zu zittern<br />
begann. Ist die Kanzlerin ernsthaft<br />
krank? Oder braucht sie womöglich<br />
nur etwas Ruhe nach anstrengenden<br />
Monaten?<br />
Krankheit ist erst einmal eine Privatangelegenheit.<br />
Das gilt für Politiker<br />
so wie für jeden anderen Menschen<br />
auch. Politiker müssen auch<br />
gesundheitliche Schwächephasen<br />
haben dürfen. Doch die Krankheit<br />
eines Politikers verliert den Schutz<br />
der Privatsphäre, wenn der oder diejenige<br />
das Amt nicht mehr uneingeschränkt<br />
ausfüllen kann.<br />
Bei ihrem Presseauftritt am Freitagnachmittag<br />
ließ Angela Merkel<br />
keine Fragen zu. Ihr Sprecher hatte<br />
am Donnerstag gesagt, ihr gehe es<br />
gut. Das muss reichen. Es gab<br />
schließlich viel zu verhandeln bei<br />
diesem Gipfel. Merkels Unterhändler<br />
mühten sich redlich, eine gemeinsame<br />
Abschlusserklärung möglich<br />
zu machen.<br />
Doch bei vielen Themen liegen<br />
die Interessen der einzelnen Staaten<br />
mittlerweile meilenweit auseinander.<br />
Bei der Klimapolitik etwa stand<br />
bis in den späten Abend infrage, ob<br />
wenigstens ohne die USA ein Konsens<br />
unter den übrigen Staaten erreicht<br />
werden könnte. Ähnlich kompliziertsah<br />
es beiWirtschaftsthemen<br />
wie Stahl- und Handelspolitik aus.<br />
Unddann wäredanoch das große<br />
Randthema dieses G20-Gipfels, das<br />
auf den Fluren verhandelt wurde<br />
und in Einzelgesprächen der Europäer.Wie<br />
geht es weiter mit der Führung,<br />
mit den Institutionen des Kontinents?<br />
Angela Merkel wollte eine<br />
„Sie ist eine fantastische Person, und ich bin<br />
froh, sie zur Freundin zu haben.“<br />
Donald Trump über Angela Merkel<br />
Lösung finden, auch weil es um einen<br />
Parteifreund ging, den europäischen<br />
Spitzenkandidaten aus der<br />
CSU, Manfred Weber. Würde Weber<br />
noch eine Chance haben, Kommissionspräsident<br />
zu werden?<br />
Vorein paarWochen hat sich Manfred<br />
Weber für einen kurzen Augenblick<br />
vorstellen könnten, wie es sich<br />
anfühlen würde,wenn er den Jobbekäme.<br />
Eswar ein paar Tage vor den<br />
Europawahlen. Weber machte Wahlkampf<br />
in der kroatischen Hauptstadt<br />
Zagreb. Der dortige Ministerpräsident<br />
Andrej Plenkovic empfing ihn<br />
auf einem rotenTeppich.So, als wäre<br />
der CSU-Mann schon Präsident der<br />
Europäischen Kommission. Damals<br />
sah es noch gut aus für Weber, den<br />
Spitzenkandidaten der europäischen<br />
Konservativen. Doch der Favorit ist<br />
längst gestürzt, und er weiß es spätestens,<br />
seit ihm vor einer Woche beim<br />
Gipfeltreffen der EU-Staatsregierungschef<br />
in Brüssel der französische<br />
Präsident Emmanuel Macron brutal<br />
in die Parade gefahren ist. Er werde,<br />
sagte Macron, im Kreise der Regierungschefs,Weber<br />
nicht als Kommissionspräsident<br />
akzeptieren. Zu unerfahren<br />
sei der Mann aus Niederbayern,<br />
so Macron, der mit seinen 41 Jahren<br />
fünf Jahre jünger ist als Weber.<br />
Und nicht charismatisch genug, um<br />
für die EU auf Augenhöhe mit den<br />
Mächtigen dieserWelt zu verhandeln.<br />
Kann, ja will Merkel Macron noch<br />
einmal umstimmen? Am Rand des<br />
G20-Gipfels sprachen die beiden.<br />
Am Sonntag ist das nächste Treffen<br />
der Staats- und Regierungschefs<br />
in Brüssel. Dort wollen die 28 Chefs,<br />
wie sie im Politjargon der EU genannt<br />
werden, Kandidaten für die<br />
Top-Jobs benennen. Das deutschfranzösische<br />
Verhältnis ist gespannt<br />
wie nie. Die Bundesregierung habe,<br />
sagen EU-Diplomaten, die ambitionierten<br />
Europa-Ideen Macrons abtropfen<br />
lassen oder weichgespült.<br />
Weder gibt es eine Digitalsteuer<br />
Damir Fras glaubt nicht,<br />
dass das EU-Personal<br />
schnell feststeht.<br />
noch ist das Eurozonen-Budget mit<br />
einer dreistelligen Milliardensumme<br />
versehen. Beides wollte Macron, beides<br />
lehnte Deutschland ab.Macrons<br />
Widerstand gegen Weber könnte<br />
also eine Retourkutschesein.<br />
Es ist eine komplizierte Situation,<br />
in der Angela Merkel am Freitag mit<br />
Macron eine Lösung sucht. Denn am<br />
Ende geht es auch um die Entwicklung<br />
der Demokratie in Europa insgesamt.<br />
UndimZentrum dessen steht<br />
ein Europäisches Parlament, das sich<br />
selbst in die Krise befördert hat. Die<br />
Sozialdemokraten wollen ihren eigenen<br />
Spitzenkandidaten durchsetzen,<br />
den Niederländer Frans Timmermans.<br />
Die Liberalen halten an ihrer<br />
Frontfrau MargretheVestager aus Dänemark<br />
fest. Die Konservativen unterstützen<br />
Weber, auch weil sie wissen,<br />
dass gegen sie kein anderer Kandidat<br />
durchzusetzen ist. Die Grünen<br />
sind neutral und betrachten das Geschehen<br />
mit einer Mischung aus Verwunderung<br />
und Sorge.<br />
Wie das Problem nun gelöst werden<br />
soll, ist derzeit völligunklar.<br />
Gordon Repinksi beobachtet<br />
die Kanzlerin in Japan<br />
aus nächster Nähe.<br />
Wirkungstreffer<br />
Mit Fernsehdebatten haben die Demokraten ihre Präsidentschaftskandidatenkür begonnen. Und Ex-Vizepräsident Joe Biden muss lernen, dass er nicht automatisch siegt<br />
VonKarlDoemens, Washington<br />
Eswar klar, dass dieser Moment<br />
kommen würde. Allzu deutlich<br />
liegt JoeBiden bei den Umfragen für<br />
den demokratischen US-Präsidentschaftskandidaten<br />
vorne. Allzu lange<br />
hat sich der Ex-Vizepräsident als der<br />
geborene Herausforderer von Donald<br />
Trump präsentiert und dabei<br />
jede parteiinterne Diskussion vermieden.<br />
Irgendwann mussten seine<br />
Mitbewerber zurückschlagen. Sein<br />
schärfster Gegner, dawaren sich die<br />
Beobachter einig, würde der radikale<br />
Senator Bernie Sanders sein.<br />
MitCharme, Würde und Schärfe<br />
Doch als der 76-Jährige am Donnerstagabend<br />
erstmals um seine Favoritenrolle<br />
beim Kampf um das<br />
Weiße Haus fürchten muss, kommt<br />
die Attacke nicht vondem selbst proklamierten<br />
Sozialisten aus Vermont,<br />
der bei der ersten großen Fernsehdebatte<br />
direkt neben ihm auf der<br />
Bühne steht. Vielmehr erkämpft sich<br />
eine farbige Frau neben Sanders das<br />
JoeBiden (l.) gerät in die Defensive: Kamala Harris greift an,Bernie Sandersschaut zu. AFP<br />
mit einer mehrheitlich anderen<br />
Hautfarbe abgelehnt habe, die die<br />
Rassentrennung überwinden sollte.<br />
Ein vierjähriges Mädchen habe damals<br />
von dem sogenannten busing<br />
(wegen des Transports in Schulbussen<br />
in andere Schulen) profitiert:<br />
„Das Mädchen war ich.“<br />
Das war ein starker Aufschlag,<br />
und Biden taumelte wie ein angeschlagener<br />
Boxer imRing. „Das ist<br />
eine falsche Darstellung meiner Position“,<br />
betonte er. Er verwies auf<br />
seine Freundschaft mit Obama, seitin<br />
waren nun ziemlich verunglückte<br />
Äußerungen von Biden, der sich für<br />
seine Fähigkeit zum Kompromiss<br />
auch mit dezidierten politischen<br />
Gegnern gelobt hatte. Das könnte in<br />
den USA unter dem polarisierenden<br />
Präsidenten Trump durchaus ein<br />
Wert sein. Als Beleg verwies Biden<br />
aber auf Gesetze, die er in den 70er-<br />
Jahren mit zwei Anhängern der Rassentrennung<br />
im Senat durchbrachte.<br />
Daskritisierte Harris scharfund monierte,dass<br />
Biden auch die staatliche<br />
Zuweisung von Kindern anSchulen<br />
Wort.„Ich glaube nicht, dass Sie ein<br />
Rassist sind“, spricht sie freundlich,<br />
aber extrem entschlossen den einstigen<br />
Obama-Vizean: „Aber es hat geschmerzt,<br />
Siesoreden zu hören.“<br />
Seither beherrscht die Schlagzeilen<br />
in Amerika ein Name,der zuletzt<br />
selten genannt wurde: Kamala Harris,<br />
die Senatorin von Kalifornien,<br />
war mit vielenVorschusslorbeeren in<br />
das Kandidatenrennen gestartet. Als<br />
Tochter eines Wirtschaftsprofessors<br />
aus Jamaika und einer indischstämmigen<br />
Ärztin verfügt die 54-Jährige<br />
über einen interessanten biografischen<br />
Hintergrund. Sie strahlt<br />
Charme und Wärme aus,und hat bei<br />
der Befragung des neuen Verfassungsrichters<br />
Brett Kavanaugh im<br />
Kongress doch schneidende Schärfe<br />
und rhetorische Brillanz bewiesen.<br />
Aber ihre Kampagne war bislang<br />
flau. Jüngste Umfragen sahen sie mit<br />
sieben Prozent deutlich hinter Biden,<br />
Sanders und der linken SenatorinElizabeth<br />
Warren.<br />
Der Auslöser für den kraftvollen<br />
Neustart der einstigen Staatsanwäl-<br />
nen lebenslangen Einsatz für Bürgerrechte<br />
und seine Unterstützung<br />
sowohl für ethnische als auch sexuelle<br />
Minderheiten. Aber er war in die<br />
Defensive geraten, aus der er während<br />
der Debatte nicht herauskam.<br />
An zwei Abenden hatten dieseWochejeweils<br />
zehn Bewerber für die demokratische<br />
Präsidentschaftskandidatur<br />
miteinander diskutiert. Der<br />
Mittwoch verlief vergleichsweise ruhig<br />
mit der linken Senatorin Warren<br />
als klarer Siegerin. Am Donnerstag<br />
standen deutlich mehr Schwergewichte<br />
auf der Bühne, und der<br />
Schlagabtausch verlief emotionaler.<br />
Die Krankenversicherung, die Einwanderungspolitik<br />
und die Waffengesetze<br />
standen im Mittelpunkt.<br />
Doch unterschwellig ging es auch um<br />
die Frage, wie radikal sich die unter<br />
Trump ohnehin deutlich nach links<br />
gerückte Partei präsentieren soll.<br />
Sanders und Warren plädieren für<br />
kräftige Reichen-Steuererhöhungen<br />
und eine staatliche Bürgerversicherung,<br />
moderate und jüngere Politiker<br />
wie der Bürgermeister vonSouth<br />
Bend, Pete Buttigieg, und die Senatorin<br />
von Minnesota, Amy Klobuchar,<br />
bevorzugen schrittweise Veränderungen,<br />
und Biden wirbt mit<br />
viel Pragmatismus vor allem um<br />
Wechselwähler.<br />
DerGlanz wirdblasser<br />
Knapp 17 Monate vorder Präsidentschaftswahl<br />
ist es zu früh für Prognosen.<br />
Doch bei den Debatten lag die<br />
energische und ideenreiche Warren<br />
im linken Lager klar vorSanders,der<br />
seine Kampfansage an die Finanzindustrie<br />
und den militärisch-industriellen<br />
Komplex etwas zu oft wiederholte.<br />
Buttigieg beeindruckte mit einem<br />
offenen Bekenntnis zu eigenen Fehlernbei<br />
der Bekämpfung vonPolizeigewalt<br />
in seiner Heimatstadt. Biden<br />
rief am Ende noch einmal leidenschaftlich<br />
zur „Rettung der Seele der<br />
Nation“ auf:„Wir können alles schaffen,<br />
wenn wir zusammenstehen!“ Da<br />
schimmerte Obamas beliebter Stellvertreter<br />
durch. Aber sein Glanz ist<br />
an diesem Abend blasser geworden.