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faktor Herbst 2019

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mensch<br />

FOTO: PRIVAT<br />

Prägende Zeit 140 Tage als Geisel in notdürftigen Unterkünften haben Marc Wallerts Leben für immer verändert.<br />

Eine der Strategien, die er während seiner Entführung<br />

damals eher intuitiv angewandt hat, nennt er, optimistisch<br />

zu sein, ohne jedoch die Realität aus den Augen zu<br />

verlieren. „Optimismus ist in Krisensituationen nicht immer<br />

positiv“, so Wallert. Auch eine Dschungel erkenntnis.<br />

Er habe damals Tagebuch geschrieben, erzählt er. Fünf<br />

volle Schreibblöcke sind dabei zusammengekommen, in<br />

denen er seine Situation reflektierte. Und er entwickelte<br />

im Schreiben ein positives Bild von der Zukunft, das ihn<br />

durch diese schwierige Zeit trug: „Ich habe es nicht nur<br />

gesehen, ich habe sogar spüren können, dass ich meine<br />

Erfahrungen einmal in Freiheit mit anderen Menschen<br />

teilen werde, so wie gerade hier in diesem Interview. Darin<br />

schwang die Gewissheit mit, dass ich doch überleben<br />

muss, wenn diese Vision der Zukunft wahr werden soll.<br />

Aber ich habe dabei nie die lebens bedrohliche Realität<br />

vernachlässigt“, sagt er heute. Es war überlebenswichtig,<br />

sich fit zu halten und sorgsam mit den Lebensmittelvorräten<br />

umzugehen, da man nicht auf die Aussage der Entführer<br />

vertrauen konnte, wann sie denn freigelassen<br />

werden würden: ‚Maybe tomorrow‘ lautete die Standardantwort.<br />

Positives Denken hingegen, so Wallerts Credo,<br />

kann tödlich sein, da eine Wird- schon-werden-Mentalität<br />

eben nicht mit einem monatelangen Verhandlungskampf<br />

kompatibel ist.<br />

Und noch etwas anderes hat sich für ihn erst viel später<br />

als Erfahrung herauskristallisiert: Das sogenannte Steh-<br />

auf-Männchen wird gern als Vorbild bei der Krisenbewältigung<br />

angesehen – aufstehen und weitermachen<br />

(wie bisher). Vorher noch das Krönchen richten. Nicht<br />

so für Marc Wallert. „Auch ich habe beruflich und privat<br />

lange Zeit diese Strategie verfolgt und stand dann<br />

immer wieder vor denselben Problemen“, erinnert er<br />

sich. Bis zu dem Moment, als er erkannte, dass er sich<br />

doch einmal fragen sollte, was diese Krise eigentlich mit<br />

ihm zu tun hat. Die Antwort ließ ihn schonungslos seine<br />

eigenen Fehler erkennen. „Das ist nicht schön“, resümiert<br />

er. Heute empfiehlt Wallert in seinen Vorträgen:<br />

Hinfallen – aufstehen – nachdenken – die Richtung anpassen<br />

– und dann weitergehen. „Wer an Krisen wachsen<br />

will, der darf nicht nur aufstehen, sondern muss sich<br />

verändern. Daher wäre ein Blüh-auf-Männchen das treffendere<br />

Vorbild“, fasst er zusammen.<br />

DOCH UM SEIN LEBEN BEWUSSTER ZU GESTALTEN<br />

und zu genießen, dafür hat sich die Entführung als gut<br />

erwiesen. Begriffe wie Freiheit, Friede, Demut – die kann<br />

Wallert seitdem mit Inhalten füllen. Doch das eigene Leben,<br />

das hat er auch gelernt, ändert sich trotz dieser Erkenntnisse<br />

dennoch nicht vollständig. Es dauerte nicht<br />

lange, bis die Normalität zurückkehrte. „Es gab eine<br />

kurze Phase nach der Freilassung, da war es für mich<br />

unfassbar, was ich nun wieder alles kann. Ich war in einem<br />

Hotelzimmer und hatte Privatsphäre. Ich konnte<br />

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