faktor Herbst 2019
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
wissen<br />
Wie ein Mückenstich<br />
Sascha Riedeberger begleitet Unternehmer in eine digitale Zukunft, in der wir stärker unser<br />
wahres Potenzial ausschöpfen. Für den Experten müssen Veränderungen beim Menschen beginnen<br />
und nicht bei den Maschinen.<br />
TEXT ANJA DANISEWITSCH FOTOGRAFIE ALCIRO THEODORO DA SILVA<br />
Der größte Feind des Fortschritts ist nicht<br />
der Irrtum, sondern die Trägheit“, schrieb<br />
der englische Historiker und Autor Henry<br />
Thomas Buckle (1821 - 1862) und ist mit<br />
dieser Erkenntnis noch über hundert Jahre<br />
später aktuell wie nie. Das zumindest meint Sascha<br />
Riedeberger, der seit fast 25 Jahren Unternehmen auf<br />
dem Weg in die digitale Zukunft begleitet. Und das mit<br />
Leidenschaft. Denn die digitale Transformation ist für<br />
ihn kein Selbstzweck des Fortschritts, dem man blind<br />
folgen sollte. Er sagt: „Wir können, anstatt tagelang Listen<br />
abzuarbeiten, viel wichtigere und interessante Dinge<br />
tun, kreativ sein. Wir werden uns, da bin ich sicher, in<br />
Zukunft nicht mehr über Arbeit definieren, so wie wir es<br />
heute noch tun.“ Allerdings scheuen sich viele Unternehmer,<br />
die notwendigen und drängenden Veränderungen<br />
anzugehen. Vielleicht aus Unsicherheit, vielleicht aus<br />
Angst, falsche Entscheidungen zu treffen, oder weil es<br />
bisher auch ganz gut ohne ging. Als Folge der jahrzehntelangen<br />
Verdrängung ist Deutschland in diesem Bereich<br />
bereits heute Entwicklungsland. „Selbst kleine Länder<br />
wie Estland machen uns vor, wie ein wirtschaftlicher und<br />
gesellschaftlicher Wandel aussieht und wie Digitalisierung<br />
den Alltag der Menschen vereinfacht“, so Riedeberger.<br />
ER SELBST IST MIT DEN ANFÄNGEN der Digitalisierung<br />
groß geworden. Der Claim seines Unternehmens lautet<br />
daher auch: ,Digital since 1985‘ – dem Jahr, als er mit zehn<br />
Jahren seinen ersten Computer bekam. Dennoch trifft<br />
man bei Riedeberger nicht auf einen freakigen Nerd – das<br />
Klischee des menschenscheuen ITlers erfüllt er nicht.<br />
Ganz im Gegenteil: „Auf dem Weg in die Digitalisierung<br />
und die digitale Transformation sind der Mensch und<br />
Kommunikation die wichtigsten Komponenten, wenn<br />
man es so nennen möchte. Ohne ein Wollen des Firmeninhabers<br />
funktioniert es nicht.“ Digitalisierung ist demnach<br />
keine Frage, sondern eine Entscheidung.<br />
DOCH WAS BEDEUTET DAS ÜBERHAUPT: Digitalisierung<br />
und digitale Transformation? Oft wird bei diesem<br />
Thema vieles in einen Topf geworfen, und am Ende bleibt<br />
diffuses Halbwissen und nichts Genaues. Dabei ist Digitalisierung<br />
nichts anderes, als analoge Informationen in<br />
ein elektronisches System einzugeben, diese weiterzuverarbeiten<br />
und zu speichern. Ein Vorgang, der als sogenannte<br />
Insellösung hier und da in vielen Unternehmen alltäglich ist.<br />
Was fehlt, ist die Kommunikation dieser ‚Inseln‘ untereinander.<br />
„Bei der digitalen Transformation hingegen stelle<br />
man sich folgenden Bild vor: Am Anfang haben wir eine<br />
Raupe, die durch Transformation zu einem Schmetterling<br />
wird. Entwickelt sich hingegen ein Unternehmen nur weiter,<br />
wird die Raupe einfach dicker“, so der 44-Jährige.<br />
„ICH BIN WIE EIN MÜCKENSTICH“, sagt Riedeberger<br />
mit einem selbstbewussten Lächeln, wenn er von seiner<br />
Arbeit spricht. Vor allem inhabergeführte mittelständische<br />
Unternehmen begleitet er gern auf dem Weg in eine<br />
neue Arbeitswelt. „Ich hinterfrage vieles und bin durch<br />
meine Erfahrung gedanklich sehr schnell bei den Menschen,<br />
verstehe, wie sie arbeiten und welche Prozesse<br />
ablaufen oder eben noch nicht.“ Nach der Analyse des<br />
Ist-Zustandes ist es von entscheidender Bedeutung, alle<br />
mit ins Boot zu holen: Die Mitarbeiter müssen den<br />
Transforma tionsprozess genauso unterstützen wie der<br />
Geschäftsführer. „Bevor wir neue Tools und Prozesse in<br />
der Produktion verändern, arbeiten wir am Mindset der<br />
Menschen“, so der Begleiter, wie Riedeberger sich selbst<br />
bezeichnet. Er ist dabei, wenn es darum geht, sich für<br />
Neuerungen zu öffnen und im Unternehmen Raum zu<br />
schaffen fürs Lernen. Und lernen bedeutet immer auch,<br />
Fehler als Teil eines Prozesses zu akzeptieren. Denn eine<br />
Transformation ist kein linearer Prozess: Ein Unternehmen<br />
zu transformieren, heißt auch, den Mut zu haben,<br />
etwas auszuprobieren, innovativ zu denken – so wie<br />
einst die Gründerväter der Industriellen Revolution. ƒ<br />
3 |<strong>2019</strong> 61