faktor Herbst 2019
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
wissen<br />
Thomas Simon (l.),<br />
geboren 1964 in Heiligenstadt, absolvierte ein Physikstudium<br />
in Leipzig (beim Leipziger <strong>Herbst</strong> 1989 war er vor<br />
Ort), dann ein Promotionsstudium an der Uni in Göttingen<br />
im Bereich Physik. Zunächst war Simon als Technischer<br />
Leiter, dann 15 Jahre als Geschäftsführer bei einem Automobilzulieferbetrieb<br />
tätig. Seit 2017 ist er Geschäftsführer<br />
der Kommunalen Wohnungsgesellschaft (KoWo) Obereichsfeld<br />
GmbH in Heiligenstadt und seit 2016 Vorsitzender<br />
des Wirtschaftsforums Eichsfeld e. V.<br />
Der Göttinger Kreisnachbar Richtung Südosten<br />
liegt näher, als die Thüringer Landesgrenze vermuten<br />
lässt: Das Eichsfeld bekennt sich klar zum Oberzentrum<br />
Göttingen! Naturräumliche Gegebenheiten<br />
und historische Verbindungen haben nach der<br />
Wende für eine klare Westorientierung gesorgt.<br />
Wirtschaftlich hat das Eichsfeld zudem eine sehr<br />
gute Entwicklung gezeigt. Grund dafür waren findige<br />
Machernaturen, für die vor allem Ergebnisse<br />
zählten ..., wie zwei weitere Macher der Region im<br />
Gespräch mit <strong>faktor</strong> erklären.<br />
Werner Henning (r.),<br />
geboren 1956 im Eichsfeld, studierte Lehramt für Deutsch<br />
und Musik und promovierte in Kunstwissenschaften an<br />
der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.<br />
Von 1986 bis 1988 baute er das Theodor-Storm-Literaturmuseum<br />
in Heiligenstadt mit auf, wechselte dann in die<br />
Eichsfelder Bekleidungswerke Heiligenstadt. Im stürmischen<br />
<strong>Herbst</strong> 1989 wurde er zum Vorsitzenden des Rates<br />
des Kreises Heiligenstadt gewählt, danach zum Mitglied<br />
der letzten Volkskammer der DDR, zum Landrat des<br />
Landkreises Heiligenstadt und ab 1994 zum Landrat des<br />
Landkreises Eichsfeld.<br />
Herr Henning, Herr Simon, 30 Jahre sind seit der Wende<br />
vergangen – was waren die wichtigsten Wegmarken in der<br />
Entwicklung des Landkreises Eichsfeld?<br />
Werner Henning: Der Wende und dem Zusammenbruch<br />
der staatlichen und wirtschaftlichen Strukturen folgte<br />
eine Notsituationsverwaltung mit Arbeitslosenquoten<br />
zwischen 20 und 25 Prozent in den frühen 1990er-<br />
Jahren. Wir hatten aber das Glück, dass sich im Handwerk<br />
kleinere Strukturen besser erhalten hatten als in<br />
anderen Teilen der DDR. Daraus konnten sich ganz gut<br />
neue wirtschaftliche Strukturen entwickeln, viele alte<br />
Betriebe wurden von Eichsfeldern selbst übernommen.<br />
Ein großes Glück war für uns auch die enge Verzahnung<br />
mit Nordhessen und insbesondere Göttingen – es gab<br />
viele Vertreter aus Politik und Wirtschaft, die damals<br />
hilfsbereit auf uns zugegangen sind, wodurch wiederum<br />
gute Freundschaften entstanden sind.<br />
Thomas Simon: Mein Eindruck ist, dass sich die Unternehmerschaft<br />
hier ebenfalls mit einer großen Offenheit<br />
in den Westen gewandt und dessen Erfahrungen angenommen<br />
hat. Unser enormer Vorteil war, dass es anders<br />
als in weiten Teilen der DDR noch viele bestehende Kontakte<br />
gab – Verwandte, Freunde, Bekannte. Ein Beispiel:<br />
Ein Mitglied im Wirtschaftsforum Eichsfeld mit einem<br />
Maschinenbaubetrieb hatte seinen Betrieb noch zu<br />
DDR-Zeiten aufgebaut. Bekannte im Westen hatten ihm<br />
nach der Wende ganz direkt gesagt, dass er das komplett<br />
modernisieren muss und was die aktuelle Technik ist.<br />
Das hat er gemacht, und mittlerweile ist es ein Betrieb<br />
mit internationalen Kunden und über 100 Mitarbeitern,<br />
der sich im Wettbewerb behauptet und auch einen Innovationspreis<br />
in Göttingen gewonnen hat.<br />
Henning: Ein wichtiger Impuls war für uns auch die<br />
Wiederbeteiligung am Energieversorger EAM. Vor diesem<br />
Hintergrund haben wir eine eigene starke Kommunalwirtschaft<br />
entwickelt, quasi ein Modell der Kreiswerke,<br />
das es in Deutschland eigentlich nicht gibt. Auf<br />
Kreis ebene haben wir gut eine halbe Milliarde Euro in<br />
das Anlagevermögen investiert. Das sowie der Bau der<br />
A38 haben uns starke Impulse vor allem in der Bauwirtschaft<br />
gebracht.<br />
Welche Rolle spielen für den Landkreis Eichsfeld der<br />
nordhessische und südniedersächsische Raum?<br />
Henning: Wir sind im Grunde von Anfang an stark in das<br />
regionale Dreiländereck eingebunden worden. Es gibt beispielsweise<br />
eine Landrätekonferenz, in der wir uns abstimmen<br />
– gegenwärtig über ein regionales Tourismuskonzept.<br />
Wir fühlen uns dort gut aufgehoben, vor allem in der<br />
,imaginären Patenschaft‘ von Göttingen. Wichtig ist aber,<br />
sich bewusst zu machen, dass diese Westorientierung des<br />
Eichsfelds historisch schon immer so war. Das Obereichsfeld<br />
ist die Landschaft auf dem Berg, und man orientierte<br />
sich in die Richtung, in die das Wasser floss. Für Leinefelde<br />
und Heiligenstadt hat sich das Leben daher schon immer<br />
in Göttingen abgespielt. Aber ich denke auch egois-<br />
3 |<strong>2019</strong> 79