UNDERDOG#69
Schwerpunkt: Punk und Behinderung Unser Schwerpunkt-Thema skizziert zum einen die sogenannte „Cripple Punk-Bewegung“, in der Betroffene Darstellungen von Menschen mit Behinderungen sichtbar machen, die sich nicht nur auf ihrer Beeinträchtigung beziehen.
Schwerpunkt: Punk und Behinderung
Unser Schwerpunkt-Thema skizziert zum einen die sogenannte „Cripple Punk-Bewegung“, in der Betroffene Darstellungen von Menschen mit Behinderungen sichtbar machen, die sich nicht nur auf ihrer Beeinträchtigung beziehen.
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Magenbitter – Comiczeichner und ME/CFS-Betroffener
kann nicht am Nachmittag mit meinen
Kindern auf den Spielplatz und dann
abends noch auf ein Punk-Konzert gehen,
nur eine „anstrengende“ Unternehmung
am Tag ist möglich. Dieses Fatigue-
Management nennt man „Pacing“.
Wer an CFS leidet, hat den Antrieb,
wird aber von seinem Körper daran
gehindert, wieder aktiver zu werden.
Mensch will, kann aber nicht. Da
scheint ja nur eines zu helfen: absolute
Ruhe und Untätigkeit. Auf was musst
du alles verzichten und was nervt dich
am meisten?
Stimmt, das echt furchtbar, so zum
nichts tun verurteilt sein. Ich habe mich in
meinen Comics und Zines immer gern als
gemütlichen Couch-Potato dargestellt, bin
aber in vielen Dingen recht aktiv und
fleißig. Es ist schon erschreckend, was man
alles nicht mehr machen kann: Tanzen,
Schwimmen, Sport, in einer Band sein,
wild mit meinen Kindern spielen. Aber
irgendwann gewöhnt man sich halt an
diese Untätigkeit. Es geht ja nicht anders.
Immerhin kann ich meine Ruhezeiten
nutzen, indem ich Musik und Hörbücher
höre oder TV schaue (lesen strengt leider
an und geht nur mal eine Viertelstunde
lang). Viele schwerer Betroffene können
nicht mal das, da wäre Fernsehen zu
überfordernd. Zum Beispiel helfe
manchmal einer anderen CFS-Patientin in
meiner Wohngegend, die kann gar kein
Licht mehr verarbeiten, lebt komplett in
Dunkelheit und kann nur noch sehr
eingeschränkt sprechen. Das sind dann
krass harte Zustände.
Demgegenüber bist du ein kreativer
Mensch. Arbeitest du in Zeiteinheiten
und wie langwierig kann ein Projekt
dauern, an dem du arbeitest?
Genau, wenn ich als Grafiker arbeite
und zeichne, mache ich das nur in 20-
Minuten-Einheiten und danach wieder 20
Minuten Pause. So komme ich auf etwa 2
Stunden am Tag. Daneben habe ich mit
meiner Freundin ja noch zwei Kinder.
Letztere und der Haushalt „fressen“ auch
einiges an Energie.
Ich schaffe also nur etwa 25 % vom
Arbeitstag eines gesunden Menschen. An
meinem letzten Fanzine P.F.F. Nr. 4 habe
ich 3 Jahre gesessen! Deshalb mache ich
lieber kleine Projekte. Ich hätte zwar Bock
mal wieder eine längere Comicgeschichte
zu zeichnen, aber wahrscheinlich würde
das 5 Jahre dauern. Und wer weiß, ob wir
uns dann im Atomkrieg mit Russland
befinden, oder ob durch eine Covid-
Variante „Omega“ wieder harter Lockdown
ist und alle Zeichenblöcke zu Klopapier
umfunktioniert werden müssen. So was ist
mir also leider zu langwierig. Dann lieber
hier mal ein Cartoon und da mal ein Flyer.
Was hast du für persönliche Ziele und
Wünsche?
Momentan bekomme ich nur eine
sehr kleine Erwerbsminderungsrente und
muss, so gut es geht, dazuverdienen.
Dadurch hab ich wenig Zeit für
Spaßprojekte wie Fanzines und Comics
zeichnen, das ist schade. Da gibt es noch
zwei Optionen von Behördenseite, die
meine Situation verbessern würden, das
muss ich wahrscheinlich einklagen – mal
schauen, wie das ausgeht.
Ansonsten wäre natürlich Hammer, wenn
endlich jemand ein Medikament gegen
ME/CFS entwickeln würde, und ich wieder
gesund werden könnte. Manche
Forscher*innen arbeiten daran, aber es
wird finanziell noch zu wenig gefördert.
Ansonsten danke für dein Interesse, du
hast dich ja echt schlau gemacht zur
Thematik!
Und an die Underdog-Leser*innenschaft:
checkt mal meine Comics aus:
www.Magenbitter.net
P.S. Tipp: Ihr seid krank und kein*e
Arzt/Ärztin findet etwas? Es gibt an
manchen Uni-Kliniken Zentren für seltene
oder unerkannte Krankheiten, die spielen
dann Dr. House und kriegen vielleicht raus,
wo der Schuh drückt.