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UNDERDOG#69

Schwerpunkt: Punk und Behinderung Unser Schwerpunkt-Thema skizziert zum einen die sogenannte „Cripple Punk-Bewegung“, in der Betroffene Darstellungen von Menschen mit Behinderungen sichtbar machen, die sich nicht nur auf ihrer Beeinträchtigung beziehen.

Schwerpunkt: Punk und Behinderung
Unser Schwerpunkt-Thema skizziert zum einen die sogenannte „Cripple Punk-Bewegung“, in der Betroffene Darstellungen von Menschen mit Behinderungen sichtbar machen, die sich nicht nur auf ihrer Beeinträchtigung beziehen.

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Johnny Rottens performative Strategie

bei den Sex Pistols war eine

parodistische Imitation von Behinderung

und doch hatte diese einen kausaleren

Zusammenhang, den Jon Savage

erkannte: „Wie andere, die später zu

spirituellen Performern wurden, litt

Lydon in seiner Kindheit an einer

schweren Krankheit“ 7 , und es sind seine

frühen Jahre, in denen wir nach einem

Verständnis von Rottens Punk-Porealität

suchen müssen. Der starrende Blick und

die buckelige Körperhaltung wurden

durch eine Meningitis in der Kindheit

verursacht. Wie er in seiner

Autobiografie „Rotten“ erklärt: „Ich war

von meinem siebten bis achten

Lebensjahr ein Jahr lang im

Krankenhaus. Sie zogen Flüssigkeit aus

meiner Wirbelsäule, das hat meine

Wirbelsäule gekrümmt. Ich habe eine Art

Buckel entwickelt. Bei den Pistols gibt es

all diese Eigenheiten von mir, die daher

rühren, dass ich in einem Krankenhaus

versagt habe. Das Starren kommt daher,

dass ich schlecht sehen kann, auch als

Folge der Meningitis.“ 8

Später erkrankte er auch an Epilepsie,

was sich auf seine Bühnenperformance

auswirkte wie er 1994 erklärte:

„Ich bin auch Epileptiker, aber ich nehme

keine Medikamente. Ich bin nicht der

Traum eines Beleuchtungsregisseurs,

wenn ich auf Tournee bin – es gibt eine

riesige Liste von Dingen, die nicht

gemacht werden können. Manchmal

lassen mich bestimmte

Beleuchtungsarten vergessen, wo ich bin,

und lösen [sic] einen Gedächtniskrampf

aus. Ich lasse mein Textbuch immer auf

der Bühne auf dem Boden liegen, wenn

die Beleuchtung mitten im Song seltsame

Dinge macht. Ich habe einen schlechten

Gleichgewichtssinn, und wenn ich mich

7 Savage, Jon. 1991. England’s Dreaming: Sex Pistols

and Punk Rock. S.115

8 Lydon, John. 1994. Rotten: No Irish, No Blacks, No

Dogs, S. 17-18

drehe, kann ich mir das Leben schwer

machen.“ 9

Interessant ist auch, dass Ian Dury in

Rotten etwas „Verkrüppeltes“ erkannte.

Als 1976 die Sex Pistols Ian Dury & The

Blockheads supporteten, glaubte Ian in

Teilen von Rottens Stil und

Körperhaltung seine eigene Darstellung

zu sehen und beschwerte sich besorgt

beim Manager der Pistols, McLaren, in

der Annahme, Johnny Rotten mache sich

lustig über Ian. Unabhängig dessen war

Rottens Performance eine Art Krüppel-

Pop-Darstellung und zugleich Ausdruck

seiner eigenen körperlichen

Beeinträchtigung. Zusammenfassend

können wir also festhalten, dass Ian und

Johnny gemeinsam die neue

Körpersprache der Cripple-Punk-

Performance erfanden, mit einer Energie,

die aus der gegenseitigen Rivalität

entstand, und einer Authentizität, die

daraus resultierte, dass jeder von ihnen

eine Art Krüppel war.

Daneben wurden auch Dokumentarfilme

über kleinere, zeitgenössische

Punkbands gedreht. Heavy Load war

eine englische Punkrock-Band. Die

Mitglieder der Band trafen sich bei

Southdown Housing, einer

gemeinnützigen Wohngemeinschaft für

Menschen mit psychischen Problemen

und Lernschwierigkeiten, und setzte sich

zusammen aus Nutzern und

Mitarbeitern. Die Band spielte in dem

gleichnamigen Film „Heavy Load“ aus

dem Jahr 2008 mit, der die Bemühungen

der Band dokumentierte, aus den

Veranstaltungen der Behindertenzentren

in das größere Mainstream-Konzertnetz

vorzudringen.

9 Ebd., S. 323

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