UNDERDOG#69
Schwerpunkt: Punk und Behinderung Unser Schwerpunkt-Thema skizziert zum einen die sogenannte „Cripple Punk-Bewegung“, in der Betroffene Darstellungen von Menschen mit Behinderungen sichtbar machen, die sich nicht nur auf ihrer Beeinträchtigung beziehen.
Schwerpunkt: Punk und Behinderung
Unser Schwerpunkt-Thema skizziert zum einen die sogenannte „Cripple Punk-Bewegung“, in der Betroffene Darstellungen von Menschen mit Behinderungen sichtbar machen, die sich nicht nur auf ihrer Beeinträchtigung beziehen.
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Und in der Tat war die
Unartikulierbarkeit Teil der neuen Szene.
In den Vereinigten Staaten manifestierte
sich dies in Richard Hell und den
Voidoids, die „Blank generation“ sangen -
im Gegensatz zur gegenkulturellen Beat
Generation der 1950er und 1960er Jahre
- so ausdruckslos, dass Hell in einigen
Refrains das Wort „blank" einfach
wegließ und damit im wahrsten Sinne
des Wortes (sic!) stillschweigend eine
Aussage über die (Nicht-)Identität
machte: „Blank generation / --
generation“.
Musikalisch galt ‚Spazz‘ als ein Vorläufer
der Blank Generation 5 des New Yorker
Proto-Punk Mitte der 1970er Jahr, in der
sich eine weniger ruhige, konfrontativere
und subkulturell spektakuläre „Freak-
Kultur“ herauszubilden begann, eine
Kultur des körperlichen Exzesses, der
Wut und des Verhaltens, die zu, von und
mit bestimmten Teilen der (jungen)
Behinderten sprach.
In Großbritannien hieß die dritte Single
der Sex Pistols ‚Pretty vacant‘, mit dem
5 Der Begriff Blank Generation ist angelehnt an das
Debüt-Studioalbum der amerikanischen Punkrock-
Band Richard Hell and the Voidoids aus dem Jahr
1977 (SIRE Records). ‘Blank Generation’ war das
Sittengemälde einer untergegangenen Zivilisation.
Man war fertig mit der bürgerlichen Welt, ohne jede
Bereitschaft, sich an einer solchen zu beteiligen oder
gar eine neue zu erbauen. Geschweige denn, darüber
in einen Diskurs zu treten. Richard Hell beschreibt
mit dem Begriff und dem Albumtitel eine
drogengeschwängerte, fatalistische Subkultur, die vor
allem eines nicht sein wollte: integrativ.
Refrain „We're so pretty, oh so pretty,
vacant“ und dem Ende „And we don't
caa-aare!“
Natürlich waren dies alles recht clevere,
sogar eindeutige Aussagen: Richard
Hells stummer Widerspruch und ein Weg
für Sex Pistols-Sänger Johnny Rotten,
den öffentlichen Mediendiskurs zu
umgehen, indem er wiederholt vacant
wie das Tabuwort ‚cunt‘ artikulierte:
„vay-CUNT“.
Anti-Ästhethik
Dave Calvert schreibt über die „Anti-
Ästhetik“ des Punk und seine
Anziehungskraft auf Behinderte (in
einem Kontext auf Menschen mit
Lernschwierigkeiten):
„Die Theatralität des Punk bietet weitere
Möglichkeiten, über die sozial
marginalisierte Position von Menschen
mit Lernbehinderungen nachzudenken
und auf sie zu reagieren, nicht zuletzt
deshalb, weil in dieser besonderen
Antiästhetik bereits ein Eindruck von der
Identität von Lernbehinderten vermittelt
wurde.“ 6
Hit me...
Im Laufe seiner zeitweise erfolgreichen
Karriere schrieb Ian Dury die Texte zu
etwa zwanzig Liedern, die sich in
irgendeiner Weise mit dem Thema
Behinderung befassten oder darauf
Bezug nahmen. Darunter Hitsingles wie
„What a waste“ (1978) und „Hit me with
your rhythm stick“ (1979). Als er auf dem
Höhepunkt seiner Popularität 1979
gegen den Rat seiner Plattenfirma ein T-
Shirt für das Video zu seiner einzigen
britischen Nr.-1-Single „Hit me with your
rhythm stick“ trug, war das ein großer
Erfolg. Das Shirt entblößte die schlaffe
Muskulatur seines linken Arms. Seine
körperliche Andersartigkeit war
daraufhin landauf, landab auf den
Fernsehbildschirmen zu sehen. Im
darauffolgenden Jahr, 1980, nahm er
6 Calvert 2010, 518-519