UNDERDOG#69
Schwerpunkt: Punk und Behinderung Unser Schwerpunkt-Thema skizziert zum einen die sogenannte „Cripple Punk-Bewegung“, in der Betroffene Darstellungen von Menschen mit Behinderungen sichtbar machen, die sich nicht nur auf ihrer Beeinträchtigung beziehen.
Schwerpunkt: Punk und Behinderung
Unser Schwerpunkt-Thema skizziert zum einen die sogenannte „Cripple Punk-Bewegung“, in der Betroffene Darstellungen von Menschen mit Behinderungen sichtbar machen, die sich nicht nur auf ihrer Beeinträchtigung beziehen.
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behinderte Menschen bot und bietet
Punk Teilhabe durch Ausdruck,
Ermächtigung, Sichtbarkeit, Humor und
Attitüde, und das alles in einem Akt der
soziokulturellen Befreiung.
Als Punk gefährlich war
Punk war in der Anfangszeit
gesellschaftlich sehr umstritten, und eine
Zeit lang war es sogar gefährlich, sich als
Punk zu „outen“ und dazuzugehören.
Gewalttätige, körperliche
Auseinandersetzungen waren an der
Tagesordnung. Nicht jeder behinderte
Jugendliche wollte die eigene
Entfremdung in den Vordergrund stellen
oder die Abneigung oder das Unbehagen,
das man durch das Punk-Sein erzeugte,
noch verstärken. Punk und die
Radikalität, die nonkonforme Attitüde
und Kleidung in Verbindung mit der
Zurschaustellung der abweichenden
Identität, einfach die gesellschaftliche
Ablehnung gegenüber Punk, schreckte
behinderte Jugendliche ab, „Punk“ zu
sein.
Ian Dury 1 drückt einen gewissen Wunsch
nach Konformität als einen Weg für
einige Menschen mit Behinderungen aus,
auch wenn er im selben Song andeutet,
dass dies eine Verleugnung der eigenen
Identität bedeutet:
„I want to be normal in body and soul /
And normal in thought word and deed
And everyone here will whistle and cheer /
And be happy to see me succeed.“
(„Hey, Hey, Take Me Away“ von Ian Dury &
The Blockheads)
1 Ian Dury wurde am 12. Mai 1942 im britischen
Upminster in Essex geboren. Mit sieben Jahren
erkrankt der Sänger, Songschreiber und Schauspieler
an Kinderlähmung. Die zurück bleibende
Behinderung begleitet ihn Zeit seines Lebens.
Obwohl körperlich gehandicapt, lässt sich der junge
Ian nicht unterkriegen und versucht, das Beste aus
seiner Situation zu machen. Als Ian Dury & The
Blockheads erscheint 1977 das Album “New Boots
And Panties" und entwickelt sich zu einem großen
Erfolg. Am 27. März 2000 verstirbt Ian Dury im Alter
von 57 Jahren an Krebs.
Welche Beziehung besteht zwischen
Subkulturen, Musik und Behinderung?
Das, was wir ‚Behinderung‘ nennen, hat
das Potenzial, unser gewohntes Denken
über Individualität, Normalität
herauszufordern. Die Hippies der 60er
Jahre labelten sich mitunter als „Freaks“
und haben die gesellschaftliche Annahme
für sich ausgenutzt, dass Freaks die
„Normalität“ des Mainstreams aufgrund
ihrer wahrgenommenen (visuellen)
Differenz bedrohen. Die Verwendung der
Bezeichnung „Freak“ durch die
Gegenkultur diente den Interessen der
Außenseiter*innen, indem sie Freakigkeit
auf subtile Weise mit Andersartigkeit und
sozialer Unanständigkeit gleichsetzte.
Diese selbst gemachte Abwertung
vermengte Differenz, Abweichung und
Behinderung, indem sie das Etikett aus
früheren Definitionen von Freakigkeit als
„angeboren“ ableitet. Die Entstehung
einer „Freak-Kultur“ in den 1960er
Jahren spielte mit Ängsten vor
erworbenen Beeinträchtigungen, denn es
wurde postuliert, dass jeder durch die
Übernahme radikaler Einstellungen zu
einem gegenkulturellen Freak werden
könne, so wie jeder Mensch potenziell
jederzeit eine Beeinträchtigung
erwerben könne.
Freak-Kultur
Aus der Gegenkultur heraus können wir
im Frühwerk von jemandem wie Neil
Young, von den Buffalo Springfield-Songs
an, eine Auseinandersetzung mit den
Erfahrungen von Behinderung erkennen.
Songs wie „Nowadays Clancy can't even
sing“ thematisieren Multiple Sklerose,
„Expecting to fly“ und „Mr Soul“
Epilepsie. Doch die „Freaks“ und Hippies
der Woodstock-Generation waren Kids
der Middle Class, gesund, sexuell
attraktiv, jung, privilegiert, mobil. Wegen
der Übereinstimmung zwischen der
„Freak-Kultur“ als Gegenkultur und der
Gegenkultur als Freak-Show galt die
befreiende Identitätspolitik als