Art Quarterly - Luxury can be Art

ART PORTRAIT
SCHMELZTIEGEL IM
INNEREN DER STEINE
JOSEF WINKLER
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HALTE DEINE HÄNDE IN DER HAND,
WENN DIE ALPTRÄUME FUNKEN AUS DEINEN ARMKNÖCHELN
SCHLAGEN UND MIT DEN AUSEINANDERGESPREIZTEN
FINGERKNOCHEN EIN VERLASSENES SCHWALBENNEST
AUSNISTEN, IN DEM EIN FRISCHER, VOM ÖSTERLICHER SEGEN
VERGESSENER TRAUERZWEIG LIEGT.
Ein Ausschnitt aus dem Katalog zur Ausstellung
PEPO PICHLER. a glimpse
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HALTE DEINE HÄNDE IN DER HAND,
wenn sich aus dem offenen Brustkorb
einer scheckigen Vogelscheuche
aufgeschreckte Jungstörche in den Himmel
hinaufschrauben und der gestreng an am
äußersten Rand stehende Apostel beim
Letzten Abendmahl darauf pocht, den
angeknapperten Zuckerhut in seiner Kehle
unter Dach und Fach zu bringen.
HALTE DEINE HÄNDE IN DER HAND,
wenn das Fieberthermometer sukzessive
durch deine Adern schlüpft und mit dem
immer höher steigenden Quecksilber in den
Nasenlöchern des Regenbogens stochert, ehe
der Hahn – mit dem Gockel in der Mitte des
letzten Abendmahltisches – in aller Frühe
kräht, „noch ehe…“.
HALTE DEINE HÄNDE IN DER HAND,
wenn die stürmische See schiffbrüchig wird,
die Wasseroberfläche aus dem Ruder läuft,
Sicheln und Sensen radebrechend über die
Stoppelfelder stolzieren, sich ein Hengst
mit dem schwarzen Totenkranz einnistender
Bremsen um seine triefenden Augen langsam
unter den tief herabhängenden Äste einer
Trauerweide niederhockt und zur Ruhe
begibt, um auf die an der Weggabelung
vorbeikommenden Träger einer Marienstatue
– mit dem Bildnis vom Letzten Abendmahl
auf dem Schoß - zu warten.
© Museum Moderner Kunst Kärnten, 2021, Fotos: F. Neumüller
HALTE DEINE HÄNDE IN DER HAND,
wenn keine Menschenseele die Maulwürfe
unterhöhlt und hinabsteigt ins Reich der
schwarzen Engel.
HALTE DEINE HÄNDE IN DER HAND,
wenn die Brustwarzen dunkel geborener
Engel als Maulwurfhügel auf den Totenäckern
wiederkehren, sich die schwindsüchtigen
Blutegel im Sumpf um Hals und Kragen reden,
Kaulquappen einander Bischofsmützen
aufsetzen und grüne, Sumpffrösche beim
Anblick des mit farbigen Fäden gestickten
Letzten Abendmahls betend ihre Füße
aus dem heißen Kochtopf recken und das
Gegrüßtseistdumaria beten.
BILDER: PEPO PICHLER, jeweils Tintendruck und Tinte auf Leinwand (1) Surprise Gift,
(Series Paint by Numbers), 2016 (2) Hat and Hands tied up, 2017 (3) Mudras and Buddha‘s
Shoes (Series: Record Covers), 2014 (4) Last Supper and Hand, (Series Paint by Numbers),
2011 (5) A Silent Walk, 2010
HALTE DEINE HÄNDE IN DER HAND,
wenn das Unterwasserklavier mit den Tasten
aus Haifischzähnen im Morgennebel „Und der
Haifisch, der hat Zähne, und die trägt er, im
Gesicht…“ intoniert.
HALTE DEINE HÄNDE IN DER HAND,
wenn der Schnee auf deinen Lippen
Tausenden von Toten und Tausenden von
Lebenden Sand in die Augen streut…
HALTE DEINE HÄNDE IN DER HAND,
wenn sich der Großvater, in dessen Armen
sich der Regenbogen verwickelt hat, auf einem
tintenbeklecksten Löschpapier eine Herde
schafgroßer Igel durch die Südkarpaten treibt.
HALTE DEINE HÄNDE IN DER HAND,
wenn der Bucklige vom dornengekrönten
Melkerthron steigt und mit einem Eimer
voller Milch über ein Katzengebiß springt, das
er nicht und nicht, wegräumen möchte vor
seinen Füßen, denn es „soll bleiben, wo es ist“,
das Katzengebiß, unter dem Schwalbennest.
HALTE DEINE HÄNDE IN DER HAND,
wenn das hysterische Schneckenhaus im
innersten Kern die Doppelhochzeit der
Weinbergschnecken vorbereitet, die mein
Großvater genußvoll mit dem Pfarrer im
Angesicht des gestickten, Letzten Abendmahls
verschlugen hat, während blitzartig ein
Donnerwetter…
112 AQ HERBST/WINTER 2021 www.art-quarterly.com
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HERBST/WINTER 2021 AQ 113