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Art Quarterly - Luxury can be Art

Art Quarterly ist ein Magazin für alle Kunst- und Kulturliebhaber. Neben zahlreichen Informationen über die aktuelle Kunstszene und den zurzeit laufenden Ausstellungen in Österreich und Deutschland präsentieren wir Ihnen auch immer die aktuellen Top-Beauty-Trends.

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ART TOPIC<br />

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Fotos: Leopold Museum, Wien/Lisa Rastl, Leni Deinhardstein © Courtesy Galerie Thaddaeus Ropac, London – Paris – Salzburg © Galerie Karsten Greve AG St. Moritz<br />

GESCHICHTE UND GEDÄCHTNIS<br />

DES MUSEUMS<br />

Erinnerung speist sich aus persönlichen<br />

wie auch aus kollektiven Erlebnissen und<br />

Geschehnissen. Es sind <strong>be</strong>sondere Ereignisse,<br />

die der Mensch als soziales Wesen<br />

in Form symbolischer Ordnungen in sein<br />

Gedächtnisarchiv abspeichert oder auch<br />

vergisst, wenn es seiner selektiven Wahrnehmung<br />

oder seinem subjektiven Empfinden<br />

nicht wichtig erscheint. E<strong>be</strong>nso<br />

definiert ein kollektives Un<strong>be</strong>wusstes<br />

Abbilder der Vergangenheit und schreibt<br />

Erfahrungen in einen sozialen Bezugsrahmen<br />

des Erlebten ein. Das Narrativ<br />

zum bzw. ü<strong>be</strong>r das Leopold Museum<br />

unterliegt folglich dem Verhältnis von<br />

Geschichte und dem kollektiven wie persönlichen<br />

Gedächtnis und ihrer wechselseitigen<br />

Referenzpunkte. Zu diesen zählen<br />

der geschichtliche Kontext und damit<br />

die Sammlungsgeschichte und deren Exponate,<br />

Ausstellungshistorie, Veranstaltungsprogramme,<br />

Kommunikationsdesign<br />

und nicht zuletzt die verschiedenen<br />

Verantwortungsträger*innen, die<br />

eine Institution prägen. In Addition<br />

all dieser Parameter ergibt<br />

sich ein vielschichtiges „Porträt“,<br />

die Identität einer Institution wie<br />

auch jene des Leopold Museum.<br />

Signifikant für ein Bildgedächtnis<br />

ist, so der Kunst- und Kulturhistoriker<br />

Aby Warburg (1866–1929)<br />

– und dies trifft ins<strong>be</strong>sondere<br />

auch auf das Gedächtnis einer<br />

Institution zu –, dass jede Zeit und jeder<br />

Ort einer Aktualisierung und Adaptierung<br />

des kollektiven wie auch des individuellen<br />

Gedächtnisses ausgesetzt ist. Heruntergebrochen<br />

auf die museale Ar<strong>be</strong>it<br />

<strong>be</strong>deutet dies, dass trotz aller Kontinuität<br />

eines institutionellen Profils Umdeutungen<br />

jederzeit stattfinden. Wir ha<strong>be</strong>n es<br />

also mit einem sehr fragilen System zu<br />

tun, dessen gedächtniskulturelle Symbolik<br />

ständig im Fluss ist, weil jede Handlung<br />

eine Konsequenz nach sich zieht.<br />

Dergestalt wird die Lesart eines Museums<br />

auch durch jede Ausstellung, durch<br />

einzelne Veranstaltungs- oder Diskursformate,<br />

Sammlungsakquisitionen oder<br />

etwa auch durch Stakeholder in Permanenz<br />

neu definiert.<br />

IM DIALOG MIT ERLEBBARER<br />

GESCHICHTE<br />

Vom Beginn meines Direktorats an war<br />

mir die Intensivierung der internationalen<br />

Ausrichtung ein großes Anliegen.<br />

Dazu zählen etwa die Kontextualisierung<br />

der Sammlung mit internationalen<br />

Positionen der Zeitenwende vom 19. ins<br />

20. Jahrhundert sowie die Dialogisierung<br />

von internationalen Kunstschaffenden<br />

mit Protagonist*innen aus den<br />

eigenen Sammlungs<strong>be</strong>ständen. Beispielge<strong>be</strong>nd<br />

für diese Strategie ist die auf<br />

drei Etagen sich erstreckende Neukonzeption<br />

der Dauerausstellung, in die<br />

Künstler*innen wie Anselm Feuerbach,<br />

Franz von Lenbach, Auguste Rodin,<br />

Medardo Rosso, Gustave Cour<strong>be</strong>t, Edgar<br />

Degas, Max Klinger, Franz von Stuck,<br />

Georg Minne, Giovanni Segantini, Max<br />

Lie<strong>be</strong>rmann, Wilhelm Lehmbruck, Käthe<br />

Kollwitz oder Ernst Barlach ein<strong>be</strong>zogen<br />

wurden, um existierende Quer<strong>be</strong>züge<br />

zu veranschaulichen.<br />

Große Retrospektiven, etwa ü<strong>be</strong>r das<br />

Schaffen von Wilhelm Lehmbruck oder<br />

Ferdinand Hodler, stehen e<strong>be</strong>nso für diese<br />

internationale Kontextualisierung und<br />

wurden hinsichtlich ihrer konzeptuellen<br />

Ausrichtung dergestalt angelegt, dass<br />

(1) Ausstellungsansicht BERLINDE DE BRUYCKERE. SUTURE (Detail),<br />

2016 (2) Ausstellungsansicht CARL SPITZWEG – ERWIN WURM,<br />

Erwin Wurm, New York Police Cap Gold, 2010 (3) Ausstellungsansicht<br />

FERDINAND HODLER WAHLVERWANDTSCHAFTEN VON<br />

KLIMT BIS SCHIELE (4) Ausstellungsansicht GUSTAV KLIMT. JAHR-<br />

HUNDERTKÜNSTLER, 2018. Gustav Klimt, Tod und Le<strong>be</strong>n, 1910/11,<br />

umgear<strong>be</strong>itet 1912/13 und 1915/16. (5) Ausstellungsansicht RICHARD<br />

GERSTL. INSPIRATION UND VERMÄCHTNIS (Detail), 2019. Richard<br />

Gerstl, Selbstbildnis als Halbakt, 1902/04 (Detail). (6) Ausstellungsansicht<br />

EGON SCHIELE. RELOADED (Detail), Werke von Egon<br />

Schiele und Louise Bourgeois, Arch of Hysteria, 2000<br />

durch Mitein<strong>be</strong>ziehung von künstlerischen<br />

Wahlverwandtschaften das jeweilige<br />

Œuvre in einem größeren kunsthistorischen<br />

Kontext wahrgenommen und<br />

verstanden werden kann. Das Gleiche<br />

gilt für meine Programmierung der zeitgenössischen<br />

Kunst, die etwa am Beispiel<br />

von Erwin Wurm im Dialog mit Carl<br />

Spitzweg nicht nur neue Assoziationsräume<br />

eröffnet, sondern im Spannungsfeld<br />

von klassischen Gestaltungsprinzipien<br />

mit aktuellen künstlerischen Entwicklungen<br />

Korrespondenzen entstehen lässt, die<br />

kunsthistorisch vorgeprägte Ordnungen<br />

relativieren und den geltenden Kanon<br />

neu hinterfragen. Dadurch werden <strong>be</strong>im<br />

Rezipierenden Sichtachsen verscho<strong>be</strong>n,<br />

die zu einer Veränderung von Wahrnehmungsmustern<br />

führen mögen.<br />

Eine zentrale Achse meiner Ausstellungspolitik<br />

nimmt auch ein in Österreich zu<br />

wenig <strong>be</strong>achtetes künstlerisches Medium,<br />

die Skulptur, ein. Ne<strong>be</strong>n dem Faktum,<br />

dass ü<strong>be</strong>r 70 skulpturale Ar<strong>be</strong>iten<br />

in der Dauerpräsentation gezeigt werden,<br />

wurde das Leopold Museum in<br />

den letzten Jahren mit Personalen zu<br />

Wilhelm Lehmbruck, Joannis Avramidis,<br />

Berlinde de Bruyckere oder Josef<br />

Pillhofer, a<strong>be</strong>r auch mit Themenausstellungen<br />

wie Spuren der Zeit oder Poetiken<br />

des Materials zu der Ausstellungsstätte in<br />

Österreich für moderne und zeitgenössische<br />

Plastik bzw. Installationskunst.<br />

Die Bedeutung eines Museums wird<br />

langfristig <strong>be</strong>trachtet jedoch nicht nur<br />

durch qualitätsvoll produzierte Präsentationen<br />

und exzellent konzipierte Ausstellungen<br />

generiert, so wichtig diese<br />

auch im Sinne von Profilschärfung, medialer<br />

Aufmerksamkeit und Besucher*innenfrequenz<br />

sind, sondern ganz essenziell<br />

von der Qualität und Stringenz seiner<br />

Sammlung.<br />

Darob gilt es, kontinuierlich Sammlungslücken<br />

zu schließen und Ergänzungen<br />

im <strong>be</strong>stehenden Koordinatensystem<br />

der Sammlungsstruktur vorzunehmen,<br />

um die charakteristische Physiognomie<br />

des Sammlungskörpers<br />

weiter zu schärfen. Sammlungsankäufe<br />

zählen fraglos zu den<br />

vornehmsten Aufga<strong>be</strong>n eines<br />

jeden Museums<strong>be</strong>trie<strong>be</strong>s, die in<br />

unserem Fall in engem Zusammenhang<br />

mit den <strong>be</strong>stehenden<br />

Sammlungsschwerpunkten stehen.<br />

In den letzten Jahren konnten<br />

dergestalt einige wichtige<br />

Werke für die Sammlung des Hauses<br />

gesichert werden, sowohl durch Neuerwerbungen,<br />

großzügige Schenkungen<br />

als auch durch Dauerleihga<strong>be</strong>n, welche<br />

etwa im Kontext der Wien 1900-Dauerpräsentation<br />

das Narrativ im Sinne der<br />

Veranschaulichung kunsthistorischer<br />

Zusammenhänge kongenial ergänzen.<br />

Das Stre<strong>be</strong>n – im Ausstellen wie<br />

im Sammeln – gilt einerseits dem Ziel,<br />

die Entwicklungsgeschichte einzelner<br />

Künstler*innen der Sammlung nachvollziehbar<br />

zu machen, und andererseits,<br />

ein möglichst vollständiges Bild einer<br />

künstlerischen Epoche zu vermitteln.<br />

Erst dadurch kann ein ganz spezifisches,<br />

unverwechselbares Profil einer Sammlung<br />

generiert und einem der zentralen<br />

ICOM (International Council of Museums)-<br />

Grundsätze Genüge getan werden:<br />

„Museen ha<strong>be</strong>n die Aufga<strong>be</strong>, ihre<br />

Sammlungen als Beitrag zum Schutz<br />

des natürlichen, kulturellen und wissenschaftlichen<br />

Er<strong>be</strong>s zu erwer<strong>be</strong>n, zu <strong>be</strong>wahren<br />

und fortzuentwickeln.“<br />

58 AQ HERBST/WINTER 2021 www.art-quarterly.com<br />

www.art-quarterly.com<br />

HERBST/WINTER 2021 AQ 59

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