1 - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
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• Theoretische Dichotomisierungen alsBlockaden.<br />
Zunächst scheint die theoretische Großwetterlage<br />
der Entwicklung komplexer, informativer und<br />
empirisch gehaltvoller Theorien nicht ungünstig<br />
zu sein. Keine der vielen theoretischen Traditionen<br />
oder 'Schulen' 1<br />
in der Bewegungsforschung<br />
dominiert das Feld oder hat gar ein Monopol.<br />
Situationen ungeregelter Konkurrenz müßten - so<br />
die wissenschaftssoziologisch begründete Erwartung<br />
- wissenschaftlich fruchtbare Ergebnisse ermöglichen.<br />
Aber die dichotomisierende Logik<br />
intellektueller Rivalität ist auch in der gegenwärtigen<br />
Lage keineswegs überwunden. Nach wie vor<br />
werden als exklusive Alternativen miteinander<br />
konfrontiert: 'sozialpsychologische' vs. 'soziologische<br />
Theorien',' Struktur' - versus' Aktor-Theorien','RelativeDeprivations'-versus'Identitäts'versus<br />
'Ressourcenmobilisierungs-Theorien',<br />
'kulturalistische' versus 'ökonomi(sti)sche' Theorien<br />
versus 'polity approach', 'Mikro - Meso -<br />
Makrotheorien' usw. Die sich im Prinzip bietenden<br />
theoriestrategischen Chancen werden also<br />
kaum genutzt und die Blickverengungen und blinden<br />
Flecken der jeweils zu 'Theorien' hochstilisierten<br />
Ansätze oder Erklärungsskizzen sind für<br />
jeden empirisch und historisch interessierten Forscher,<br />
der sich die Offenheit zum Material noch<br />
nicht durch 'theoretische' Scheuklappen hat nehmen<br />
lassen, recht offenkundig.<br />
• Die in Theorien wie empirischer Forschung verwendeten<br />
Grundbegriffe sind nicht nur - begreiflicherweise<br />
und unvermeidlich - umstritten, sondern<br />
meist ungeklärt und vieldeutig. Man weiß<br />
nicht nur nicht genau, was andere unter sozialer<br />
Bewegung, kollektivem Protest, unterOrganisation,<br />
Identität, Ideologie usw. verstehen; auch innerhalb<br />
bestimmter Theorietraditionen findet sich<br />
ein hohes Maß an Unbestimmtheit und<br />
Selbstwidersprüchlichkeit.<br />
® Die zu untersuchenden Phänomene sozialer Wirklichkeit<br />
sind überkomplex: Bekannt ist die verwirrende<br />
Vielfalt der Faktoren, welche die Entstehung,<br />
Entwicklung, Veränderung, den Erfolg oder Mißerfolg<br />
wie das Verschwinden sozialer <strong>Bewegungen</strong><br />
verursachen und beeinflussen. Alle irgendwie<br />
FORSCHUNGSJOURNAL NSB 2/92<br />
brauchbare Theorie muß diese Komplexität gliedern,<br />
bearbeiten und reduzieren, soll sie nicht zu<br />
einer nur mühsam gebändigten und kaum geordneten<br />
Hypothesenflut führen, welche den empirisch<br />
oder historisch interessierten Forscher eher<br />
zusätzlich verwirrt als anleitet. Aber das vorhandene<br />
Theorieangebot zeichnet sich durch drastische<br />
Vereinfachungen und rabiate, nicht begründete<br />
Komplexitätsreduktionen aus. Die Kluft zwischen<br />
theoretischen Modellen und der' real world'<br />
ist riesig. Die immer bestehende Spannung zwischen<br />
logischer Kohärenz, Einfachheit und Eleganzeinerseits,<br />
historisch informierten und empirisch<br />
erklärungskräftigen Aussagen andererseits<br />
wird recht einseitig und radikal durchbrochen.<br />
Schließlich scheint nur mehr die deduktive Eleganz<br />
und mathematische Gewißheit auf den inflationär<br />
konstruierten 'Inseln' zu interessieren.<br />
• DiezuuntersuchendenPhänomenesozialer Wirklichkeit<br />
gehorchen keiner deterministischen Logik:<br />
So ist z.B. die Entstehung und Entwicklung<br />
sozialer <strong>Bewegungen</strong> weniger strukturiert, offener<br />
und kontingenter als überlieferte Konzepte<br />
allgemeiner Theorie zulassen, welche mit Gesetzenoder<br />
gesetzesähnlichen Regelmäßigkeiten operieren.<br />
Großangelegte gesellschaftliche Strukturund<br />
Entwicklungstheorien unterstellen Geschlossenheiten,<br />
systematische Interdependenzen und<br />
Logiken, welche sich in Gesellschaftsformationen<br />
und Geschichte schwerlich finden lassen. Aber<br />
auch in der Bewegungsforschung mit ihrer, vom<br />
Gegenstand her diktierten, Nähe zu Aktion, Politik<br />
und Geschichte haben Theorien die größten<br />
Schwierigkeiten, die prinzipiell zu fordernde Öffnung<br />
ßr Kontingenz nicht schon im Ansatz zu<br />
versäumen. Natürlich ist ein radikalisiertes 'it<br />
depends' der Tod aller Theorie. Als solches kann<br />
es empirischer und historischer Forschung keine<br />
sinnvollen Richtungen weisen. Es dient seinen<br />
Zwecken nur im Protest gegen Theorietypen,<br />
welche ihrem Gegenstand a limine unangemessen<br />
sind.<br />
• Seit der Entstehung der empirischen Sozialforschung<br />
wird die tiefe und unfruchtbare Kluft<br />
zwischen Theorie und Erfahrung beklagt. Die