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1 - Forschungsjournal Soziale Bewegungen

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FORSCHUNGSJOURNAL NSB 2/92 L—Iii<br />

einschlägigen Ausführungen in "<strong>Soziale</strong> Systeme"<br />

vor allem hieran anknüpfen. Erst zur Verdeutlichung<br />

unserer Kritik im nächsten Abschnitt wollen wirauch<br />

verstärkt auf sonstige Äußerungen Luhmanns zum<br />

Thema soziale <strong>Bewegungen</strong> eingehen.<br />

1.1 Protestviren und das<br />

Immunsystem der Gesellschaft<br />

Luhmanns Entwurf einer allgemeinen Theorie sozialer<br />

Systeme von 1984 präsentiert sich als ambitionierter<br />

Ausweg aus der Theoriekrise der Soziologie. Der<br />

Autor reklamiert "Universalität der Gegenstandserfahrung<br />

in dem Sinne, daß sie als soziologische<br />

Theorie alles <strong>Soziale</strong> behandelt und nicht nur Ausschnitte"<br />

(1984:9). Dieser systematische wie empirische<br />

Universalitätsanspruch (der Wirklichkeitsbezug<br />

muß in der Theoriebildung gewahrt bleiben, S.<br />

13) legitimiert die kritische Nachfrage, ob und in<br />

welchen Dimensionen soziale <strong>Bewegungen</strong> in diesem<br />

allgemeinen Grundriß vorkommen. Gesteigert<br />

werden die Erwartungen durch den in den 80er Jahren<br />

vollzogenen zweiten systemtheoretischen Paradigmawechsel,<br />

der die alte Leitdifferenz von "System/<br />

Umwelt" durch die neue Leitdifferenz "Identität/<br />

Differenz" ersetzt. Die nun zum Fixpunkt erkorene<br />

selbstreferentielle ("autopoietische") Geschlossenheit<br />

soll zugleich mit einer erhöhten Offenheit für<br />

Umweltkomplexität korrelieren (63). "Systeme sind<br />

nicht nur gelegentlich und nicht nur adaptiv, sie sind<br />

strukturell an ihrer Umwelt orientiert und könnten<br />

ohne Umwelt nicht bestehen" (35).<br />

<strong>Soziale</strong> <strong>Bewegungen</strong>, ein für Luhmann im Grunde<br />

nicht theoriefähiger Begriff (543), kommen an einer<br />

für die Theoriekonstruktion bedeutsamen Stelle -<br />

dem Umgang mit Widerspruch - ins Spiel. Wie<br />

können sich angesichts einer prekären Umwelt autopoietische<br />

Systeme reproduzieren, wenn sie gleichzeitig<br />

ihre Umweltsensibilität steigern müssen? Wie<br />

können sie Widerspruch und Konflikt verarbeiten?<br />

Widerspruch vermag nicht nur ein System zu destabilisieren,<br />

sondern unter funktionalen Gesichtspunkten<br />

auch einen zentralen Beitrag zur Stabilisierung<br />

autopoietischer Systeme zu leisten, wenn und indem<br />

er die Ausbildung eines Immunsystems fördert, das<br />

für die Selbstreproduktion des Systems unter sich<br />

ändernden Bedingungen durch Selektion brauchbarer<br />

Veränderungen sorgt (503f). In diesem Sinne<br />

diskutiert Luhmann die Funktion des Rechts als eines<br />

Immunsystems der Gesellschaft, das wie alle Systeme<br />

dieser Art über Neins, d.h. kommunikative Ablehnungen<br />

disponiert (549).<br />

Ganz generell wird Luhmann zufolge die Entwicklung<br />

von modernen Gesellschaften von einer Vermehrung<br />

von Widerspruch und der Erhöhung von<br />

Konfliktbereitschaft begleitet, was u.a. durch soziale<br />

<strong>Bewegungen</strong> angezeigt wird. Deren Bewertungbleibt<br />

in systemtheoretischer Perspektive ambivalent. Einerseits<br />

sind soziale <strong>Bewegungen</strong> in der Lage, "mit<br />

hoher Widerspruchs- und Konfliktbereitschaft Funktionen<br />

im Immunsystem der Gesellschaft zu übernehmen"<br />

(548). Als verbesserte Formen der Selbstbeobachtung<br />

des Gesellschaftssystems können sie<br />

zur Selektion bedeutsamer Konflikte beitragen. "Im<br />

Rahmen dieser selektiven Formierung von Widerspruch<br />

und Konflikt haben die Stärkung von Ablehnungspositionen<br />

durch Recht und die Artikulation<br />

von Unruhe, Kritik und Protest in der Form sozialer<br />

<strong>Bewegungen</strong> komplementäre Bedeutung gewonnen"<br />

(550). Andererseits sind soziale <strong>Bewegungen</strong> Mechanismen<br />

(parasitärer) Selbstbeobachtung und selbstreferentieller<br />

Systembildung, die von einer Effekterzeugung<br />

durch nichtintendierte Effektkumulation<br />

leben. Damit gehören sie "zu den beunruhigenden<br />

Erscheinungen der modernen Gesellschaft" (545).<br />

Ihr selbstreferentieller Charakter ist prekär, weil er<br />

zur Radikalisierung führt. Ihre Funktionsleistungen<br />

sind ungesichert, denn plötzliches Auftreten und<br />

rasches Wiederabklingen gehört zu ihren Bewegungsgesetzen.<br />

Das in sozialen <strong>Bewegungen</strong> auf Dauer<br />

gestellte Neinsagen strapaziert das Immunsystem.<br />

Zwar weigert sich Luhmann, Immunsystem und<br />

Widerspruch gegeneinander auszuspielen, doch enden<br />

seine Ausführungen zu sozialen <strong>Bewegungen</strong><br />

höchst besorgt: "Inj edem Falle wird man sich fragen<br />

müssen, wie von da her das doch auch nötige Ja zur<br />

Gesellschaft wiedergewonnen werden kann" (550).<br />

Das von Luhmann geforderte "nötige Ja zur Gesellschaft"<br />

ist nicht einfach als "alteuropäischer" Rückfall<br />

auf das Hobb essche Prob lern sozialer Ordnung zu

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