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1 - Forschungsjournal Soziale Bewegungen

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16 FORSCHUNGSJOURNAL NSB 2/92<br />

der 'Binnenperspektive' (Raschke) zu behandeln<br />

versuchen und dabei von strategischen Interaktionen<br />

abstrahieren. Derartige Modelle haben kein fundamentum<br />

in re, können aber zweckmäßige methodische<br />

Vereinfachungen sein, solange erkannt bleibt,<br />

daß auch die Herausbildung kollektiver Identität,<br />

kollektiver Organisation und Mobilisierung prinzipiell<br />

im Felde strategischer Interaktionen stattfindet.<br />

Sachlich gibt es keine Alternative: 'Dialogische'<br />

oder 'trilogische', kurz strategische Interaktionsmodelle<br />

mit mehreren Aktoren sind die einzig adäquaten.<br />

In strategischen Interaktionen haben nicht nur<br />

alle eigenen Erwartungen und Handlungen Vor-,<br />

Rück- und Nebenwirkungen auf frühere wie spätere<br />

Phasen diesesProzesses, sondern sie beeinflussen die<br />

Erwartungen und Handlungen der Konfliktgegner<br />

und Dritter, wie sie umgekehrt ihrerseits durch deren<br />

Erwartungen und Handlungen auf allen Stufen beeinflußt<br />

werden. Strategische Interaktionen sind im<br />

Vergleich zu anderen sozialen Interaktionen durch<br />

ein sehr klares Bewußtsein der Reflexivität der Erwartungen<br />

und der Interdependenz der Handlungen<br />

ausgezeichnet. Von Hobbes bis Parsons liefern sie<br />

das Grundmodell für' doppelte Kontingenz'. Schließlich<br />

sind der Verlauf und die Folgen von Konflikten<br />

das klassische Beispiel ungewollter, von niemandem<br />

intendierter Handlungsfolgen. Sie verlangen daher a<br />

limine, daß man die Binnenperspektive des 'einen'<br />

kollektiven Aktors durchbricht.<br />

Die Forderung, die bestehenden Dichotomien zu<br />

überwinden und Erkenntnisse aus verschiedenen<br />

Traditionen zu integrieren, ist - wie gesagt - keineswegs<br />

neu; ebensowenig neu ist der Aufruf zu differenzierter<br />

Begriffs- und Theoriebildung wie zu 'stärker<br />

distanzierter, stärker analytisch ausgerichteter'<br />

historischer und empirischer Forschung. Was aber<br />

auffällt und zum Nachdenken zwingt, ist das eklatante<br />

Mißverhältnis zwischen wiederholten Aufforderungen<br />

und offenkundig fehlender Umsetzung. Dies<br />

gilt für Grevens 'Kritik' ebenso wie für Brands und<br />

Ruchts Verteidigung. Neu an der hier vorgelegten<br />

Protheorie scheint mir, daß nicht beim routinierten<br />

Lamento über den Zustand des Fachs und der gutgemeinten,<br />

aber billigen Aufforderung, die Malaise zu<br />

überwinden, stehen geblieben wird. Vielmehr wird<br />

die Kritik der Dichotomisierungen zum Anlaß ge­<br />

nommen, die jeweils fruchtbaren Erkenntnisse in<br />

einen systematischen Bezugsrahmen sachlich zu integrieren<br />

und damit sowohl der Konstruktion differenzierter<br />

Teiltheorien wie der Entwicklung empirischer<br />

Forschung neue Bahnen zu weisen. Angesichts<br />

der Vielfalt und Kompexität der Themen ist es gänzlich<br />

unmöglich, auch nur eine oberflächliche Zusammenfassung<br />

des Ertrags dieser Integration zu präsentieren.<br />

Stattdessen möchte ich einen Aspekt herausgreifen.<br />

Neue soziale <strong>Bewegungen</strong>?<br />

Diskussionen über die neuen wie die alten sozialen<br />

<strong>Bewegungen</strong> sind weder normativ noch politisch<br />

neutral. 'Neu' und 'alt' sind klassische Prototypen<br />

dichotomisierender Kampf begriffe. Protagonisten der<br />

'neuen' sozialen <strong>Bewegungen</strong> wie sympathisierende<br />

Bewegungswissenschaftler versuchen deren innere<br />

Einheit und ihren Zusammenhalt zu betonen, die<br />

qualitative Neuartigkeit 'ihrer' <strong>Bewegungen</strong> im Unterschied<br />

zu den 'alten' <strong>Bewegungen</strong> (oder eigentlich:<br />

'der alten' Arbeiterbewegung) zu profilieren<br />

und die 'alten' <strong>Bewegungen</strong> für tot, verkrustet, institutionalisiert<br />

usw. zu erklären. Umgekehrt unterstreichen<br />

Bewegungsprotagonisten der ('alten') Arbeiterbewegung<br />

die Heterogenität dieser <strong>Bewegungen</strong>,<br />

ihren tendentiell elitären und nicht-universalistischen<br />

Charakter, ihre illusorischen Selbstbilder, und versuchen<br />

zu zeigen, daß ihre Organisationsmodelle und<br />

strategischen Optionen den alten Dilemmata und<br />

Paradoxien der Macht nicht entgehen können. Es gibt<br />

da keinen 'un-interessierten' Zugang. Während jedoch<br />

diese politische Frontstellwtgmeist recht offensichtlich<br />

und daher auch bewußt ist, bleiben die<br />

wissenschaftssysteminternenFrontstellurigenunddie<br />

mit ihnen verknüpften Wissensstrategien eher im<br />

Hintergrund. Noch immer ist es anrüchig, über den<br />

erstrebten Profilierungsgewinn zu sprechen oder nachzudenken,<br />

der mit der Proklamation immer 'neuer'<br />

Gesellschaftstypen (Sie wissen schon: die 'post-materialistische',<br />

'post-industrielle', 'post-moderne'<br />

'Informations-Gesellschaft' usw.), immer wieder<br />

'neuer' Klassen und <strong>Bewegungen</strong> verbunden ist.<br />

Dabei sagen die inflationären Neuheiten mehr über<br />

die Bedingungen intellektueller Rivalität und Kon-

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