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1 - Forschungsjournal Soziale Bewegungen

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J<br />

deuten. Es ist vielmehr eine Konsequenz des Konzepts<br />

von "Immunsystemen", die bestimmte Umweltanforderungen<br />

aufgrund einer bloßen Diskrimination<br />

als nicht-dazugehörig neutralisieren müssen,<br />

aber dann doch zuweilen von Überlastungen bedroht<br />

sind. So durchsetzt etwa die Soziologie das Immunsystem<br />

der Gesellschaft mit unangemessenen Kognitionsanforderungen<br />

und wird "zur Krankheit der<br />

Gesellschaft" (505). Darin scheint sie den sozialen<br />

<strong>Bewegungen</strong> zu ähneln. Beide stehen quer zu den<br />

Funktionsbedingungen gesellschaftlicher Immunsysteme,<br />

indem sie sich an deren abgekürzten Verfahren<br />

stören und nach Ursachen fragen. Nicht mehr<br />

Wissen, so wäre den sozialen <strong>Bewegungen</strong> wie der<br />

Soziologie systemtheoretisch abgeklärt entgegenzuhalten,<br />

sondern höhere Komplexität sind gefordert.<br />

1.2 <strong>Soziale</strong> <strong>Bewegungen</strong><br />

als soziale Systeme<br />

Erneut ist es der "Mangel an theoretischer und vor<br />

allem gesellschaftstheoretischer Perspektive"<br />

(1991:135), der Luhmann zu seiner jüngsten Wortmeldung<br />

in Sachen soziale <strong>Bewegungen</strong> veranlaßte.<br />

Noch immer ist ihm allerdings dieser Begriff selbst zu<br />

unhandlich, so daß er sich - scheinbar theoretisch<br />

folgenlos - mit dem engeren Begriff der Protestbewegungen<br />

"begnügt".<br />

Wer sich an den Universalitätsanspruch der Systemtheorie<br />

erinnert, wird von der nun expliziten<br />

Feststellung nicht überrascht sein, daß man "Protestbewegungen<br />

als autopoietische Systeme beschreiben<br />

(kann)" (136). Protest gilt als Katalysator der eigenen<br />

Systembildung; die Genese und Strukturierung dieses<br />

Systems geht nicht auf Außenwirkungen zurück:<br />

"Protest ist kein Sachverhalt, der aus der Umwelt in<br />

das System transportiert wird; sondern er ist eine<br />

Konstruktion des Systems selbst, deren Gründe dann<br />

in die Umwelt verlagert werden" (137). Was den<br />

Protest als eine besondere Form von Kommunikation<br />

zusammenhält, ist ein spezifisches Thema, das den<br />

inhaltlichen Fundus abgibt, um Forderungen an andere<br />

zu stellen und deren Verantwortung anzumah­<br />

FORSCHUNGSJOURNAL NSB 2/92<br />

nen. Protestbewegungen "kritisieren Praktiken oder<br />

Zustände, machen sich aber nicht selber anheischig,<br />

an die Stelle dessen zu treten, derfür Ordnung sorgen<br />

sollte. Es geht ihnen nicht um einen Austauch von<br />

Plätzen, nicht um politische Opposition, die selber<br />

die Regierung übernehmen möchte...Es geht vielmehr<br />

um einen Ausdruck von Unzufriedenheit, um<br />

die Darstellung von Verletzungen und Benachteiligung,<br />

nicht selten auch um wildes Wünschen" (136f£).<br />

Der Bezug auf die andere Seite, die auf den Protest zu<br />

reagieren hat, bleibt für den Protest konstitutiv. Verwischt<br />

sich diese Differenz, so bricht der Protest<br />

zusammen. Erfolgsbedingung für Protestbewegungen<br />

ist somit auch die Differenzerhaltung von Thema<br />

und Protest; die Bewegung lasse sich nicht in die<br />

Form einer normalen Organisation und die ganz<br />

andere Form eines Zweckes bringen, "denn das<br />

Protestieren kann nicht gut als Ziel der Bewegung<br />

deklariert werden" (139).<br />

1.3 Eine Stufenfolge historisch<br />

relevanter Sozialbewegungen<br />

Luhmann entwirft eine Typologie von Protestbewegungen,<br />

die vom Problem der ungleichen Verteilung<br />

der sozialen Kosten von Zeitbindungen ausgeht und<br />

diesen Bezugspunkt mit historisch konkreteren Ausgangsproblemen<br />

verknüpft.<br />

So führt Luhmann die Unruhen, Revolten und Widerstandsbewegungen<br />

der frühen Neuzeit im wesentlichen<br />

auf die Verletzung normativer Erwartungen<br />

zurück. Zu dem damit umrissenen Konflikttypus<br />

rechnet er sowohl die <strong>Bewegungen</strong> von Landarbeitern<br />

und Kleinbauern, die sich auf die Einhaltung der<br />

Prinzipien einer "moralischen Ökonomie" beriefen,<br />

als auch die Erhebungen des Adels und der Vertreter<br />

der Korporationen gegen die tyrannische Willkür. In<br />

deramerikanischenUnabhängigkeitsbewegungsieht<br />

er die letzte große, strikt durch Rechtsfragen ausgelöste<br />

Protestbewegung.<br />

Die nächste große Protestbewegung ist die des Sozialismus,<br />

die sich an Verteilungskonflikten entzündete.

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