1 - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
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I FORSCHUNGSJOURNAL NSB 2/92<br />
die Entlastung nicht mehr. Die Bewohner müssen<br />
schon allein aus funktionalen Gründen ein Interesse<br />
daran haben, sich Mitbewohner zu suchen, zu denen<br />
sie ein entspanntes Verhältnis haben.<br />
2.2 Kommunikation<br />
Frauen mit kleinen Kindern sind stark auf die Wohnung<br />
und die Wohnumgebung angewiesen. Wenn sie<br />
nicht "allein mit den Kindern versauern wollen",<br />
brauchen sie Kontakte im Wohnbereich. Überlassen<br />
die Frauen es dem Zufall, wer ihre Nachbarn sind,<br />
kann es ihnen passieren, daß sie sich Verhaltensformen<br />
anpassen müssen, die ihnen fremd sind - nur um<br />
Kontakt zu haben. Dazu sind die Bewohner von<br />
Wohnprojekten nicht bereit. Ein Grund dafür ist das<br />
Ausbildungsniveau der Frauen. Fast alle haben eine<br />
qualifizierte Ausbildung und einen Beruf bzw. streben<br />
einen Beruf an. Sie sind wegen der Kinder<br />
vorübergehend aus dem Beruf ausgestiegen oder<br />
haben eine Teilzeitarbeit aufgenommen. Es ist in<br />
unserem Sample keine Hausfrau, also eine Frau, die<br />
sich langfristig für Kinder und Küche entschieden<br />
hat. Die Frauen haben weitergehende Interessen, sie<br />
wollen nicht im Hausfrauen- undMutterdasein aufgehen,<br />
nur weil sie zeit- oder teilweise ans Haus gebunden<br />
sind.<br />
Die Befragten wollen ihren Nachbarn nichts vormachen,<br />
nur weil sie wegen der Kinder auf Kontakte<br />
angewisen sind. Sie wollen sich nicht Normen unterordnen,<br />
die sie nicht teilen. Beispielsweise haben sie<br />
keine Lust, "wegen der Nachbarn" den Vorgarten<br />
von allem Unkraut zu tilgen. Genausowenig wollen<br />
sie sich Nachbarschaftsritualen unterwerfen, wie<br />
Pflichtbesuchen oder der Konversation über Dinge,<br />
die sie nicht interessieren. Statt Einschränkung erwarten<br />
die Bewohnerinnen der Gemeinschaftsanlagen<br />
Erweiterung. Wenn die Mütter schon für einige Jahre<br />
an die Wohnung gebunden sind, dann erwarten sie<br />
Nachbarn, mit denen sie die Beschränkungen ihrer<br />
Entfaltungsspielräume ausgleichen können. Man holt<br />
sich einen Teil der sozialen Welt, von der man durch<br />
Familienverpflichtungen ausgeschlossen ist, in den<br />
Wohnbereich.<br />
3. Nur keine Ansprüche - Grenzen<br />
der Nähe<br />
Richard Sennett spricht in seinem Buch über "die<br />
Tyrannei der Intimität" (1986) von einer zunehmenden<br />
Tendenz narzistischen Verhaltens. In ihren Beziehungen<br />
suchen die Individuen nach Anteilen des<br />
eigenen Selbst in den anderen. Sie dienen als Spiegelung<br />
der eigenen Identität und als dessen Stütze. Das<br />
Verlangen nach gleicher Wellenlänge und gefühlsmäßiger<br />
Übereinstimmung in den Wohnprojekten<br />
scheint diese These zu bestätigen. Besonders deutlich<br />
ist dasbei den zahlreichen Lehrerhausgemeinschaften:<br />
Man lacht über die gleichen Schulwitze, und keiner<br />
fragt penetrant, ob es gerecht sei, daß Lehrer soviel<br />
Ferien haben. Die eigene Identität wird nicht in Frage<br />
gestellt, im Wohnbereich ist man sicher. In abgeschwächter<br />
Form gibt es weitere Anhaltspunkte, die<br />
auf narzistisches Verhalten hindeuten. So wird oft<br />
betont, daß man sich nur "begrenzt auf unterschiedliche<br />
Leute einstellen kann". Hervorgehoben wird auch<br />
der Wunsch, "zur Ruhe zu kommen", und deshalb<br />
kann man nicht mit Menschen zusammenleben, die<br />
immer wieder vieles, was man als richtig und wichtig<br />
erkannthat,inFragestellen.DieTendenzzurHomogenisierung<br />
hat jedoch eine klare Grenze:<br />
3.1 Freundschaft<br />
Eine Standardgeschichte über gemeinschaftliches<br />
Wohnen geht etwa folgendermaßen: Es waren zwei<br />
befreundete Ehepaare, die trafen sich oft und fuhren<br />
auch manchmal zusammen in Urlaub. Weil sie beide<br />
Kinder hatten und sich gut verstanden, beschlossen<br />
sie, sich zusammen ein Haus zu suchen. Kaum waren<br />
sie eingezogen und das letzte Zimmer gestrichen,<br />
waren sie keine Freunde mehr. Solche Geschichten<br />
haben wir oft gehört und ebenso haben uns Befragte<br />
erklärt, sie würden nie mit ihren Freunden zusammenziehen.<br />
Warum ist Freundschaft Gift für gemeinsames Wohnen?<br />
An eine Freundschaft werden hohe persönliche<br />
Ansprüche gestellt: Ehrlichkeit, Offenheit, Füreinanderdasein,<br />
Intensität. Diese Ansprüche kollidieren