1 - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
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FORSCHUNGSJOURNAL NSB 2/92 11<br />
gegenseitige Abschottung von Soziologie und<br />
Geschichte war lange Zeit sprichwörtlich und<br />
auch in der Bewegungsforschung stehen Theorie<br />
und empirische Forschung in der Regel nicht in<br />
einem produktiven Wechselverhältnis zueinander.<br />
Sie erfüllen eher jeweils rhetorische und<br />
legitimatorische Funktionen. Die empirischen<br />
Befunde werden naht- und bruchlos zur Befestigung<br />
der jeweiligen 'Theorien' eingebaut, und<br />
was nicht paßt, wird nicht gesehen, fällt nicht auf,<br />
oder wird verdrängt. Umgekehrt erlaubt die generell<br />
konstatierbare/yrterrfefe/Tniraerttai^<br />
rie durch empirische Daten, daß theoretische<br />
Versatzstücke ad libidum zur Legitimation der<br />
empirischen Forschung verwendet werden können.<br />
• Das oft konstatierte Mißtrauen oder gar die sprichwörtliche<br />
Gleichgültigkeit von Historikern und<br />
empirischen Forschern ist angesichts eines derartigen<br />
Standes der 'Theorien' zumindest verständlich.<br />
Warum z.B. sollten Leser des '<strong>Forschungsjournal</strong>s'<br />
NSB an derartigen Theoriediskussionen<br />
interessiert sein? Dennoch ist bekanntlich die<br />
Flucht in den Empirismus (auch in der neuen,<br />
elektronisch verstärkten Version statistischer<br />
Korrelationsanalysen) undHistorismusfei« w/clicher<br />
Ausweg.<br />
Pro-Theorie als Strategie<br />
Der Glaube und die Hoffnung, daß diese Engpässe<br />
überwindbar seien, waren grundlegende Intuition<br />
und Leitmotiv eines breit angelegten Projekts einer<br />
'Pro-Theorie sozialer Ungleichheit und kollektiven<br />
Handelns', deren zweiter Teil vor Kurzem erschienen<br />
ist. Ich möchte zunächst thesenhaft referieren,<br />
wie ich die skizzierten strukturellen Engpässe bearbeitet<br />
habe. Anschließend möchte ich die grundlegenden<br />
Thesen dieser Pro-Theorie kollektiven Handelns,<br />
sozialer <strong>Bewegungen</strong> und kollektiver Konflikte<br />
zusammenfassen. Abschließend möchte ich auf ein<br />
Thema der Diskussion im '<strong>Forschungsjournal</strong>' zurückkommen<br />
und wenigstens umreißen, welchen<br />
Nutzen diese Pro-Theorie für Theorie und Forschung<br />
der NSB erbringen kann.<br />
® Die Forderung nach Überwindung der theoretischenDichotomisierungen,<br />
nach Integration theoretischer<br />
Ansätze wurde natürlich schon oft gestellt.<br />
Sie gründet in der Einsicht, daß als exklusiv<br />
präsentierte Theorien, wenn man die Wut intellektueller<br />
Rivalität durchbricht, komplementäre Erkenntnisse<br />
enthalten können. Zu beachten ist allerdings,<br />
daß es nicht einfach um eine Integration<br />
konkurrierender 'Theorien' gehen kann. Vielmehr<br />
gilt es, fruchtbare Perspektiven und kognitive<br />
Erkenntnisbruchstücke aus der konfrontierenden<br />
Logik herrschender Rivalität und dem<br />
Prokrustesbett reduktionistischer Theorieauffassungen<br />
zu befreien. Sobald man erkannt hat, daß<br />
diese theoretischen Ansätze keine konsistenten<br />
Theorien sind, wird auch ersichtlich, daß die<br />
Forderung der Integration verschiedener Perspektiven<br />
und Erkenntnisse nicht dasselbe ist wie<br />
'Integration von Theorien' und 'theoretischerPluralismus',<br />
oder gar ein Plädoyer für katholischen<br />
Eklektizismus beinhaltet.<br />
® Wie kann das Problem der 'Überkomplexität der<br />
Welt' und der 'Unterkomplexität von Theorien'<br />
angegangen werden, wenn weder rabiate Komplexitätsreduktionen<br />
noch Ertränken in Komplexität<br />
fruchtbare Perspektiven bieten? Der Grundgedanke<br />
dieser Pro-Theorie ist ein doppelter: Erstens<br />
gilt es, einen hinreichend komplexen protheoretischen<br />
Bezugsrahmen zu konstruieren, in<br />
welchem in einem Stufenmodell die relevanten<br />
Ebenen der Analyse kollektiven Handelns und<br />
sozialer <strong>Bewegungen</strong> skizziert werden. 2<br />
Die dafür<br />
angemessenen pro-theoretischen Strategien sind<br />
einerseits die der begrifflichen Disaggregation<br />
(im Anschluß an Max Weber; 3<br />
), andererseits das<br />
mühsame Geschäft der Differenzierung verschiedener<br />
Analyseebenen und ihre theoretisch begründete<br />
Strukturierung und Gliederung. Im Anschluß<br />
daran muß zweitens diese aufgebaute<br />
Komplexität kontrolliert, schrittweise und gestaffelt<br />
reduziert werden. Für den Entwurf von<br />
(Teil-)Theorien, wie für empirische Forschung,<br />
ist dabei das eigentliche Problem, adäquate Ebe-