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1 - Forschungsjournal Soziale Bewegungen

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FORSCHUNGSJOURNAL NSB 2/92<br />

namik, mit der Forderungenneuersozialer <strong>Bewegungen</strong><br />

in politische Veränderung katapultiert werden,<br />

erklären könnte. Melucci (1989, S. 206) betont sogar,<br />

daß die derzeitgen sozialen <strong>Bewegungen</strong> unpolitisch<br />

sind, wenn er schreibt "[C]ontemporary movements<br />

have shifted towards a non-political terrain: the need<br />

of self-realization in everyday life." Anstatt die politische<br />

Sprengkraft der <strong>Bewegungen</strong> in die Theorie<br />

aufzunehmen, schließt der Bezug auf (alte) Grenzen<br />

somit politisches Potential aus. Dieser theoretische<br />

Ansatz steht in diametralem Gegensatz zu den o.g.<br />

feministischen Interpretationen des Politischen. Die<br />

potentielle Reichweite des Politischen dieser <strong>Bewegungen</strong><br />

wird dadurch gekappt, obwohl die <strong>Bewegungen</strong><br />

selbst als politische Akteurinnen charakterisiert<br />

werden, die "Grenzen durchbrechen", und die "politische<br />

Ordnung verändern".<br />

Zusammengefaßt bedeutet dies, daß die NSB-Forschung<br />

die Trennung zwischen politischem und nichtpolitischem<br />

Raum in der Gesellschaft nicht hinterfragt.<br />

"Demokratische Politik ist", so schreibt Offe<br />

(1980) "die Brücke zwischen Bürger und Staat" 31<br />

.<br />

Obwohl Studien über soziale <strong>Bewegungen</strong> diese<br />

Politik bisher von verschiedenen Aspekten her analysiert<br />

haben, ist die "demokratische Brücke", so hat<br />

dieses Essay zu zeigen versucht, nicht ausreichend,<br />

um die Verbindung zwischen Bürger/in und politischem<br />

Prozeß zu verstehen oder zu erklären. Im<br />

Gegenteil, die demokratische Praxis in den nördlichen<br />

kapistalistischen Staaten akzeptiert nur ein begrenztes<br />

Potential an Handlung als legitim politisch.<br />

Anhand derfeministischen De-konstruktion der "social<br />

contract" Theorien habe ich darauf hingewiesen,<br />

daß das liberal-demokratische Demokratieprinzip<br />

durch eine binäre Logik unterwandert wird. Es hat<br />

dementsprechend nur selektiv demokratische Bedeutung.<br />

Die Einteilung in politisch und nicht-politisch<br />

wird nicht individuell entschieden, sondern ist Teil<br />

des demokratischen Diskurses, der aus den "social<br />

contract"-Theorien hervorgegangen ist.<br />

Eine radikale Infragestellung dieser binären Logik ist<br />

die Ausgangsposition, um anhand der Definition von<br />

Räumen in ihrem Verhältnis zu Zeit sowie darauf<br />

aufbauend einer Rekonzeptualisierung des Verhältnisses<br />

von Kultur und Politik (post)moderne politi­<br />

sche Praxis zu analysieren. So könnte die prozeßhafte<br />

Beziehung zwischen persönlicher Erfahrung und<br />

politischer Veränderung, die ein zentraler, wenn auch<br />

komplizierter Bestandteil der Bewegungsforschung<br />

ist, m.E. analysiert werden. Ein breites politisches<br />

Potential, das in den Netzwerken, Kommunikationsund<br />

Informationsformen von Frauenbewegungen,<br />

'movimiento populär', 'autonomen' und/oder Hausbesetzer/innenbewegungen<br />

angelegt ist, könnte damit<br />

zumindest aus dem Schatten des diskursiven<br />

Dickichts befreit werden. Ich hoffe, dieses Essay<br />

konnte zeigen, daß die Aufmerksamkeit, die wir den<br />

konstruierten Grenzen zwischen politischem und<br />

privatem Bereich widmen, uns letztendlich erst Aufschluß<br />

über die ganze Tragweite radikaler Veränderungen,<br />

die durch soziale <strong>Bewegungen</strong> initiiert werden,<br />

begreifbar machen kann. Solange diese konstruierten<br />

Grenzen auf der abstrakten Ebene reproduziert<br />

werden, die "political-ness" dieser Grenzziehung<br />

selbst also nicht erkannt wird, bleiben sie als Barrieren,<br />

die unseren Blick für Veränderungspotential<br />

entschärfen, bestehen. In einer Zeit, in der sich das<br />

Wahlverhalten in Demokratien rasant ändert, und -<br />

akzeptieren wir den von mir favorisierten breiteren<br />

Politikbegriff - politische Auseinandersetzungen<br />

weniger in den etabliertenParteien, sondern vielmehr<br />

außerhalb dieserstattfinden, istnebenKreativitätund<br />

politischer Phantasie auch ein scharfer Blick notwendig,<br />

um neue Strategien zu entwickeln.<br />

Antje Wiener arbeitet am "Department of Political<br />

Science" der Carlton University, Canada<br />

Anmerkungen<br />

1<br />

2<br />

Ich verwende "Kessel" hier in Anlehnung an die<br />

Einkesselung von Demonstrant/inn/en durch die Polizei,<br />

wie z. B. auf dem Hamburger Heiliggeistfeld, und<br />

im Vorfeld der IWF Tagung in West-Berlin 1987, wo<br />

nicht nur Demonstrant/inn/en durch dichte Polizeiketten<br />

von der Umgebung isoliert wurden, sondern auch<br />

ein Polizeikontrollring um den Bezirk Kreuzberg die<br />

Bewegungsfreiheit von Bürger/innen einschränkte.<br />

Dies ist eine stark gekürzte und überarbeitete Version<br />

des Vortrags "New bridges over old constraints? Some<br />

reflections on the bridging dilemma in new social<br />

movement theory", der auf der Eighth International<br />

Conference of Europeanists, March 27-29, 1992, in<br />

Chicago gehalten wurde. Für Kommentare zu früheren

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