1 - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
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Schlagfertigkeit indirekt darauf, daß auch sie selbst<br />
ihr Outfit offenbar für legitimierungsbedürftig hält.<br />
Dennoch ist ihre Äußerung alles andere als defensiv,<br />
sondern hat insgesamt den Charakter eines klaren<br />
Konters: Der forsche Reporter wird abgebügelt; am<br />
Schluß bleibt die Stimme leicht triumphierend in der<br />
Schwebe; die Botschaft der Antwort ist nichts in der<br />
Art, "was Männern gefällt", sondern neues, feministisches<br />
Selbstbewußtsein.<br />
Die Überzeugungskraft der eingenommenen Pose<br />
hält allerdings nicht allzu lange an. Der vielleicht<br />
interessanteste Abschnitt der Sequenz ist die Pause<br />
von immerhin etwa eineinhalb Sekunden Länge. In<br />
dieser Pause "kippt" die Situation, in ihr überlagern<br />
sich mehrere Prozesse, die zumeist jedoch nur indirekt<br />
erschlossen werden können. Zunächst: (R), der<br />
ja offensichtlich nicht auf den Mund gefallen ist, ist<br />
verstummt; insofern hat der Konter gesessen. Daß er<br />
nichts mehr sagt, muß keineswegs heißen, daß er mit<br />
der Antwort zufrieden ist; wahrscheinlich ist eher,<br />
daß er überrascht und verblüfft ist: Die Frau im<br />
kurzen Minirock - ausgerechnet eine Feministin!<br />
Obwohl die Kamera strikt auf das Gesicht von (F)<br />
gerichtet bleibt, läßt sich in ihrem Gesicht auch die<br />
Reaktion von (R) ablesen: Sie schaut, wie jemand<br />
schaut, der in ein verdutztes Gesicht schaut. Diese<br />
Verdutztheit von (R) hat freilich nicht nur den Charakter<br />
einer individuellen Irritation: Sie ist zugleich<br />
ein Indiz für die Relevanzen der gesellschaftlichen<br />
Mehrheit, in deren Augen ein Minirock, der nicht die<br />
Blicke der Männer auf sich ziehen will, zumindest<br />
eine Kuriosität darstellt. Und hier kommt nun ein<br />
weiteres Element der Situationsdefmition massiv<br />
zum Tragen, nämlich die Präsenz der Kamera. Die<br />
Wahrnehmungsmuster der Normalität sind nicht nur<br />
in Gestalt des Reporters unmittelbar anwesend, sie<br />
bestimmen auch die Rezeptionshaltung der Millionen<br />
von Fernsehzuschauern, die die Äußerung am<br />
Bildschirm verfolgen werden. Mag die kognitive<br />
Verbindung von "neuem Körperbewußtsein" und<br />
Minirock im Bewegungskontext der Frauengruppe<br />
zwar vielleicht nicht gerade üblich, als Bewegungsrhetorik<br />
letztlich aber doch akzeptabel sein, so läuft<br />
sie im "neutralen" Kontext einer medial hergestellten<br />
Massenöffentlichkeit sofort Gefahr, als ideologische<br />
Affektiertheit und peinliche Gesinnungspose wahrgenommen<br />
und stigmatisiert zu werden. Kurzum:<br />
FORSCHUNGSJOURNAL NSB 2/92<br />
Das inszenierte Charisma neuer Weiblichkeit stürzt<br />
in sich zusammen. Es ist diese fließende Ablösung<br />
derkonkurrierenden Relevanzsysteme, diesichinder<br />
Pause auch in (F) selber vollzieht und an ihrem<br />
mimischen Ausdruck ablesen läßt. Sie hat sich vor<br />
aller Augen aufs Podest der Emanzipation gestellt<br />
und findet sich plötzlich am Rande der Lächerlichkeit<br />
wieder.<br />
(F)s nachgeschobene Äußerung (3) zeigt deshalb alle<br />
Merkmale der Kompromißbildung. Die verminderte<br />
Lautstärke wirkt zwar nicht kleinlaut, ist aber dennoch,<br />
gerade im Kontrast zum herausfordernden<br />
Tonfall von (2), ein deutliches Indiz für ihr Einlenken.<br />
Das "na ja" restituiert die situative Normalität,<br />
fängt (R)s Irritation auf und signalisiert ihm Entgegenkommen.<br />
Der Einschub "und wenn ich ehrlich<br />
bin" qualifiziert die vorherige Antwort indirekt als<br />
unehrlichoderzumindestpräzisierungsbedürftigund<br />
ist darüber hinaus ein implizites Eingeständnis feministischer<br />
Gesinnungszensur: Wer, so müßte man<br />
fragen, zwingt sie denn, unehrlich zu sein? Allerdings<br />
wird auch dieses Dementi sogleich wieder relativiert:<br />
Das "auch" im darauffolgenden "ich mach's auch"<br />
nimmt wiederum die Zurücknahme teilweise zurück<br />
und beharrt auf der früheren Aussage - eine keineswegs<br />
ungewöhnliche rhetorische Verschleifung, die<br />
den Identitätsbruch in Grenzen halten will. Der Abschluß<br />
"um aufzufallen" ist schließlich noch einmal<br />
eine gelungene Wendung und bezeichnet die Kompromißformulierung<br />
zwischen den beiden Relevanzsystemen<br />
par excellence: Auffallen wollen kann sowohl<br />
heißen: allen, also auch Männern auffallen und<br />
gefallen wollen, gleichzeitig aber auch, in feministischer<br />
Lesart: Demonstration neuer Weiblichkeit,<br />
Ausdruckveränderten weiblichen Selbstbewußtseins.<br />
Die vielfältigen Brüche und Dilemmata, in die eine<br />
solche Selbstinszenierung neuer Weiblichkeit sich<br />
verstrickt, sind offensichtlich. Die exemplarische<br />
Prophetie wird sofort schal, wenn sie sich in einen<br />
anderen Kontext verpflanzt, wenn die Relevanzen<br />
der Minderheit unvermittelt in die Arena der Mehrheitgetragen<br />
werden. Schlagartig wird aus der Selbststigmatisierung<br />
als einer Quelle des Charisma (vgl.<br />
Lipp 1985) eine Methode der Selbstdestruktion vor<br />
einem fremden, abweisenden Publikum. Der Beifall<br />
der einen ist das Zischen, am Ende die Gleichgültig-