1 - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
1 - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
1 - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
FORSCHUNGSJOURNAL NSB 2/92<br />
die 'gesellschaftlichen Bedingungen strukturieren<br />
das Handeln' und dieses 'reproduziert oder transformiert'<br />
wiederum die gesellschaftlichen Bedingungen,<br />
der Fall ist -, soll die Strukturierung des Prozesses<br />
erkannt werden, dann muß zunächst von allen<br />
'Rück- und Nebenwirkungen' abstrahiert werden.<br />
Soll eine derartige 'lineare Darstellung' nicht ein<br />
bloßer Darstellungstrick sein, der sich mit dem Hinweis<br />
darauf, daß man eben nicht alles synchron<br />
präsentieren kann, allzu leicht legitimieren läßt -<br />
damit wird ja schließlich nicht beantwortet, warum<br />
man womit anfängt -, muß diese 'Logik der Stufenfolge'<br />
etwas von der der Sache selbst treffen. Die<br />
theoretische These dieser Protheorie besagt, daß soziale<br />
<strong>Bewegungen</strong> und kollektive Konflikte im Ausgang<br />
von ihren sozialstrukturellen Grundlagen am<br />
fruchtbarsten analysiert werden können. Die Logik<br />
dieser Argumentation, keineswegsderlnhaltoderdie<br />
Stufenfolge selber, ist identisch mit der von Smelsers<br />
'value added'-Modell: Die unteren Stufen sind jeweils<br />
notwendige, aber nicht hinreichende Bedingungen<br />
der höheren. Zu einfach formuliert: Die<br />
objektive Struktur und Entwicklung von Gesellschaften<br />
mit systematischen Ungleichheiten und hoher<br />
Dynamik enthält ein großes Reservoir an objektiven,<br />
latenten Interessengegensätzen und gesellschaftlichen<br />
Strukturproblemen. Aber viele potentielle Gegensätze<br />
und Probleme bleiben potentiell, viele potentielle<br />
Konfliktgruppen entwickeln nie ein Bewußtsein<br />
kollektiver Identität. Es gibt immer mehr<br />
Gründe für Unzufriedenheit als Unzufriedenheit selbst.<br />
Es gibt immer mehr Unzufriedenheit als kollektive<br />
Unzufriedenheit und kollektives Handeln. Es führt<br />
kein direkter Weg von 'anger to collective action'.<br />
Konfliktgruppen, welche ein kollektives Bewußtsein<br />
entwickelt haben, mißlingt die Mobilisierung. Mobilisierte<br />
und organisierte Konfliktgruppen handeln<br />
dennoch nicht, weil die Erfolgschancen zu ungünstig<br />
beurteilt werden usw.<br />
b) Die auf den jeweiligen Stufen vorhandenen Freiheitsspielräume<br />
können - von den Aktoren, von<br />
Ge gnern wie Dritten, von Forschern - jeweils deterministisch<br />
unterschätzt oder voluntaristisch überschätzt<br />
werden. Sie sind zwar sehr wohl durch empirische<br />
Forschung eingrenzbar, aber in der Regel<br />
weder rein theoretisch noch durch historische For<br />
schung eindeutig und exakt zu bestimmen, sondern<br />
nur durchs faktische kollektive Handeln praktisch zu<br />
testen.<br />
c) Lineare Modelle von Stufen und Stufenfolgen der<br />
Entwicklung sind bekannten methodischen und sachlichen<br />
Einwänden ausgesetzt. Werden sie evolutionistisch<br />
verstanden, sind sie durch den einfachen Hinweis<br />
aufs Fehlen oder Oberspringen bestimmter Stadien<br />
oder Stufen schon widerlegt, wie dies für viele<br />
'natural histories' von Revolutionen und für die iifecycles'<br />
von sozialen <strong>Bewegungen</strong> schon oft gezeigt<br />
wurde. Sie können sinnvollerweise nur als - damit<br />
keineswegs willkürliche - entwicklungslogische<br />
Modelle aufgefaßt werden, welche als vorsichtige<br />
Suchlichter, nicht als starres Prokrustesbett verwendet<br />
werden müssen.<br />
d) Die Abstraktion von Rückwirkungen muß spätestens<br />
preisgegeben werden, wenn die Dynamik kollektiven<br />
Handelns, sozialer <strong>Bewegungen</strong> und Konflikte<br />
thematisiert wird. Allerdings sollte auch dann<br />
die Behandlung der Rückwirkungen nicht dazu führen,<br />
daß die behaupteten Strukturierungen gänzlich<br />
mehrdeutig werden. Es ist sicher richtig, wenn z.B.<br />
Marx meinte, daß 'Klassen als Klassen nur im und<br />
durch den Klassenkampf konstituiert' werden, aber<br />
dies sollte nicht dazu führen, den präzisen Sinn und<br />
Zweck von 'Klassen an sich' zu verwischen. Es ist<br />
sicher richtig, wenn Portes, Webb u.a. daraufhinweisen,<br />
daß 'relative Deprivation' oft nicht die Ursache,<br />
sondern die Folge kollektiven Handelns ist. Aber es<br />
wäresinnvoller.genauerzwischen objektiver Deprivation<br />
und subjektiver Erfahrung und Artikulation relativer<br />
Deprivation zu unterscheiden und auch die<br />
Explananda schärfer zu umgrenzen: Geht es um<br />
individuelle Rekrutierung und Partizipation zu bereits<br />
bestehenden sozialen <strong>Bewegungen</strong> und Organisationen,<br />
oder um deren Entstehung und Entwicklung<br />
selbst?<br />
e) Analytisch ist das Problem der Linearität und der<br />
Rückkopplungen zu unterscheiden vom Problem des<br />
Zwecks und der Grenzen von Modellen, welche die<br />
Herausbildung kollektiver Identitäten, Unzufriedenheiten/Interessen,<br />
Ideologien/Utopien sowie Prozesse<br />
der Organisation und Mobilisierung zunächst aus