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1 - Forschungsjournal Soziale Bewegungen

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FORSCHUNGSJOURNAL NSB 2/92<br />

Charakteristischerweise ging es nun nicht mehr um<br />

Einschränkungen von Verhaltensmöglichkeiten durch<br />

normative Erwartungen, sondern um die Durchsetzungen<br />

von Erwartungen als Recht, d.h. die Legitimation<br />

von Verteilung durch Rechtsinstitute wie<br />

Eigentum und Vertrag. Im Zuge der Unterscheidung<br />

von Gesellschaft und Staat nahm nun auch der zuvor<br />

mit Rebellion und Unruhe assoziierte Begriff "soziale<br />

Bewegung" die Merkmale eines zielstrebigen Opponierens<br />

an.<br />

Schließlich zeichne sich heute, ohne daß der Protest<br />

für oder gegen Normen noch der gegen die ungleiche<br />

Verteilung knapper Güter ganz verschwunden wäre,<br />

die Dominanz eines neuen Protesttypus an, der sich<br />

daraus ergibt, "daß man das Opfer des riskanten<br />

Verhaltens anderer werden kann" (146). In diesem<br />

historisch neuartigen Sachverhalt liege der tiefere<br />

Sinn der Rede von neuen sozialen <strong>Bewegungen</strong>.<br />

1.4 Neue soziale <strong>Bewegungen</strong><br />

Risiken und die damit im Vergleich zu Norm- und<br />

Knappheitsfragen ganz andere Form sozialer Belastung<br />

durch Zeitbindungen sind Luhmann zufolge<br />

der Fokus neuer Proteste. Typisch seien "Protestbewegungen,<br />

die... Betroffenheit gegen Entscheidung<br />

ausspielen. Das gilt für die ökologische Bewegung im<br />

weitesten, gefährliche Technologien einbeziehenden<br />

Sinne; aber es gilt auch für die Friedensbewegungen,<br />

die mit vielen guten Gründen schon Rüstung - und<br />

nicht erst Krieg - für zu riskant halten" (148). Mit<br />

riskanten Entscheidungen, die Zukunft unter dem<br />

Gesichtspunkt der mehr oder weniger großen Wahrscheinlichkeit<br />

von Schäden als problematisch erscheinen<br />

lassen, öffnet sich ein Raum für unterschiedliche<br />

Beobachterperspektiven und damit für<br />

eineständigreproduzierte Meinungsverschiedenheit,<br />

die in "Desideraten wie: mehr Information, Partizipation,<br />

Dialog, Verständigung Ausdruck finden oder<br />

eben als Protest" (149).<br />

Eine funktional differenzierte und in ihren einzelnen<br />

Funktionssystemen nach binären Codes prozessierende<br />

Gesellschaft erzeugt nach Luhmann ständig<br />

protestaffine Situationen, die dann unter bestimmten<br />

. J<br />

Bedingungen zu Systembildungen in Form sozialer<br />

<strong>Bewegungen</strong> führen. Deren Eigenart sei es, die Aufmerksamkeit<br />

von den gesellschaftlichen Entstehungsbedingungen<br />

hin zu ihren eigenen Anlässen und<br />

Fortsetzungsbedingungen zu verschieben, sich also<br />

"ganz von ihren Themen, Zielen, Durchsetzungsschwierigkeiten<br />

und ihren zunehmenden internen<br />

Problemen her (zu) beschreiben und folglich eine<br />

Position des 'Gegenüber' zu imaginieren. Sie protestieren<br />

in der Gesellschaft so, als ob es von außen<br />

wäre" (150).<br />

Hatte Luhmann zufolge schon die sozialistische Bewegung<br />

"Schwierigkeiten mit der Gesellschaftheorie"<br />

und brachte es allenfalls zu einer Theorie der<br />

kapitalistischen Gesellschaft alsder von ihrbekämpften<br />

anderen Seite, so verfügen die zersplitterten<br />

neuen sozialen <strong>Bewegungen</strong> nicht einmal über eine<br />

solche Theorie der anderen Seite. Die Frage, welche<br />

Gründe es gibt, daß die von ihnen kritisierte Gesellschaft<br />

so ist, wie sie ist, würden die gegenwärtigen<br />

Protestbewegungen nicht zulassen. Ihnen gälte die<br />

fehlende Theorie gar als Vorteil und inhärentes Moment<br />

des Protestes, müßte doch "jede theoretisch<br />

angeleitete Problemanalyse, jede Frage nach Alternativen<br />

den Protest schwächen: Die Alternative - das<br />

ist man selber" (150).<br />

2. Kritik<br />

2.1 Zur grundlagentheoretischen<br />

Perspektive<br />

Eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit systemtheoretischen<br />

Prämissen, deren Beschränkungen<br />

gerade am Gegenstand eines kollektiven Akteurs<br />

sichtbar werden könnten, welcher - anders als etwa<br />

das Marktsystem, aber ähnlich wie Bürokratien - zu<br />

strategischem Handeln fähig ist, kann hier nicht<br />

geführt werden. Ebenso sei dahingestellt, inwieweit<br />

sich biologische Denkfiguren ("Immunsystem"), die<br />

ausdrücklich nicht als Metaphern verstanden werden<br />

sollen, zur Gesellschaftsbeschreibung eignen. In<br />

immanenter Perspektive fällt immerhin auf, daß die<br />

Beschreibung des Systems soziale Bewegung dürftig

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