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1 - Forschungsjournal Soziale Bewegungen

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seiner städtischen Attribute und Vorgegebenheiten<br />

herauslöst oder doch bis ins innerste der Seele hinein<br />

erschüttert. Das Gesetz, das über sie kommt, lautet:<br />

Ich bin ich." (ebd., 175)<br />

Besonders deutlich wird diese Entwicklung bei den<br />

Frauen. Sie lehnen zunehmend die traditionellen<br />

Rollenzuweisungen - Mutter und treusorgende Ehefrau<br />

- ab und machen sich auf die Suche nach eigenen<br />

Lebensentwürfen. Folge davon ist die Ausdünnung<br />

der Familienbeziehungen. Die Familie ist nicht mehr<br />

der einzige relevante Lebensbereich außerhalb des<br />

Berufes. Die einzelnen Familienmitglieder entwickeln<br />

differenzierte Entfaltungswünsche, die im Rahmen<br />

der Familie nicht allein zu erfüllen sind.<br />

An diesem Punktsetzen die Wohngruppen und Hausgemeinschaften<br />

an. Sie haben die Funktion, die Familienbeziehung<br />

zu erweitern, den einzelnen die<br />

Möglichkeit zu Kontakten im Wohnbereich zu öffnen.<br />

Durch die Auswahl der Nachbarn können die<br />

Projekte Kommunikationsmöglichkeiten bereithalten<br />

und die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben<br />

erleichtern. Die Wohngruppen und Hausgemeinschaften<br />

sind Übergangsräume zwischen dem<br />

Privatbereich der Familie und den öffentlichen Bereichen.<br />

Über die Mitbewohner und deren Bekannte<br />

lassen sich Beziehungsnetze knüpfen, und die Entlastungspotentiale<br />

durch das Gemeinschaftswohnen<br />

erleichtern individuelle Entfaltungsmöglichkeiten<br />

über die Familie hinaus.<br />

Die Stärke der neuen Wohnformen liegt in ihrer<br />

Offenheit. Der bauliche Rahmen - abgeschlossene<br />

Wohnung mit zusätzlichen Gemeinschaftsflächen -<br />

ermöglicht unterschiedliche Wohnpraktiken. Es können<br />

dort ganz konventionelle Kleinfamilien leben,<br />

die sich gegenseitig stark abgrenzen und z.B. den<br />

Gemeinschaftsraum nur für Familienfeste nutzen. In<br />

FORSCHUNGSJOURNAL NSB 2/92<br />

den Gemeinschaftsanlagen können sich aber auch die<br />

Familiengrenzen weitgehend auflösen und weitverzweigt<br />

Kommunikätions- und Entlastungsnetze entstehen.<br />

Zwischen diesen Polen liegt ein weites Feld<br />

an Wohnmöglichkeiten. Wohngruppen und Hausgemeinschaften<br />

sind nicht das Korsett einer Lebensweise,<br />

eher ein lockerer Überwurf.<br />

Hermann Voesgen arbeitet als Leiter des Modellversuchs<br />

"Kultur und Region" in Oldenburg/Aurich<br />

Anmerkung<br />

1<br />

Der Aufsatz basiert auf dem DFG-Projekt "Veränderungen<br />

des Wohnverhaltens" der AG-Stadtforschung<br />

an der Universität Oldenburg. Weitere Mitarbeiter der<br />

Studie waren Ulrike Schneider und Walter Siebel.<br />

Kern der Untersuchung waren 50 qualitative Interviews<br />

mit Bewohnerinnen von Wohngruppen und<br />

Hausgemeinschaften (siehe Projektbericht, Oldenburg<br />

1939).<br />

Literatur<br />

BECK, U.: Auf dem Weg in die Risikogesellschaft,<br />

Frankfurt/M. 1986.<br />

HAMM, B.: Betrifft: Nachbarschaft, Düsseldorf 1973.<br />

JONAS, P.: Über den Zusammenhang von Konformität<br />

und Kohäsion in Kleingruppen, Dissertation, Salzburg<br />

1987.<br />

SENNETT, R.: Verfall und Ende des öffentlichen Lebens.<br />

Die Tyrannei der Intimität, Frankfurt/M. 1986.<br />

VOESGEN, H.: Stunden der Nähe - Tage der Distanz.<br />

Zum Verhältnis von Distanz und Nähe in Wohngruppen,<br />

in: J. Brech (Hrsg.): Neue'Wohnformen in Europa,<br />

Darmstadt 1989.

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