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1 - Forschungsjournal Soziale Bewegungen

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FORSCHUNGSJOURNAL NSB 2/92<br />

verkleinert. Umgekehrt erscheint die durchaus richtige<br />

Beobachtung frei flottierender Protestpotentiale<br />

und des damit bedingten "situativen Engagements"<br />

(Paris 1989) als konstitutives Merkmal der neuen<br />

sozialen <strong>Bewegungen</strong> schlechthin, ohne daß die oftmalige<br />

Kontinutität und Beharrlichkeit von Engagement<br />

anerkannt wird. Über das Definitionsmerkmal<br />

der Angst rückt Luhmann somit die neuen sozialen<br />

<strong>Bewegungen</strong> in die Nähe des Pathologischen. Zwar<br />

gibt es einerseits"ernstzu nehmende Gewissensskrupel<br />

und eine eigentümlich hintertreppige Gedankenführung,<br />

die man auch als strategisch bezeichnen<br />

könnte" (1986b), doch andererseits eben auch die<br />

Realität "banaler öffentlicher Artikulation mit gefühlten<br />

Begriffen, die jeder Analyse unzugänglich<br />

sind und nur von moralischen Invektiven leben"<br />

(ebd.).<br />

2.2.3 Von der Angst zum Risiko - zur<br />

halbherzigen Aufwertung gegenwärtiger<br />

Protestbewegungen<br />

Daß Luhmann inzwischen kommentarlos den Topos<br />

des Risikos an die Stelle von Angst gesetzt hat, zeigt<br />

immerhin, daß sich die Systemtheorie dem Zeitgeist<br />

nicht ganz verschließen will. Das wird insbesondere<br />

am Umgang mit ökologischen Protesten deutlich.<br />

Noch 1986 hatte Luhmann angesichts ökologischer<br />

Proteste in der Hauspostille der CDU ausschließlich<br />

Systemvertrauen anzubieten. "Unsere Gesellschaft<br />

hat im Horizonte möglicher Katastrophen zu leben,<br />

und zwar ganz normal und unaufgeregt zu leben;<br />

sonst verschwinden die eventuellen Katastrophen<br />

zwar nicht, aber es kommen vermeidbare Aufregungsschäden<br />

hinzu." (1986a:21) Nachdem die Politik<br />

des "ökologischen Lippenbekenntnisses" (Ulrich<br />

Beck) sich in der Bundesrepublik über alle<br />

Parteigrenzen hinweg durchgesetzt hat, kommt auch<br />

der Systemtheoretiker zu einer partiellen Neubewertung<br />

der in Protestform vorgetragenen Aufgeregtheiten.<br />

Auf der Paßhöhe der "Risikogesellschaft" angelangt,<br />

sieht auch Luhmann eine unaufhebbare Duali­<br />

tät, an der sich immer erneut Proteste entzünden<br />

können und werden. "Es gibt immer Entscheider und<br />

Betroffene. Entscheidungen erzeugen Betroffenheit"<br />

(1991:115). Weder mehr Beteiligung, Kommunikation<br />

und Aufklärung, noch der Rückgriff auf Expertenwissen<br />

oder eine Vertrauensethik können diese<br />

Differenz beseitigen. Die drei Kategorien Entscheider,<br />

Nutznießer und Betroffene fallen gerade angesichts<br />

moderner Technologien stärker auseinander<br />

als je zuvor. Unter diesen Umständen kann auch der<br />

ökologische und technikkritische Protest zur Tugend<br />

werden, denn er "kompensiert deutliche Reflexionsdefizite<br />

der modernen Gesellschaft"(1991:153). Indem<br />

Luhmann die Differenz von Entscheidung und<br />

Betroffenheit nicht mehr als bloß psychologisches<br />

Problem abtut, hat er Anschluß an den Diskurs der<br />

Bürgerinitiativen in den frühen siebziger Jahren gefunden.<br />

Fast glaubt man, einen der sympathisierenden<br />

Bewegungssoziologen vor sich zu haben: "Immerhin<br />

aber ist die damit erzeugte Sensibilität für<br />

Folgen der Strukturentscheidungen moderner Gesellschaft<br />

und für die sozialen Kosten jeder Zeitbindung<br />

ein Gewinn, den man nicht unbedingt nur<br />

negativ bewerten muß" (1991:154).<br />

2.2.4 Die Alternativlosigkeit<br />

zum Status quo?<br />

Wenn Protestbewegungen mehr sein wollen als<br />

"Wachhunde" (1991:154) - Offe sprach schon zwanzig<br />

Jahre zuvor in kritischer Absicht von der Gefahr<br />

der Funktionalisierung von Bürgerinitiativen als<br />

"Frühwarnsysteme" (1971:161) -, treffen sie auf<br />

massiven systemtheoretischen Widerstand. Die argumentative<br />

Operation, neue soziale <strong>Bewegungen</strong><br />

auf Protestbewegungen zu reduzieren und Widerspruch<br />

als eine Reaktionsform ohne Kognition<br />

(1984:505) darzustellen, ist folgenreich. Luhmann<br />

vernachlässigt damit wesentliche Dimensionen gegenwärtigen<br />

Protests und die Bedingungen für dessen<br />

Stabilität. Neue soziale <strong>Bewegungen</strong> sind u.a.<br />

dadurch gekennzeichnet, daß sie Protest mit der<br />

Suche nach lebbaren Alternativen, neuen kulturellen<br />

Orientierungen und Lebensstilen in allen gesellschaft-

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