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Beiträge zum Göttinger Umwelthistorischen Kolloquium ... - Oapen

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Konstruktion einer Küstenidentität<br />

Ethnographie eines Wahrzeichens: Erfindung und Enthüllung<br />

der „Caroline“<br />

Im Rahmen einer Feldforschung habe ich den Prozess der Skulpturfindung und<br />

-errichtung sowie der Ausrichtung des Jubiläums untersucht, bin mehrere Male in<br />

den Küstenort gereist und habe sowohl Sitzungen der verantwortlichen Komitees<br />

wie die Jubiläumsfeier selbst besucht als auch Interviews mit Entscheidungsträgern<br />

und Ortsansässigen geführt. Dabei kam folgende Entstehungsgeschichte zutage:<br />

Der damalige Ortsvorsteher Johann Hillerns hatte bei einer alljährlich stattfindenden<br />

Versammlung aller Vereine und Verbände Anfang 2004 die Idee geäußert,<br />

dass der Ort ein Denkmal bräuchte wie die Nachbarorte auch: „Wir haben“, er-<br />

klärte er im Interview, „in Carolinensiel keine Identifikationsfigur. Carolinensiel hat<br />

Vieles, aber nicht so etwas, wo man nach greifen kann und was symbolhaftig ist.“<br />

Als Vorbild nannte er das wenige Kilometer entfernte Neuharlingersiel, wo seit<br />

dem Jahr 2000 am Hafen ein bronzenes Fischerpaar steht und Touristen zu Urlaubsfotos<br />

und <strong>zum</strong> Klaps auf das Gesäß animiert. Auch für Carolinensiel schwebte<br />

Hillerns ein Denkmal vor, das emotionale Identifikation stiften, die Anwohner<br />

an den Ort binden und „das Wir-Gefühl“ stärken sollte. An das Denkmal sollten<br />

geradezu Heilserwartungen geknüpft sein: So solle es eine „Pflichtübung für jeden“<br />

Bürger sein, einmal im Jahr die Skulptur zu berühren: „Ähnlich wie einmal im Leben<br />

nach Mekka muss man einmal im Jahr nach Carolinensiel“, so der damalige<br />

Ortsvorsteher.<br />

Orientierungsrahmen und Bezugspunkt für das gewünschte Wahrzeichen bildete<br />

die vergangene ökonomische, politische und soziale Blütezeit des Ortes. Diese<br />

bietet Anlass zu lokalem Selbstbewusstsein. Die Bedeutung dieses Rückblicks wird<br />

offensichtlich, wenn man sich den heutigen Stellenwert des Ortes vergegenwärtigt:<br />

Carolinensiel ist seit 1972 <strong>zum</strong> Leidwesen der Anwohner politisch von der Stadt<br />

Wittmund im gleichnamigen Landkreis abhängig und auch ökonomisch sieht es<br />

längst nicht mehr rosig aus. Anfang bis Mitte des 19. Jahrhunderts dagegen hatte<br />

der Ort eine „Hochzeit“ erfahren mit einem regen sozialen Leben und ökonomischer<br />

Blüte durch die weltweite Segelschifffahrt. Damals avancierte er zu einem<br />

führenden Hafen der Region und hob sich wirtschaftlich wie alltagskulturell deutlich<br />

vom Hinterland ab (vgl. Cliner Wind 1980: 18). Nach dem Aufkommen der<br />

Dampfschifffahrt in den 1880er Jahren jedoch fristete Carolinensiel eher ein Mauerblümchendasein.<br />

Eine neue wirtschaftliche Grundlage gegenüber dem zunehmend<br />

unsicheren Fischfang bot nach dem Zweiten Weltkrieg dann der Tourismus,<br />

der mehr zufällig über die Entstehung eines Sandstrandes durch den Bau eines<br />

Schöpfwerks in den 1960er Jahren aufkam. Ende der 1990er Jahre verzeichnete die<br />

Kurverwaltung sogar einen kurzen Boom an Besuchern, doch seither kann Carolinensiel<br />

der Konkurrenz durch benachbarte Kur- und Ferienorte und vor allem<br />

durch andere Urlaubsregionen wie speziell die Ostsee nicht mehr wirklich standhalten<br />

(vgl. Danielzyk u. Krüger 1994; Boss et al. 1996). Veränderungen bringt<br />

außerdem der stete Zuzug von Ruheständlern und neuen, nicht ortsansässigen<br />

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