Beiträge zum Göttinger Umwelthistorischen Kolloquium ... - Oapen
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Konstruktion einer Küstenidentität<br />
mit dem gezeichneten Entwurf des Preisträgers zu tun habe. Ihnen ging es vor<br />
allem darum, durch eine wieder erkennbare Formsprache ihren Ruf zu festigen –<br />
eben deshalb haben sie nicht nur das Knie, sondern auch das Gesäß der Skulptur<br />
blank poliert, um auch in der damit intendierten Berührung eine Ähnlichkeit zur<br />
Neuharlinger Bronzefigur der Fischer herzustellen. Letztlich nutzten die Brüder<br />
den Auftrag als Plattform zur eigenen künstlerischen Selbstverwirklichung, ohne<br />
dass es hier jedoch <strong>zum</strong> Eklat kam. Die Konkurrenz zwischen Mahnwert und<br />
Kunstwert eines Monuments, zwischen „dem Inhaltsinteresse und dem Forminteresse“<br />
(Warnke 1985: 322), wie sie in jedem Auftragsdenkmal potentiell angelegt<br />
ist, führte in diesem Fall nicht <strong>zum</strong> gravierenden Konflikt, was auch der spezifischen<br />
Dynamik bei der Erfindung von Symbolen und Zeichen zuzuschreiben ist:<br />
Die Caroline findet allgemeines Wohlgefallen, auch wenn oder vielleicht gerade<br />
weil eine präzise historische Aussage nicht zugrunde liegt, kaum zu erkennen und<br />
auch gar nicht notwendig ist.<br />
Die bislang genannten Personen wirkten aus beruflichen Gründen an der Aktion<br />
mit und kamen allesamt von auswärts in den Ort hinein. Sie verfolgten ökonomische,<br />
kulturelle oder pädagogische Ziele. Die Ansässigen dagegen nannten<br />
mehr soziale und biographische Beweggründe oder persönliches Verantwortungsgefühl<br />
für den Ort als Motive. Ihnen ging es um Identifikation, soziale Bindung<br />
und ein positives Lebensgefühl am Ort. So verorteten sich etwa die „Neubürger“<br />
über ihre Mitwirkung noch expliziter in Carolinensiel. Viele hatten auch einfach<br />
Spaß an der Sache und freuten sich an dem Event. Und einige wollten sich in dieser<br />
Figur ganz offensichtlich auch selbst verewigen – die Stifter, die ihre Namen<br />
auf Backsteine schrieben, oder der Ortsvorsteher, der die zündende Idee hatte,<br />
eigenen Aussagen zufolge etwas bewegen wollte und sich auch im politischen<br />
Kampf um Verlängerung seines Mandats Anerkennung und Stimmen erhoffte.<br />
Offensichtlich hatten all die mitwirkenden Personen je nach Interessenlage<br />
ganz unterschiedliche Intentionen bei ihrem Einsatz für das Wahrzeichen und die<br />
Feier und entsprechend transportiert die Caroline je andere Bedeutungen. Im Ergebnis<br />
zeigt die Ethnographie des Wahrzeichens, dass die heute sichtbare Skulptur<br />
ein vielschichtiges Produkt eines dynamischen Prozesses der Begegnung und Aushandlung<br />
zwischen unterschiedlichen Personen und heterogenen Interessen ist.<br />
Der vorgegebene Anlass – das Gedenken an die 275-jährige Geschichte sowie<br />
Werden und Wandel des Ortes – ist dabei sekundär und hat sich erst im Laufe der<br />
Vorbereitungen konkretisiert. Im Unterschied zu anderen Gedenkorten stand anfangs<br />
nicht einmal fest, wessen überhaupt gedacht werden sollte. Die hier sichtbare<br />
Inszenierung von Geschichte, ja die bündelnde Schaffung und Visualisierung eines<br />
lokalen Gedächtnisses hat ganz offensichtlich weniger mit der Vergangenheit als<br />
vielmehr mit der Gegenwart zu tun. Letztlich wurde etwas ganz Anderes und Neues,<br />
nämlich eine die Gegenwart spiegelnde und vielfältige Wünsche für die Zukunft<br />
bindende Symbolfigur geschaffen. Es handelt sich um eine zeitgenössische Form<br />
lokaler Selbstvergewisserung, eine reflexive Selbstinszenierung, die als Identitäts-<br />
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