Beiträge zum Göttinger Umwelthistorischen Kolloquium ... - Oapen
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Tiere sind keine Sachen<br />
2. Fiktive Tierprozesse als Bestandteil in der frühneuzeitlichen<br />
Rechtsliteratur?<br />
Von den eben geschilderten Fällen unterscheidet die Literatur Tierprozesse gegen<br />
Schädlinge wie Heuschrecken, Würmer, Engerlinge, Feldmäuse usw. 49 Da diese<br />
Tierprozesse schon Gegenstand des DFG Graduiertenkollegs „Interdisziplinäre<br />
Umweltgeschichte“ waren, 50 möchte ich aus der Überlieferung, die im deutschsprachigen<br />
Raum (vor allem in der Schweiz und Südtirol) gegen Ende des Mittelalters<br />
einsetzt, 51 nur das Paradebeispiel für ein weltliches Gerichtsverfahren, den sog.<br />
Südtiroler Lutmäuse-Fall von 1519/1520, herausgreifen. 52<br />
Die Rechtshistoriker stehen den Tierprozessen gegen Schädlinge eher kritisch gegenüber:<br />
So wird im Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte unter dem Lemma<br />
„Tierstrafe“ der Bericht über den Lutmäuse-Fall als Schwankerzählung eingeordnet.<br />
53 Auch Dinzelbacher weist darauf hin, dass die Schilderung des Verfahrens<br />
wie eine Parodie wirke. 54 Die Frage, ob in Südtirol zu Beginn des 16. Jahrhunderts<br />
tatsächlich ein gerichtliches Verfahren gegen Lutmäuse durchgeführt wurde, ließe<br />
sich nur mit Hilfe der Gerichtsakten, die nach der Überlieferung in einem<br />
Gerichtsbuch der Gemeinde Glurns in Südtirol enthalten sein sollen, klären. Als<br />
Dinzelbacher die Akten 2004 einsehen wollte, wurde ihm vom Gemeindesekretär<br />
mitgeteilt, dass die gewünschten Akten nicht in Glurns vorhanden seien; schriftliche<br />
49 Dazu v. Amira, MIÖG 12 (1891), S. 563 ff. Vgl. weiter die aus der Sekundärliteratur wiedergegebenen<br />
vier Fälle bei Fischer, Tierstrafen, S. 62 ff.<br />
50 Rohr, C., Zum Umgang mit Tierplagen im Alpenraum in der Frühen Neuzeit, in: Engelken, K./Hünniger,<br />
D./Windelen, S. (Hrsg.), Beten, Impfen, Sammeln, Zur Viehseuchen- und Schädlingsbekämpfung in<br />
der Frühen Neuzeit, Göttingen 2007, S. 99, 114 ff.<br />
51 Aus dem Ende des 15. Jahrhunderts ist der sog. Berner Engerlingsprozess überliefert: In den Jahren<br />
1478/79 soll ein kirchliches Verfahren gegen Engerlinge (Maikäferlarven) durchgeführt und mit<br />
einem bischöflichen Bannspruch beendet worden sein. In der deutschen Literatur findet der Prozess<br />
bereits im 18. Jahrhundert Erwähnung in: Börner, I. K. H., Sammlungen aus der Naturgeschichte,<br />
Oekonomie-, Polizey-, Kameral- und Finanzwissenschaft, 1. Theil, 1774, S. 154 f. Dazu auch Rohr,<br />
Tierplagen, S. 116 ff.; Gerick, Recht, S. 60 ff.<br />
52 Der Prozess gegen Lutmäuse (Wühlmäuse) wird (erstmals?) 1845 bei Freiherr von Hormayr, J.<br />
(Hrsg.), Taschenbuch für vaterländische Geschichte 34 (1845), S. 237 ff. erwähnt und seitdem in der<br />
Literatur verarbeitet, vgl. v. Amira, MIÖG 12 (1891), S. 566; Berkenhoff, Tierstrafe, S. 98 ff.; Hülle,<br />
W., Von Tierprozessen im deutschen Recht, DRiZ 1990, S. 135, 137; Herrmann, B., Zur Historisierung der<br />
Schädlingsbekämpfung, in: Meyer, T./Popplow, M. (Hrsg.), Technik, Arbeit und Umwelt in der Geschichte,<br />
Günter Bayerl <strong>zum</strong> 60. Geburtstag, Münster 2006, S. 317, 329; Rohr, Tierplagen, S. 120 ff.;<br />
Strasser, C., Staatliche Maßnahmen gegen Tiere – Alter Wein in neuen Schläuchen?, Tiere als Rechtssubjekte im<br />
Strafrecht des Mittelalters und der frühen Neuzeit, Agrar- und Umweltrecht 2006, S. 346, 348.<br />
53 Kaufmann, HRG V, Sp. 239. In Ansätzen auch Laufs, Tier, S. 115 f. Immerhin enthält auch das<br />
Deutsche Rechtswörterbuch ein Lemma „Lutmaus“.<br />
54 Dinzelbacher, Mittelalter, S. 122.<br />
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