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Beiträge zum Göttinger Umwelthistorischen Kolloquium ... - Oapen

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Michael Toyka-Seid<br />

unruhigt.“ 28 Als sich die Stadtplaner, die sich Ende des 19. Jahrhunderts zu einem<br />

anerkannten Berufsstand professionalisierten, mit den neuen industriellen Lautsphären<br />

konfrontiert sahen, lag die Blaupause daher schon bereit: Mittels Funktionstrennung<br />

wurden lärmfreie Zonen ausgewiesen, die Industrie in eigens dafür<br />

auf dem Reißbrett entworfene Stadtteile verwiesen 29 – am extremsten im Planungsmodell<br />

eines Budapester Planers, der vorschlug, die lärmenden Fabriken <strong>zum</strong><br />

gegenseitigen Nutzen in die Nähe der Friedhöfe zu platzieren: Den Toten würde<br />

selbst der lauteste Lärm nichts anhaben, und die lärmgeplagten Arbeiter hatten<br />

<strong>zum</strong>indest einen Platz, wo sie vor weiteren Zumutungen an ihre geplagten Ohren<br />

sicher waren. 30 Die Entsorgung der Lärmproblematik mittels räumlicher Trennung<br />

mag auf den ersten Blick wenig originell erscheinen – schon bei der Lösung städtischer<br />

Umweltprobleme in der Frühen Neuzeit war dieser Weg beschritten worden.<br />

Auf der berühmten Darstellung Nürnbergs in der Schedelschen Weltchronik von<br />

1493 ist ganz am Rand der städtischen Gemarkung eine Drahtziehmühle abgebildet<br />

– draußen vor dem Tor und damit jenseits jeglicher sinnlichen Wahrnehmung<br />

oder Belästigung. 31 Es sollte sich allerdings schon bald erweisen, dass die Funktionstrennung<br />

allein keine Lösung für die rapide wachsende und von ständig neuen<br />

Lärmwogen umspülte Stadt des 20. Jahrhunderts darstellen konnte.<br />

Es ist dann auch wenig überraschend die moderne Stadt, die im Zentrum der<br />

Lärmdebatten der Jahrhundertwende steht: Die Metapher vom „Rauschen“ oder<br />

vom „Brausen“, vom „Getöse“ der Großstadt findet sich bereits in der ersten<br />

Hälfte des 19. Jahrhunderts. 32 Aber erst mit der untrennbaren Vermischung unterschiedlichster<br />

Geräusche und Klänge zu Beginn des 20. Jahrhunderts entsteht jene<br />

stadttypische Lärmkulisse, von der der Musikwissenschaftler Richard Batka 1908<br />

meinte, dass man sie als „körperlichen Schmerz“ empfinde. 33 Die Straße wurde,<br />

wie der österreichische Stadt- und Umwelthistoriker Peter Payer schreibt, jetzt <strong>zum</strong><br />

„paradigmatischen Schau- und Hörplatz der Moderne“, <strong>zum</strong>al „die Intensivierung<br />

des Verkehrs, die generelle Vervielfachung und Verdichtung der Aktivitäten im<br />

öffentlichen Raum (…) den akustischen Gegensatz zwischen Stadt und Land“<br />

noch zusätzlich verstärken. 34<br />

Nun ist das beredete Klagen über den Lärm der Stadt kein modernes Phänomen,<br />

vielmehr beinahe so alt wie die Geschichte des menschlichen Zusammenlebens<br />

in Städten. Der römische Dichter Martial charakterisiert seine Heimatstadt im<br />

1. Jahrhundert n.Chr. als „urbs clamosa“, als lärmerfüllte Stadt, und sein Zeitgenosse,<br />

der Satiriker Juvenal, urteilte sogar, die städtischen Lärmemissionen würden<br />

28 Zit. nach Zumdick (2006): 42.<br />

29 Vgl. beispielsweise Nussbaum (1914).<br />

30 Farkas (1902).<br />

31 Vgl. Behringer (2008): 133.<br />

32 Vgl. Payer (2003): 175f.<br />

33 Batka (1908), Zitat: 47.<br />

34 Payer (2003): 174.

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