Beiträge zum Göttinger Umwelthistorischen Kolloquium ... - Oapen
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Brigitta Schmidt-Lauber<br />
geschichtlich ausgelegter Themen, Kostüme oder Produkte inszeniert und dem<br />
Ort Bedeutung verliehen.<br />
Verdichtetes Symbol der so inszenierten lokalen Spezifik und Kern der Feier<br />
bildete die Skulptur „Caroline“. Über die zugeschriebene Bedeutung der Figur<br />
bestand und besteht Konsens: Die Skulptur soll Wahrzeichen für den Ort sein, der<br />
stolzen Ortsgeschichte und damit lokalem Selbstbewusstsein eine Form geben. Auf<br />
der Bronzeplakette neben der Skulptur steht so auch geschrieben: „Caroline. Aufgestellt<br />
zur 275 Jahrfeier des Ortes Carolinensiel im Jahr 2005. Zur Erinnerung an<br />
den Begriff ´Cliner Wind´, der für Lebensfreude, Weltoffenheit, Tatkraft und Wagemut<br />
steht“. Verbunden damit ist ein Distinktionsanspruch – wir sind anders und<br />
haben eine andere Skulptur als alle anderen Orte – und der implizite Beleg der<br />
gewünschten Modernität – an unserem Ort thront eine starke und selbstbewusste<br />
Frau. In seiner Eröffnungsrede unterstrich Hillerns diese Symbolkraft, indem er<br />
auf den Gussvorgang verwies. Dieser war im ersten Anlauf gescheitert. Für den<br />
Initiator der Skulptur ein eindeutiges Zeichen, „dass wir es mit einer starken Frau<br />
zu tun haben, die sich nicht so gerne in Form gießen lässt“. Der Anzeiger für Harlingerland<br />
titelte daraufhin: „Starke Frau für starken Ort“ (30.5.2005). Dieses Signal<br />
der Distinktion blieb von außen nicht unkommentiert: Die regionalen Medien<br />
und Einwohner aus Nachbarorten kritisierten die emanzipatorisch postulierte Wahl als<br />
Hinweis für den anhaltenden Anspruch Carolinensiels auf eine Sonderstellung.<br />
Bedeutungen I: Lokales Begehren nach Geschichte<br />
Soweit die Ereignisse vor Ort. Doch was besagen die Geschehnisse? Wie ist das<br />
Wahrzeichen zu deuten? Üblicherweise sehen wir Denkmäler in ihrer feststehenden,<br />
ihre Gründung erklärenden Bedeutung. Denkmälern und <strong>zum</strong>al politischen<br />
Denkmälern liegen historische Ereignisse oder Personen zugrunde, an die sie erinnern<br />
(vgl. Koselleck 1979, 1989). Die Monumente binden und vermitteln historische<br />
Bilder; sie gelten zudem als Manifestationen eines kollektiven Gedächtnisses<br />
(vgl. Halbwachs 1985; Assmann 1992; Ricœur 2004).<br />
Traditionsstiftung, so ließe sich aus dem Beispiel schließen, braucht die Vergegenständlichung.<br />
Aus der Erzählforschung – ein wichtiges Arbeitsfeld der Kulturanthropologie/Volkskunde<br />
– ist die Bedeutung von Materialisierungen der<br />
Geschichte für das Fortleben der Erzählung und der Erinnerung geläufig: „Es gibt<br />
eine Reihe von Erzählungen“, heißt es bei Lutz Röhrich zu den Denkmalerzählungen,<br />
„deren Gedächtnis darum am Leben erhalten wird, daß sie an vorzeigbare<br />
Beweisstücke gekoppelt sind“, die ihnen „immer neue Glaubwürdigkeit, Durchschlagskraft<br />
und Dauer“ verleihen (Röhrich 1988: 92). Im Falle Carolinensiels jedoch<br />
verhält es sich genau umgekehrt: Am Anfang stand nicht ein Datum, Thema<br />
oder Ereignis der Geschichte – selbst über die Datierung der Ortsgründung auf<br />
275 Jahre zurück ließe sich streiten; am Anfang stand vielmehr – von einer Einzelperson<br />
vorgetragen und bereitwillig angenommen – die Idee zu einem Denkmal